Kreativität, so der Neurowissenschaftler Dr. Henning Beck, ist die Königsdisziplin des menschlichen Gehirns. Und eine besondere Voraussetzung für geistige Schaffenskraft ist die Neugier. Neugier hat nicht immer einen guten Ruf. In diesem Wort steckt der Begriff »Gier«, also heftiges maßloses Verlangen, was nicht überall geschätzt wird. Neugier ist Wissensdurst gepaart mit der Bereitschaft, Neues zu entdecken, sich bewusst ungewohnten Situationen auszusetzen und seine Denkweise in eine andere Richtung zu lenken.
Neugier, das Streben nach Unbekanntem, ist eine Eigenschaft, welche derzeit in zahlreichen Betrieben gefragt ist. Es werden Tests entwickelt, um Menschen zu finden, die sich durch Neugier auszeichnen sowie Development- Abteilungen ausgebaut, welche die Aufgabe hatten, nach zukünftigen lukrativen Geschäftsmodellen Ausschau zu halten.
Neugierige Menschen sind keine Schnüffler, die in den dunklen Ecken ihrer Mitmenschen stöbern, sondern gerne tüfteln, wissensdurstig sind und dazu neigen, ausgetrampelte Denkpfade zu verlassen. Mit einem von »Neugier-Experten« entwickelten Würfelspiel bei- spielsweise gelang es einer Großbank, die bei ihrer Belegschaft Ideen und Anregungen sammeln wollte, ein breit gefächertes Bündel an innovativen Ideen zu finden. Neben dem Einsatz von Spielen gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die Kreativität anzukurbeln. Eine bewährte davon ist die Walt-Disney-Methode. Sie regt das multiperspektivische Denken an, indem jeder Teilnehmer reihum in die Rolle des Träumers, des Realisten und des Kritikers schlüpft. Auf diese Weise kann jeder ein Problem aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Das fördert kreatives, ganzheitliches Denken.
Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.
ALBERT EINSTEIN (1879–1955), NATURWISSENSCHAFTLER
Kreativität, also die Fähigkeit, Probleme durch schöpferische Ansätze zu lösen, ist in jedem Gehirn angelegt. Unsere Persönlichkeit ist das Ergebnis aus genetischer Veranlagung, vorgeburtlicher und frühkindlicher Prägung und die Summe unserer Erlebnisse und Erfahrungen. Es gibt keine Hinweise auf genetische Dispositionen für Kreativität. Vielmehr stellten die Hirnforscher fest: und zündende Ideen zeigen insbesondere jene Menschen, die auf einen umfassenden, auch gegensätzlichen Erfahrungsschatz blicken und von daher auf Alternativen bei der Bewältigung von Herausforderungen gepolt sind.
»Die Fähigkeit, neue Ideen zu entwickeln (…), ist eine Frage der Haltung und ob man Menschen ermutigt, die Dinge aktiv zu hinterfragen. Leider machen wir heute häufig das Gegenteil. Wir fordern, dass Menschen fehlerfrei und akkurat denken, und unterschätzen dabei, dass Kreativität immer darauf aufbaut, dass man mit Denkmustern bricht oder Denkschemas ungewohnt kombiniert. Das ist unbequem, aber der einzige Weg, um wirklich gute Ideen zu entwickeln«. Konvergentes Denken kommt zwar dem menschlichen Grund- bedürfnis nach Kontrolle, Ordnung und Orientierung entgegen, das fördert jedoch auch Schwarz-Weiß-Denken. Mit Mustern zu brechen ist bestens geeignet, neue Ideen zu finden. Musterbrecher sind keineswegs gegen alles, wie man ihnen in manchen Unternehmen vorwirft. Menschen kommen auf die Welt, ohne ein einziges Muster im Kopf zu haben. Deshalb können Menschen auch nahezu überall aufwachsen. Nach vielen Lebensjahren ist der Schädel allerdings mit unzähligen Mustern gefüllt.
Was braucht ein Unternehmen, um Neuerungen auf den Markt zu bringen? Geld, Ideen, kreative Köpfe und natürlich ein Topmanagement, das innovative Entwicklungen unterstützt und beschleunigt. Kernelement ist oft eine umfassende Kommunikation quer durch das Unternehmen. Und vor allem Geduld, denn die Einführung neuer Maßnahmen braucht Zeit für die Umsetzung.
Die Einrichtung einer Innovationsabteilung allein reicht jedoch nicht, um bahnbrechende Erneuerungen zu schaffen. Hierfür sind auch entsprechende Mitarbeiter erforderlich. Gefragt sind kreative, ideenreiche und pfiffige Köpfe, also Mitarbeiter, die »out of the box« denken und die vor allem über zwei Eigenschaften verfügen: Neugier und Kreativität. Und diese Mitarbeiter buchen dann oft einen Kreativitätsworkshop.
Wenn Sie heute irgendeine Idee auf der Welt zerstören wollen, sorgen Sie dafür, dass ein Komitee darüber berät.
CHARLES KETTERING (1876 –1958), INGENIEUR, WISSENSCHAFTLER
Was kann zum Beispiel der Trainer tun, um in Seminaren Neugier und Kreativität zu wecken. Neugier ist eine der bevorzugten Möglichkeiten, die Aufmerksamkeit zu lenken, denn unser »Neuigkeitsdetektor«, der Hippocampus, springt auf Neues besonders gerne an. »Man erzeugt Neugier, indem man Informationen zurückhält und ein Geheimnis schafft. Apple legt auch nicht jeden Schritt seiner Hardware-Entwicklungsabteilung offen, sondern verzögert geschickt bis zur hauseigenen Keynote, streut vorher noch ein paar Gerüchte und enthüllt das neue Smartphone erst am Schluss mit großem Getöse.«
Wer permanent die gleichen Inhalte präsentiert, riskiert, dass Aufmerksamkeit und Neugier sinken. Wer etwas Unklarheit schafft, sei es durch Unterbrechungen, durch Abwechslung oder durch Testen, fördert zudem das »Kapieren auf den ersten Blick«, das One-shot-Learning.
Michael Kühl-Lenjer verknüpft langjährige Vertriebs-, Führungs- und Trainingserfahrungen mit aktuellen Erkenntnissen der Gehirnforschung. Als Business-Trainer und Kommunikationsberater unterstützt er Unternehmen und Ausbildungsinstitute dabei, neurowissenschaftliche Aspekte in ihre Aus- und Weiterbildung einfließen zu lassen. Michael Kühl-Lenjer ist Mitglied in der Akademie für neurowissenschaftliches Bildungsmanagement (AFNB) und bezieht seine neurobiologischen Kenntnisse direkt von Wissenschaftlern.