Kennen Sie das? Alle reden über ein Problem, machen Lösungsvorschläge und am Ende tut keiner etwas. Dieses Muster breitet sich wie ein Geschwür überall aus. An Stammtischen ist es noch amüsant und hat durchaus seine Berechtigung. Aber wenn es in den Alltag geht, mit seinen realen Problemen, dann ist das einfach nur Zeitverschwendung. Und es ist an erster Stelle mit dafür verantwortlich, dass wir überlastet sind. Wir beschäftigen uns mehrfach mit den gleichen Problemen, ohne sie zu lösen. Sie kommen immer wieder. Wir finden dieses Muster in Familien, im Büro, in Meetings, in Baubesprechungen, in politischen Versammlungen und ganz besonders in Vereinen.
Toll, ein anderer macht’s
Eine Spielart dieses Musters heißt t-e-a-m – toll, ein anderer macht’s. Am Ende ist zwar niemand schuld, aber es gibt eben auch keine Lösung. Und schon ist das Problem wieder auf dem Tisch. An dieser Stelle kommt der soziosystemische Erfolgsfaktor Verantwortung ins Spiel. Wohlgemerkt, es geht dabei nicht um die Verantwortung des Einzelnen, sondern um die Verantwortungskultur. Dieses Thema beginnt in der Familie, spannt sich über den Freizeitbereich, die Kommunen und die Arbeitswelt bis in die Gesellschaft. Wie wird Verantwortung verteilt, wie wird sie wahrgenommen? Wie werden Verantwortungsträger honoriert, wie viel Respekt und Achtung bringt man ihnen entgegen?
Irgendwo habe ich einmal einen interessanten Satz gelesen: Es ist dem Starken eine Ehre, Verantwortung für den Schwachen zu übernehmen. Wie nah sind wir dieser Aussage oder wie fern? In Familien ist dieser Grundsatz noch einigermaßen intakt. Da übernehmen die Eltern ganz selbstverständlich Verantwortung für die Kinder, unterstützen sich gegenseitig. Eine andere Frage ist es, ab wann und in welchem Umfange die Kinder ebenfalls Verantwortung übernehmen. Das kann nicht nur die Eltern entlasten, sondern bereitet die Heranwachsenden auch auf die Übernahme späterer Verantwortungen in der eigenen Familie und im Berufsleben vor, konditioniert sie sozusagen.
In der Arbeitswelt ist die Übernahme von Verantwortung oft nicht freiwillig, sondern wird angeordnet. Es gibt Arbeitsverträge, Stellenbeschreibungen und Anweisungen. In unterentwickelten Verantwortungskulturen, in denen der soziosystemische Erfolgsfaktor Verantwortung gering ausgeprägt ist, drücken sich die Menschen vor der Verantwortung. Sie weichen ihr aus, schieben sie auf den Nachbarn und entwickeln Perfektion im Finden von Gründen, warum etwas nicht funktioniert, oder besser: gar nicht gehen kann. Das trifft auf die sogenannte Durchführungsverantwortung zu – eine übertragene Aufgabe in guter Qualität mit geringstem Aufwand und termingerecht zu erfüllen – besonders jedoch auf die Gestaltungsverantwortung. Diese hat einen hohen Anspruch. Die Bedingungen für die Erfüllung einer Aufgabe so zu gestalten, dass die Lösung möglich wird. Aus dem Blickwinkel der Gestaltungsverantwortung verbietet sich der Satz »Ich konnte nicht, weil …«. Der Verantwortliche kümmert sich selbst darum, alle Voraussetzungen zu schaffen, das Werkzeug zu besorgen, die Informationen bereitzustellen, Zusammenarbeit zu organisieren und die erforderliche Motivation zu erzeugen, damit der gewünschte Erfolg eintritt.
Wie kann man die Freude an Verantwortung in seinem Umfeld verstärken?
