Business Culture Design

Um eine Unternehmenskultur zu verändern, muss ich erst einmal verstehen, in welcher Kultur ich mich befinde. Passt diese Kultur zu dem, was ich erreichen möchte? Können die Prinzipien des agilen Manifests in der aktuellen Kultur überleben? Und wenn nein, wie müsste ein optimales Business Culture Design aussehen?

Gut, dass es in den letzten Jahren und Jahrzehnten einige Studien und Bücher zu dem Thema gegeben hat. Mein Lieblingsbuch zu dem Thema ist »Business Culture Design« von Simon Sagmeister (Sagmeister 2016).

Die Arbeit von Sagmeister beruht auf den Theorien von Clare W. Graves, welche von Don Beck und Chris Cowan unter dem Namen »Spiral Dynamics« bekannt wurden. Sagmeister beschreibt sieben Färbungen typischer Unternehmenskulturen. Dazu ist es wichtig, zu wissen, dass jede Farbe, in unterschiedlich starker Ausprägung, in jedem Unternehmen vorkommt.

Violette Kulturen

Violette Unternehmenskulturen zeichnen sich durch ein Verhalten aus, das dem Verhalten typischer Stämme entspricht. Es gibt einen Stammeshäuptling, meist der Unternehmensgründer und Stammestreue ist oberstes Gebot. Persönliches ist unwichtig und Anpassung steht im Vordergrund. Am Ende gewinnt immer die Mannschaft und nicht das Individuum. Gleichzeitig gibt es eine klare Abgrenzung nach außen durch eine starke Corporate Identity. Das kann bis hin zu einheitlicher Kleidung führen. Wichtige Posten werden in der Regel nur an altgediente, interne Mitarbeiter vergeben. Fremde Ideen, die nicht im eigenen Haus entstanden sind, werden abgelehnt und sowieso ist doch alles gut, wie es ist. Violette Unternehmen sind auf langfristiges Wachstum ausgelegt.

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Typische Beispiele für eine violette Unternehmenskultur sind Trigema, Haribo oder (Siemens) Nixdorf (bevor sie von Siemens gekauft wurden).

Rote Kulturen

Kennst du den Film »Findet Nemo« von Disney? Dort gibt es eine Tierart, die sehr von einer roten Kultur geprägt sind: die Möwen: »Meins, meins, meins!«.

Rote Kulturen sind sehr machtgeprägt und man möchte um jeden Preis wachsen. Man will mit dem Kopf durch die Wand und Aufgeben ist keine Option. Das ist vor allem in Krisen ein guter Modus, wo es vor allem um Innovation geht. Ein rotes Vorgehen ließ sich auch in der Französischen Revolution oder dem Arabischen Frühling beobachten. Beides mal gefolgt von großen gesellschaftlichen Umbrüchen. Aber auch Pipi Langstrumpf lässt eine rote Kultur durchscheinen: »Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt«.

Rote Kulturen hassen Bürokratie und agieren sehr hemdsärmelig. Es gibt kaum Regeln, Handbücher oder so etwas wie Planungsphasen. Es gilt das Credo: »Done is better than perfect.« Oft werden solche Organisationen von einem entschlossenen Kommandanten geführt, der seine Mitarbeiter mit Zuckerbrot und Peitsche antreibt. Hier gilt »Learning by doing« und jeder gegen jeden. Am Ende setzt sich die Idee des Stärksten durch.

Unternehmen, die zumindest in Teilen eine solche Kultur pflegen sind Netflix, Amazon und Apple, vor allem zu Zeiten als Steve Jobs noch lebte.

Blaue Kulturen

Zeit für Ordnung und klare Hierarchien. In blauen Kulturen sind diese Dinge an der Tagesordnung. Es gibt jede Menge Regeln, Prozesse und Aufgabenbeschreibungen. Im Gegensatz gibt es hier keine familiäre Bande, sondern alles ist durch eine klare Struktur geregelt. Wer wissen möchte, wie sich eine Bürokratie anfühlt, ist hier genau richtig.

