Regeln versus Freiheit – es gibt gute Gründe, selbst zu denken und zu entscheiden

Was ist schon Freiheit? Reisen, Kino, Essengehen oder anderer Konsum? Freiheit der Gedanken? Diese Gedanken aussprechen zu dürfen? Oder ist es Freiheit aus seinem eigenen Willen Entscheidungen zu treffen – ohne äußeren Zwang?

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Ignore the rules
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Mauro Morandi lebt seit zweiunddreißig Jahren auf einer einsamen Insel im Norden Sardiniens. Es war das Jahr 1989, als er mit seinem Katamaran in Richtung Pazifik aufbrach. Auf der Höhe der Insel Budelli bekam er Probleme und musste dort an Land gehen. Vom ersten Moment an war er begeistert von der Insel. Er wollte dortbleiben, fernab der Gesellschaft und anderer Menschen. Er folgte dem Drang, sich einem Leben von Regeln und Pflichten zu entziehen, und erhoffte sich etwas, das nur sehr wenige Menschen haben: Freiheit.

Was wie das Märchen von Robinson Crusoe klingt, ist tatsächlich Realität. Morandi selbst beharrt darauf, nicht mit Crusoe verglichen zu werden.

»Robinson wollte zurück in die
Gesellschaft und ich nicht«

Mauro Morandi hat seine eigene Definition von Freiheit: alleine sein, Freiheit im eigenen Handeln und keinerlei Regelbefolgung zum Wohle der Gesellschaft.

Und was bedeutet für dich Freiheit?

Nur wenige machen sich darüber ernsthafte Gedanken. Viele reden von finanzieller Freiheit, örtlicher Freiheit oder Freiheit von Bestimmungen. Aber führt uns das wirklich zu einem Leben in Freiheit?

»Freiheit bezeichnet die Fähigkeit des Menschen, aus eigenem Willen Entscheidungen zu treffen«, so definiert das »Gabler Wirtschaftslexikon« den Freiheitsbegriff. Freiheit ist also gleichbedeutend mit autonomem Handeln.

Tatsächlich beschäftigt die Bedeutung von Freiheit Philosophen schon seit Jahrhunderten. Eine universelle und allgemeingültige Definition gibt es nicht. Freiheit ist von zu vielen verschiedenen Parametern abhängig und wird individuell empfunden. Vor zweitausend Jahren hat ein Sklave unter Freiheit etwas anderes verstanden, als Menschen es im 21. Jahrhunderten. Menschen in Nordkorea verstehen unter Freiheit etwas anderes als Menschen in Europa. Freiheit lässt sich nicht verallgemeinern. Das ist alleine schon der Tatsache geschuldet, dass der Freiheitsbegriff einem permanenten Wandel ausgesetzt ist, der soziale, psychologische, kulturelle, politische, rechtliche und religiöse Dimensionen beinhaltet.

Wirklich frei werden wir nie sein!

Betrachtet man die gesellschaftliche Bedeutung von Freiheit, muss man leider feststellen, dass wir wirklich frei nie sein werden. Wir Menschen sind immer Teil einer Gesellschaft, die gemeinsame Werte und Ideale hat. Oder Traditionen, die Regeln und Normen vorgeben.