Das wäre ja eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass mehr Menschen Verantwortung übernehmen. Dadurch könnte sie sich gleichmäßiger im System, in der Familie, im Sportverein, im Unternehmen verteilen und für den einzelnen Verantwortungsträger würde das Leben etwas leichter. Es gibt zwei entscheidende Punkte, die dafür wichtig sind. Zunächst kann man Menschen an das Tragen von Verantwortung regelrecht gewöhnen, ihnen die Angst davor nehmen. Der entscheidende Punkt dabei ist, niemals jemandem mehr aufzubürden, als er oder sie ohne große Schwierigkeiten tragen kann. Es gibt leider immer noch verbreitet die Devise, stets etwas mehr zu verlangen, als die Menschen leisten können, um sie zur Grenzüberschreitung zu veranlassen. Aber das ist eine uralte Methode, die heute bei vielen versagt und genau zu dem Frust führt, der die Ursache für Drückebergerei vor Verantwortung ist. Verantwortung klug zu dosieren, bietet sich nicht nur bei Kindern an, sondern muss generelles Prinzip in allen Bereichen unseres Lebens werden, gegenüber Kollegen, Mitarbeitern, Freunden und gegenüber sich selbst.
Wer Verantwortung trägt, macht Fehler
Der zweite Punkt hat mit Fehlern zu tun. Jeder, der Verantwortung trägt, macht auch Fehler: Das ist völlig normal und auch gut so. Fehler sind wunderbare Ausgangspunkte für Entwicklung. Gäbe es keine Fehler, wäre alles in Ordnung, dann brauchte man nichts zu verändern. Nur durch Fehler und Mängel entsteht Fortschritt. Wir kennen im umgekehrten Fall, dass erfolgreiche Menschen und Unternehmen nichts lernen, nichts ändern, einfach so weitermachen – schließlich gibt ihnen der Erfolg ja recht – und irgendwann den Anschluss an die Entwicklung der Konkurrenz verpasst haben.
Nun ist den meisten Menschen die positive Rolle von Fehlern klar. Aus Fehlern zu lernen, ist ein gern verwendetes Motto. Und trotzdem werden wir in der Praxis für Fehler in der Regel sanktioniert. Das geschieht mitunter durch Kleinigkeiten, indem zum Beispiel der Vorgesetzte die Fehlerauswertung des Vortags in überlegen-vorwurfsvollem Tone durchführt. Oder – ich erinnere eine Situation im Restaurant, wo ein Vater am Nebentisch seinen Sohn rüffelte, weil er sich ein Gericht ausgesucht hatte, das sich für ihn als zu scharf erwies: »Das musst du doch wissen, kannst du nicht lesen …« So ging das die ganze Zeit, bis die Mutter schließlich eingriff. Das machte es für den Jungen aber auch nicht wirklich besser. Er hatte versucht, die Verantwortung für die Auswahl seines Mittagessens selbst zu übernehmen, einen Fehler gemacht und wurde bloßgestellt. Wahrscheinlich hat der Junge daraus etwas gelernt, aber Freude an Verantwortung sicher nicht.
Stellen Sie sich vor, Sie wären in Ihrem gesamten Umfeld, Familie, Sportverein und in der Firma, in eine Atmosphäre von Sinn, Vertrauen, Offenheit und Verantwortung eingebettet, alle Menschen um Sie herum würden diese Werte leben. Das wären wahrhaft paradiesische Zustände, das Leben würde nur so flutschen. Das gibt es nicht? Richtig. Das wäre ja auch perfekt, und das ist nun mal selten. Schlau statt perfekt, ist die Devise. Dafür müssen wir die soziosystemischen Erfolgsfaktoren entwickeln, gestalten und die Möglichkeiten der sozialen Systeme nutzen. So gut, wie uns das in den konkreten Situationen des Alltags möglich ist. Dann wird es besser.
Essenzen
# Nichts bewegt sich ohne Menschen!
In komplexen Welten wird menschlicher Einfluss immer wichtiger. Nur Menschen können komplexe Probleme lösen.
# Manager sind nicht nur Fachexperten, sondern müssen auch Sozialarbeiter sein!
Sie brauchen Verständnis für die sozialen Systeme, ihre Gesetzmäßigkeiten und für deren Nutzung.
# Vier soziosystemische Erfolgsfaktoren wirken im Hintergrund und bewegen die Welt!
Sinn, Vertrauen, Offenheit und Verantwortung entscheiden über die Leistungsfähigkeit sozialer Systeme.
# Die soziosystemischen Erfolgsfaktoren lassen sich nicht anweisen!
Sie sind Ausdruck der Kultur des sozialen Systems und müssen bewusst und gemeinsam gestaltet werden.
ist Physiker, Unternehmer und Autor. Er lebt in der Nähe Hannovers und arbeitet als Impulsgeber und Sparringspartner für Unternehmer, Führungskräfte und Politiker.