Es gibt Budgets, Ressourcen, Rollen und dazugehörige Rechte. Alle halten sich an die Vorgaben und weichen möglichst nicht davon ab. Alles, was von »oben« kommt, ist immer richtig. Emotionen spielen in solchen Organisationen keine Rolle. Oft findest du hier die berühmten fünf »S«:

  • Sortieren
  • Sichtbare Ordnung
  • Sauber halten
  • Standardisieren
  • Sichern und verbessern

Wer in der Luftfahrt arbeitet, findet sich hier sicher wieder. Dafür gibt es in blauen Organisationen kaum Eigeninitiative und viel Monotonie.

Viele Unternehmen, die auf Massenproduktionen setzen und auf den Ideen von Frederick W. Taylor aus dem neunzehnten Jahrhundert aufbauen, sind sehr stark blau geprägt. Dazu gehören zum Beispiel Unternehmen, wie duPont oder General Motors.

Orange Kulturen

In orangenen Kulturen gilt: »Jeder ist seines Glückes Schmied«. Das blaue Regelkorsett bröckelt hier gewaltig. Jeder will hier ganz oben auf dem Siegertreppchen stehen.

Gerade Phasen des Aufbruchs sind oft orange gefärbt. Dazu zählt unter anderem das Wirtschaftswunder nach dem zweiten Weltkrieg. Hier galt vor allem Ärmel hoch und anpacken.

In der Welt von orangenen Kulturen gibt es kein Best Practise, es geht immer noch ein bisschen besser. Aus diesen Kulturen stammt auch der Ausdruck: »Es gibt keine Probleme, sondern nur Herausforderungen«. Individuelle Leistungen stehen hier im Vordergrund und werden entsprechend belohnt. Das heißt aber auf der anderen Seite auch, dass ich als Führungskraft Erfolge nachweisen muss, wenn ich mich in meiner Position halten will. Das führt oft dazu, dass das Privatleben hinter dem Berufsleben zurückbleibt.

Orangene Kulturen profitieren auf der anderen Seite von einer hohen Experimentierfreude und einer Kommunikation völlig unabhängig von Hierarchie und Strukturen. Der Zweck heiligt die Mittel und Regeln werden regelmäßig gedehnt. Pragmatismus und Quick Wins stehen im Fokus, ganz im Gegensatz zu zum Beispiel blauen Kulturen, die auf längerfristiges Wachstum ausgelegt sind.

Beispiele für orangene Kulturen sind die Würth Gruppe, Richard Branson mit seinen zahlreichen Unternehmen, wie zum Beispiel Virgin Galactic, aber auch Walmart und Amazon haben orangene Einfärbungen. Auch das Jedes-Jahr-zehn-Prozent-mehr-Denken von einigen Investmentbanken fällt in dieses Schema.

Grüne Kulturen

Grüne Kulturen glauben an das Gute im Menschen und stehen für ein harmonisches Miteinander. Der Mensch steht im Fokus und es wichtig, wie es allen geht. Niemand wird hier zurückgelassen, auch wenn das heißt, dass man erst einmal in das jeweilige Teammitglied investieren muss. Führungskräfte fungieren in solchen Organisationen oft als Coach. Das führt dazu, dass grüne Kulturen meist nur eine geringe Fluktuation haben.

In grünen Kulturen ist man sich der Verantwortung gegenüber der restlichen Gesellschaft bewusst und handelt dementsprechend. Man versucht sich in allen Bereichen politisch korrekt zu verhalten und alle zu involvieren. Das kann am Ende dazu führen, dass die Organisation konfliktscheu und gutgläubig agiert, was sicher nicht immer der beste Weg ist.

Ein gutes Beispiel für eine grün geprägte Kultur ist in Deutschland der dm-drogerie markt. Das Unternehmen von Götz W. Werner, das heute von Christoph Werner geführt wird, gilt als Musterbeispiel für eine Firmenkultur, in der der Mensch an erster Stelle steht. Hier gilt der Grundsatz »Dialog über Anweisungen«. Andere Beispiele sind Google, Starbucks oder Southwest Airlines. Einer der Grundsätze bei Southwest Airlines ist zum Beispiel »Put others first«.

