Zehn Prozessweisheiten bei der Einführung agiler Teams

Unternehmen die agile Teams einführen wollen sollten einiges Grundlegendes beachten. Denn Ziel ist es, einen gemeinsamen Weg zu gehen. Jedoch nicht zu einem beliebigen Ziel und auch nicht planlos. Erst wenn Ziel und Rahmenbedingungen stehen, wird das Ergebnis zur Unternehmenskultur passen und von allen Beteiligten mitgetragen.

Der Erfolg in der Umsetzung liegt vor allem darin, das Prinzip der Selbstorganisation bereits in den Einführungsprozess zu tragen. Hierzu braucht es klare Regeln und ein transparentes Vorgehen. Es geht darum, gemeinsam einen Weg zu gehen, jedoch nicht mit beliebigem Ziel und auch nicht unvorbereitet. Bildlich gesprochen muss sich jemand Gedanken um das Schuhwerk, die Kleidung und die Sicherheit machen, ohne die Route und das Ziel für die anderen schon festgelegt zu haben. Nur dann wird das Ergebnis zur Unternehmenskultur passen und von den Beteiligten mitgetragen werden. Dafür muss der Einführungsprozess sorgfältig geplant und umgesetzt werden.

Jedes Unternehmen kann und muss ihr agiles Teamkonzept entwickeln

Der Einführungsprozess von agiler Teamarbeit muss spezifisch sein, dabei ist der erste Schritt das Herstellen von Rollenklarheit: Welche Hierarchieebenen und konkret welche Personen haben welche Aufgaben, Verantwortung und (Entscheidungs-) Kompetenz? Des Weiteren ist zu klären, was die Schnittstellen zu anderen Rollen im Management und gegebenenfalls auch in der Projektwelt sind.

Um einen möglichst barrierefreien Übergang zu gestalten, ist es wichtig, dass die Mitarbeiter Einfluss darauf nehmen können, wie genau die Umsetzung aussehen soll. Deshalb ist ein Customizing des Einführungsprozesses erforderlich: Welche Unternehmensteile werden einbezogen? Wie schnell erfolgt die Einführung? Welche Kommunikationswege werden genutzt?

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Mitunter wird es hier zwischen Unternehmen größere Unterschiede geben als in der Form, in der agile Teamarbeit hinterher durchgeführt wird, denn hier haben Unternehmenskultur, Erfahrung mit Veränderungsprozessen, Sicht auf Externe (Berater), Aufgaben und Befugnisse von Stabsstellen et cetera einen großen Einfluss.

Sicherheit durch Verfahren: ein partizipatives Vorgehen mit transparenten Regeln

Bei der erstmaligen Einführung einer agilen Arbeitsweise im Team betreten alle Akteure im Unternehmen Neuland und wissen nicht, was auf sie zukommt. Das gilt für Entscheider ebenso wie für die ihnen unterstellten Führungskräfte und nicht zuletzt für die Mitarbeitenden in den agilen Teams. Sicherheit kann hier vor allem ein stabiles Verfahren stiften, das jederzeit transparent ist und bei dem für alle Beteiligten deutlich wird, wann und von wem welche offenen Fragen geklärt beziehungsweise entschieden werden. Deshalb kommt es darauf an, bei der Anpassung des unternehmensspezifischen Konzepts und der Vorbereitung einer Erprobungsphase von Anfang an dafür zu sorgen, dass alle Beteiligten wissen,

  • was als Leitplanken zur klaren Orientierung vorgegeben ist,
  • in welchem Umfang und auf welche Weise sie ihre Vorstellungen und Erfahrungen als Mitarbeiter oder Teamleiter einbringen können und
  • nach welchen Regeln der Vorbereitungs- und Einführungsprozess abläuft.

Sich für den Weg einer frühzeitigen und umfassenden Beteiligung zu entscheiden, erfordert von der Führungsebene ein erhebliches Maß an Vertrauen in die eigenen Mitarbeiter – und es zahlt sich aus in Form von spürbarer Entschlossenheit und geteilter Motivation, das ungewisse Neuland gemeinsam zu erkunden.