In Deutschland sind viele Freiheiten reguliert, die einen kleinen Teil der Gesellschaft einschränken und dem größeren Teil Freiheit geben. So gibt es unter anderem Verordnungen, zu welchen Zeiten man in seiner Wohnung laut Musik hören darf. Einige fühlen sich durch diese Regulierungen in ihrer Freiheit eingeschränkt. Vielen anderen ermöglicht es die Freiheit, in Ruhe zu schlafen. Von diesen freiheitsbringenden Lärmschutzverordnungen gibt es eine ganze Menge. Man darf beispielsweise in den meisten Kommunen zwischen zweiundzwanzig Uhr und sieben Uhr und zwischen dreizehn Uhr und fünfzehn Uhr keine lauten Arbeiten durchführen. An Sonn- und Feiertagen gilt das Verbot für den ganzen Tag. Einige wenige Bürger werden sich dadurch eingeschränkt fühlen – zum Beispiel Unternehmer, die sechs Tage durcharbeiten und nur sonntags Zeit haben, den Rasen zu mähen. Diese Regulierung schränkt sie in ihrer Freiheit ein. Viele andere erhalten hierdurch die Freiheit, in Ruhe den Sonntag zu genießen. Solche Regeln und Gesetze ermöglichen Freiheit im Zusammenleben und orientieren sich an dem, was für die Mehrheit nützlich ist. Im Vordergrund steht immer das Kollektiv. Wer sich dem entziehen möchte, muss ein Leben wie Mauro Morandi führen – fernab jeglicher Gesellschaftsformen.

Das ist für viele unvorstellbar

Die Gründe sind in der menschlichen Natur zu finden. Der Mensch kann in vollständiger Isolation nicht überleben. Die Natur hat es nicht vorgesehen, dass wir alleine sind. Soziale Kontakte sind fest in unseren Grundbedürfnissen verankert. Weil dem so ist, gab und gibt es bis heute noch weltweit Isolationshaft in zahlreichen Gefängnissen. Es ist eine der härtesten Strafen überhaupt. Zahlreiche Gefangene haben Morde gestanden, die sie nicht begangen haben, nur um aus der Isolationshaft herauszukommen. Psychologen nennen sie »weiße Folter«, weil sie keine äußeren Spuren hinterlässt und schlimmer ist als jede Form der physischen Folter.

Der Mensch braucht den Kontakt zu anderen Menschen. Mal mehr, mal weniger. Aber er ist nicht dafür gemacht, ein Leben lang in Einsamkeit zu verbringen. Mauro Morandi und einige andere vielleicht, aber das sind absolute Ausnahmen. Das bedeutet: Wirklich frei werden wir nie sein. Als Kollektiv vielleicht, aber nicht als Individuum.

Wir sind auf die Akzeptanz der Mitmenschen angwiesen

Will man nicht alleine sein, ist man auf die Akzeptanz seiner Mitmenschen angewiesen. Für diese Akzeptanz werden Regeln und Normen befolgt. Entspricht man nicht der gesellschaftlichen Norm, müssen deutliche Einschränkungen der persönlichen Freiheit hingenommen werden. Als Folge distanziert sich die Masse von Individuen, die nicht regelkonform handeln. Für die betroffene Person selbst bedeutet das soziale Isolation.

Gesteht das Kollektiv Individuen individuelle Freiheit zu, entsteht eine Wechselbeziehung zwischen individueller und kollektiver Freiheit. Diese Wechselbeziehung herrscht immer dann, wenn wir die Freiheit, die wir für uns selbst beanspruchen, auch anderen zugestehen. Was logisch klingt, sieht in der Realität oftmals anders aus, was uns große gesellschaftliche Probleme bereitet.

Was das Kollektiv macht, ist in Ordnung …

Individuelles hingegen ist nicht erwünscht. Wer anders ist und seine individuelle Freiheit auslebt, wird selten von der breiten Masse akzeptiert.

Individuelle Freiheit bedeutet: Handlungsfreiheit, Bewegungsfreiheit, Bildungsfreiheit, finanzielle Freiheit und Religionsfreiheit, um einige Beispiele zu nennen.

Beschäftigt man sich mit dem Freiheitsbegriff, lohnt sich ein Blick auf innere und äußere Freiheit. Letztere ist sehr einfach zu erklären: Man ist unabhängig, wird nicht unterdrückt und befindet sich nicht in irgendeiner Form der Gefangenschaft. Das rechtliche, soziale und politische Umfeld bietet einem die Möglichkeit, sich ohne äußere Einschränkungen frei zu bewegen. Wir können uns an der Stelle glücklich schätzen, in Deutschland geboren zu sein oder zu leben. Es gibt viele Länder auf der Welt, wo diese Form der äußeren Freiheit nicht gegeben ist. Was es bedeutet, wenn äußere Freiheit eingeschränkt ist, konnte jeder von uns während der Lockdowns im Zuge der Coronapandemie erfahren.