Gelbe Kulturen

In gelben Kulturen stehen das Wissen und die Wissensvermehrung im Mittelpunkt. Neugierde, Logik und Vernunft sind hier die Grundpfeiler. Diese Kulturfärbung ist geradezu geschaffen für Forscher und Entdecker, da Freiheit und Klarheit im Denken gefördert werden. Freie Entfaltung ist hier ein hohes Gut. Sheldon Cooper aus der Serie »Big Bang Theory« würde sich hier pudelwohl fühlen.

Im Gegensatz zu zum Beispiel roten Kulturen, in denen Macht zu Autorität führt, erlangt man hier seine Autorität durch Wissen. Gleichzeitig muss man neue Ideen ständig verteidigen, da diese immer hinterfragt werden. Es fühlt sich immer ein bisschen wie eine endlose Verteidigung seiner Dissertation an.

Gelbe Kulturen denken immer weit in die Zukunft und haben schon lange akzeptiert, dass Veränderungen der Normalität angehören. Wenn ich im technologischen Wettbewerb überleben möchte, brauche ich immer auch eine ordentliche Portion gelb in meinem Kulturfarbenmix.

Die Gefahren einer gelben Kultur sind, dass diese oft emotionslos sind und somit der Faktor Menschlichkeit auf der Strecke bleiben kann und dass man sich durch ständig neue Idee irgendwann verzettelt. Irgendwann muss man doch auch mal zum Ende kommen, wenn man Produkte erfolgreich am Markt etablieren möchte.

Typische gelb geprägte Kulturen findest du zum Beispiel bei den Firmen von Elon Musk, der selbst sehr gelb daherkommt. Seine Firmen Tesla und Space X haben beide einen sehr großen gelben Farbklecks. Aber auch Google ist gelb geprägt oder die Firmen Daimler und Maybach vor allem früh in der Unternehmensgeschichte.

Aqua-farbene Kulturen

Die letzte Farbe im Kulturfarbspektrum ist Aqua. Bei Kulturen mit dieser Färbung ist alles im Fluss. Sie haben akzeptiert, dass wir mittlerweile in Zeiten leben, in denen eine hohe Komplexität herrscht. Sie sind stark kollektivistisch geprägt, es geht ihnen also auch um die Welt als Ganzes. Unternehmen mit einer starken Aqua Färbung geht es vor allem darum, Sinn zu finden in dem, was man tut, und sich darüber klar zu werden, welchen gesellschaftlichen Beitrag man leistet. Deshalb ist hier die Loyalität zum Zweck viel stärker ausgeprägt als zum Unternehmen selbst. Nicht selten findest du hier einen Hang zu Altruismus und Spiritualität vor.

Aqua-Kulturen bauen auf Netzwerkstrukturen anstatt auf starre Hierarchien. Mitarbeiter sind zur Selbstführung angehalten, was unter anderem dazu dient, resilientere Unternehmen zu schaffen, die mit nahezu jeder Krise umgehen können.

Dabei ist Aqua eigentlich selbst keine eigene Kulturfärbung. Vielmehr halten Unternehmen mit dieser Prägung alle weiteren Kulturfärbungen in Balance. Gerade die Gegensätzlichkeiten werden dabei integriert. Hier hat man verstanden, dass jede Farbe je nach Kontext ihre Vorteile ausspielen kann. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Firma Pixar, die auf starke Innovation angewiesen ist, aber gleichzeitig beispielsweise im Bereich Produktion vermehrt auf blaue Kultureinflüsse baut. Andere Beispiele für dieses Kulturfärbung ist die Eis-Firma Ben & Jerrys, die Kosmetikmarke The Body Shop, Wikipedia, Spotify und natürlich auch das Rote Kreuz, welches von Henry Dunant ins Leben gerufen wurde.

Welche Farben dominieren in deiner Unternehmenskultur?

Keine Unternehmenskultur leuchtet in einer einzigen Farbe. In jeder Unternehmenskultur sind alle Farben, also Kulturausprägungen mehr oder weniger stark vertreten. Im ersten Schritt ist es wichtig, herauszufinden, mit welcher Unternehmenskultur du es aktuell zu tun hast. 