Rollenklarheit und -schärfung

Wie zahlreiche Fälle aus der Unternehmenspraxis zeigen, kann erst im Laufe der praktischen Arbeit mit den neuartigen Rollen schrittweise Klarheit darüber gewonnen werden, zum Beispiel was im Einzelnen zu den Rechten und Pflichten eines Scrum Masters gehört oder wo ein Product Owner klare Prioritäten setzen muss und wo er sich besser im Hintergrund hält. Als Prozess verstanden, bedarf die Klärung und Schärfung dieser neuen und veränderten Rollen im agilen Arbeitsprozess einer besonderen und anhaltenden Aufmerksamkeit: Hier ergeben sich regelmäßig Rollenkonflikte und enttäuschte Erwartungen. Diese bedürfen einer unverzüglichen Bearbeitung im Rahmen der Prozessbegleitung durch Führungskräfte oder Berater, um die gemeinsame Linie im Einführungsprozess zu verdeutlichen. Gerade in der Fähigkeit und Bereitschaft, den erreichten Stand der Umsetzung immer wieder kritisch zu reflektieren, liegt der Schlüssel zur kontinuierlichen Verbesserung und Weiterentwicklung einer Organisation, die den Namen agil auch auf lange Sicht verdient.

Besonders in Teams mit kreativen Köpfen können Standards im laufenden Einführungsprozess entwickelt werden.

Jeder Einführungsprozess ist gleichzeitig ein Entwicklungsprozess. Wenn die Beteiligten eine ausreichend hohe Toleranz gegenüber Unsicherheiten haben sowie viele Freiheitsgrade und hohe Komplexität gewohnt sind, ist es in der Regel erfolgreicher, das Umsetzungskonzept nicht erst ausführlich auszuarbeiten und erst nach der abschließenden Fertigstellung mit der Einführung zu beginnen. Es kommt der Prozessqualität wie der Passgenauigkeit in der späteren Durchführung zugute, wenn Konzeptphase und Pilotphase nicht scharf getrennt werden. Gegebenenfalls können auch mehrere Lösungsvarianten separat vorangetrieben werden. Die Entscheidung über die langfristig gültige Variante muss dann erst getroffen werden, wenn ausreichend Erfahrungen mit diesen Varianten vorliegen. Die Erfahrung zeigt, dass zum Beispiel Entwickler ein solches offenes Vorgehen schätzen und dass sie auch in der Lage sind, es konstruktiv mitzutragen. In der Fertigung oder Verwaltung ist der Bedarf nach vorgedachten Konzepten in der Regel höher.

Führung mit Vertrauensbereitschaft

Als Schlüsselfrage im Einführungsprozess erwies sich immer wieder das Verhalten der Führungskräfte, wenn es etwa im Meeting zur Planung der nächsten Sprintaufgaben um die Frage ging, wie viel Aufwand zur Bearbeitung eines konkreten Arbeitspakets realistischerweise aus Sicht des agilen Teams notwendig sein würde. Hier ist Vertrauen der Führung darin erforderlich, dass die Teams im Sinne des Unternehmens verantwortlich planen und arbeiten. Eine entscheidende Frage für den gesamten weiteren Prozess ist, ob dieses Vertrauen in die Kompetenz und Verantwortlichkeit der Teams vorhanden ist.

Falls deutlich werden sollte, dass dies nicht der Fall ist, wird am besten ein Beobachtungszeitraum vereinbart, in dem das Verhalten der Beteiligten unter den neuen Bedingungen erprobt werden kann. Empfehlenswert ist es, zunächst mit einem Vertrauensvorschuss zu beginnen und dann auszuwerten, ob dies im Wesentlichen zu den erhofften Prozessen und inhaltlichen Ergebnissen geführt hat. Wenn sich längerfristig zeigt, dass entweder dieses Vertrauen nicht gerechtfertigt scheint oder ein noch vertrauensvollerer Umgang möglich ist, sind gegebenenfalls Veränderungen vorzunehmen.

Auch Teammitglieder müssen Vertrauen aufbringen

Die Mitarbeiter in den agilen Teams müssen für die Sprintplanungen offenlegen, wie viele Stunden sie im nächsten Sprint tatsächlich für das Team zur Verfügung stehen und wie viele Aufgaben sie schaffen. Unproduktive Zeiten oder aufwendige Nebenarbeiten werden sehr deutlich sichtbar – gegenüber Kollegen, unter Umständen auch gegenüber Vorgesetzten. Ebenfalls deutlich wird, wo Mitarbeiter gegebenenfalls noch heimliche Puffer haben, mit deren Hilfe sie übergroßen Belastungen ausweichen können. Geringe Transparenz kann die Mitarbeiter so auch vor unangenehmen Fragen und Überlastung schützen.

Diese intransparenten Bereiche mit der Einführung von agiler Teamarbeit aufzugeben erfordert ebenfalls Vertrauen – gegenüber den Kollegen wie gegenüber dem Scrum Master und Vorgesetzten. Dafür sind gegebenenfalls Schutzangebote (zum Beispiel Verbesserungen im Prozess, wertschätzender Umgang mit alltäglichen Unzulänglichkeiten, Ressourcenverschiebungen et cetera) nötig, damit diese Transparenz nicht gegen den jeweiligen Mitarbeiter gewendet wird. Schlussendlich ist dies auch eine Frage, inwieweit die Unternehmenskultur dazu beiträgt, einen vertrauensvollen Umgang zu fördern.