Von mindestens genauso großer Bedeutung ist die innere Freiheit. »Diese bezieht sich auf den Menschen und darauf, seine persönlichen, ihm zur Verfügung stehenden Fähigkeiten ohne Zwang oder Druck zu nutzen« (Kraus 2021). Aber reicht innere Freiheit, um wirklich frei zu sein? Oder ist man in Wirklichkeit nur ein Gefangener seines eigenen Systems? Wer Antworten sucht, muss erkennen, dass wir objektiv frei sind, subjektiv aber nur ganz wenige von uns (von Behr 2020).

In die äußerliche Freiheit werden wir größtenteils reingeboren. Mit innerer Freiheit wird hingegen niemand geboren. Diese Form der Freiheit müssen wir uns erarbeiten. Innere Freiheit ist ein Prozess, der immer in Gang bleibt. Wer das erkennt, hat zahlreiche Möglichkeiten, sie sich zu verschaffen.

Narrative die uns einsperren

Es kommt so oft vor, dass wir unsere Gefühle unterdrücken und uns nicht trauen, sie auszusprechen. Uns werden vom Kindesalter an gesellschaftliche Normen vermittelt, fast indoktriniert, sodass wir teilweise wie Marionetten in einem System gefangen sind. Es wird vorgegeben, was wir wie zu machen haben. Das bekommen wir in der Schule bereits gelehrt:

Gute Noten bedeuten einen guten Abschluss, einen gut bezahlten Job und sind Grundstein für ein glückliches und erfolgreiches Leben.

Doch diese triviale Erzählung beraubt uns oftmals unserer inneren Freiheit. Es werden falsche, limitierende Glaubenssätze vermittelt. Das hat zur Folge, dass Menschen häufig Entscheidungen treffen, die nicht primär ihnen selbst nutzen, sondern die dazu führen, dass sie in das jeweils gültige Gesellschaftsbild passen. Das Individuum soll den Erwartungen der Gesellschaft entsprechen und so das bestehende System stabilisieren.

Wer so handelt und sich die Glaubenssätze seiner Umwelt zu eigen macht, zahlt einen hohen Preis. Er gibt seine innere Freiheit auf. Die Konsequenz daraus ist ein fremdbestimmtes Leben. Man ist eine Marionette, die gesteuert werden kann. Innere Freiheit ist also streng verknüpft mit einem selbstbestimmten Leben.

Seit einigen Jahren findet ein gesellschaftlicher Wandel statt. Die Anzahl derer, die für sich selbst ein selbstbestimmtes Leben beanspruchen, wird immer größer. Ein Großteil der Generationen Z und Y erhebt den Anspruch, innerlich frei zu sein, bereits für sich.

Lebensglück und Erfolg sind ganz eng an Freiheit und Unabhängigkeit gekoppelt. Dafür müssen wir aufhören, die Erwartungen anderer Menschen erfüllen zu wollen. Vielmehr müssen wir unseren eigenen Erwartungen gerecht werden. Wir müssen Regeln und Normen hinterfragen und bewerten. Nur so haben wir eine Chance, aus unserem inneren Gefängnis auszubrechen. »Die Fähigkeit, ein Nein auszusprechen, ist der erste Schritt zur Freiheit«, so denkt der Schriftsteller Nicolas-Sébastien de Chamfort über Freiheit.

Es ist lohnenswert, Freiheit für sich selbst zu definieren und sich mit der Frage »Was bedeutet für mich Freiheit?« intensiv auseinanderzusetzen. Für mich bedeutet Freiheit, kein Gefangener meiner Gedanken und Emotionen zu sein. Innere und äußere Freiheit resultieren aus diesem Anspruch. Aber das ist nur meine ganz persönliche Definition von Freiheit.

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