Der Test hilft dir dabei, deine aktuelle Unternehmenskultur einzuschätzen. Dazu ist es wichtig, zu berücksichtigen, dass du mehr als eine Kultur in deinem Unternehmen vorfinden wirst. In der Abteilung für Forschung und Entwicklung herrscht sicher eine andere Kultur als in produktionsnahen Bereichen. Und das ist auch gut so. In der Produktion musst du sicherstellen, dass die Produkte in gleichbleibender Qualität vom Band laufen. Es braucht also eher eine blaue Kultur, da es hier wenig Freiraum für Experimente und Ausprobieren gibt. Auf der anderen Seite steht der Bereich Forschung und Entwicklung, der sich genau das auf die Fahnen schreiben sollte und somit stark von einer großen Portion Gelb profitiert.

Es gibt also keine guten oder schlechten Kulturen. Jede Kultur hat ihre Berechtigung im richtigen Kontext.

Wie soll deine zukünftige Unternehmenskultur aussehen?

Anstatt sich nur zu fragen, wie die zukünftige Kultur aussehen sollte, tun engagierte Scrum Master und Scrum Masterinnen gut daran, sich zu fragen, welche Elemente der aktuellen Kultur einer agileren Kultur im Unternehmen im Weg stehen. Es macht keinen Sinn, zu versuchen, eine Kulturfärbung der eigenen Organisation komplett loszuwerden. Es macht aber durchaus Sinn, den Einfluss der ein oder anderen Farbe zu reduzieren.

Nehmen wir mal an, du arbeitest in einer Firma im Bereich Medizintechnik oder einer anderen Branche, die stark reguliert ist, wie zum Beispiel Banken und Versicherungen oder der Automobilbranche. Mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit wirst du hier einen recht starken blauen Einfluss vorfinden. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn wer will dort später dem TÜV oder der BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) erklären, dass ihr intern keine standardisierten Prozesse habt? Du kannst diesen blauen Anteil in einer Unternehmenskultur also nicht komplett ausmerzen, weil man ihn zu einem bestimmten Anteil braucht. Du kannst dir aber die aktuellen Prozesse ansehen und dir überlegen, ob es nicht schlankere und flexiblere Wege gibt, um beispielsweise eine Traceability Matrix zu erstellen. Es soll immer noch Unternehmen geben, bei denen das komplett händisch erstellt wird. Dabei gibt es mittlerweile genug Tools am Markt, mit denen du das automatisieren kannst. Es schreibt auch niemand Unternehmen vor, dass Dokumente nur im Office erstellt werden dürfen. Ich habe mit einer Bank gearbeitet, da wurden die Dokumente in einem Wiki erstellt und erst ganz zum Schluss in eine entsprechende Dokumentation für die BaFin exportiert. Der Pflegeaufwand wurde so dramatisch reduziert und vor allem die gemeinsame Arbeit an den Dokumenten erleichtert.

Übung: Zielkultur definieren
Schaue dir die aktuelle Unternehmenskultur an. Wähle die Farben, die aktuell dominieren und überlege dir, wie sie dich dabei hindern, erfolgreich agil zu arbeiten. Überlege dir ein bis drei Experimente, wie du den Einfluss der Kulturfärbung reduzieren könntest. Nimm dir dann die Farben vor, die eher unterrepräsentiert sind. Welche Aspekte der jeweiligen Kulturfärbung könnten hilfreich für dich sein? Definiere ein bis drei Experimente, die dir dabei helfen sollen, die Farbe stärker zum Scheinen zu bringen.

Für alle, die wie die meisten von uns, in komplexen Umgebungen arbeiten, muss gleichzeitig eine Abkehr vom alten Erfolgs- und Performancedenken erfolgen. Für alle deine Experimente muss die und den Beteiligten klar sein, dass ein Teil davon scheitern kann und wird. Das liegt in der Natur des Experimentierens. Scheitern ist also nicht ein Misserfolg, sondern Ausdruck und Notwendigkeit für ein echte agile Kultur. Baue also unbedingt eine Feedbackschleife ein, um zu überprüfen, ob du mit deinen Annahmen und Maßnahmen erfolgreich warst. Wenn ja, dann bist du auf dem richtigen Weg, wenn nein, überlege dir, woran es gelegen haben könnte und was du anders machen könntest. Wenn sich das für dich schwer nach Retrospektive anhört, dann hast du mich genau verstanden.

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