Gerade bei den bewährten agilen Methoden wie Scrum oder Kanban, die ja mit sehr genauen Verhaltensregeln hinterlegt sind, ist es bedeutsam, die Menschen auch im Denken und Fühlen abzuholen und zu schulen. Das bedeutet, dass es bei der Einführung nicht darum geht, auf das statische Einhalten eines Workflows zu beharren. Vielmehr sollen agiles Denken und grundlegende Prinzipien wie Kundenorientierung, Verbindlichkeit und Verantwortung als dem Handeln zugrunde liegende Orientierungsraster trainiert werden. Die beschriebenen Regeln sollen diese Prinzipien lediglich unterstützen, deren stures Befolgen ist kein Garant dafür, dass diese tatsächlich gelebte Praxis werden.

Von besonderer Wichtigkeit ist, dass sich die Teams selbst einen Workflow erarbeiten, der ihnen erste Erfolgserlebnisse verschafft und zu ihren Aufgaben passt.

Der Einführungsprozess muss die erste agile Erfahrung für Mitarbeiter und Führungskräfte sein

Selbstverpflichtung und gegenseitige Verpflichtung zu dem Ziel, auf das sich alle Teammitglieder committet haben, stellt die Basis der gemeinsamen Arbeit dar. Und dies bereits (und besonders) im Einführungsprozess! Dies ist von Anfang an mitzudenken und vom ersten agilen Tage an gilt es, diese als die Triebfedern des Arbeitens zu fördern – wenngleich nicht erwartet werden kann, dass diese vom ersten Tage an auch als funktionierende gelebte Praxis in die DNA der Mitarbeitenden festgeschrieben ist.

Auch hier gilt wieder, dass es nicht um die sture Einhaltung von Milestones und Terminplänen geht, sondern darum, bereits beim Einführungsprozess die spürbare Erfahrung zu machen, dass Verbindlichkeit und Verantwortung die Motoren der Arbeit sind – auch wenn diese erst mal ins Laufen kommen müssen. Das bezieht sich sowohl auf das Tempo der Veränderung, Reihenfolge und die Art und Weise wie sie geschieht.

Dieses neue Denken manifestiert sich bei den Teammitgliedern in der Frage: »Was will die Organisation als Kunde von mir als Team (beziehungsweise Dienstleister)«?

Bereichsübergreifendes Arbeiten als besondere Herausforderung bei der Einführung agiler Methoden

Bei allem Neuen und Begeisternden sowie den anderen Sichtweisen, die agiles Arbeiten mit sich bringt, erleben wir immer wieder, dass es an einem ganz alten Problem scheitert. Den Schwierigkeiten der bereichs- und fachübergreifenden Zusammenarbeit: Fachliche Zwänge werden persönlich ausgelegt, es wird um die Deutungshoheit zwischen Fachbereichen gestritten und wichtige Inputs werden wegen der verschiedenen professionellen Herangehensweisen nicht beachtet. Dies sind altbekannte Probleme und alleine der Wille zu agilem Arbeiten räumt diese auch nicht aus.

Aus diesem Grund sollten agile Rituale und Methoden, die diese Kommunikationshindernisse abbauen, möglichst früh installiert werden (zum Beispiel Retrospektive, Review). Sie geben zum einen Sicherheit und zum anderen erlauben sie ein Warmwerden mit und im besten Falle Erlernen von der doch so fremden Denk- und Handlungslogik einer anderen Profession. Praktisch und sehr anschaulich lässt sich dies immer wieder anhand der sprichwörtlichen Katz und Maus-Spiele zwischen Kaufleuten und Ingenieuren erleben, ebenso allerdings auch zwischen Entwicklern und Kundendienstmitarbeitern. Die Erfahrung aus vielen Projekten zeigt: Gerade wenn mit der Einführung einer neuen, agilen Vorgehensweise für viele Beteiligte unbekanntes Terrain betreten wird, dann schaffen standardisierte, leicht wiedererkennbare Rituale eine ausgleichende Stabilität in unsicheren Zeiten – wir bezeichnen diesen Faktor gerne als Sicherheit durch Verfahren.

Die Einführung ist nie endgültig abgeschlossen

Es gibt bei der Gestaltung von Prozessen in Organisationen nie einen Endzustand, der beliebig lange beibehalten werden kann. Die Randbedingungen ändern sich, ebenso die Erfahrungen im Unternehmen. Deshalb müssen Reviews, Weiterentwicklungen und Standards aus dem Einführungsprozess weiter genutzt werden.

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