Denkfabrik statt Tretmühle

Vom ersten Tag an ist alles standardisiert. Dem genormten Einstellungsprozess folgt der standardisierte Einarbeitungs-, Bewertungs-, Beförderungsprozess. Der Produktionsprozess regelt genau, was wer in der Fertigung zu tun hat, der Evaluationsprozess stellt sicher, dass die Qualität gleichbleibend ist. Alltag in deutschen Unternehmen. Manager haben gelernt, alles zu regeln, zu kontrollieren und auf Effizienz zu trimmen. Das macht auch in vielen Bereichen Sinn. Nur es verhindert eines: kreative Denkprozesse …

In einem Unternehmen lässt sich scheinbar alles in vorgefertigte Abläufe pressen. Vom ersten Tag an werden neue Mitarbeiter mit standardisierten Prozessen konfrontiert: Dem Bewerbungs- und Einstellungsprozess folgt der Einarbeitungsprozess, es gibt Weiterbildungs-, Bewertungs- und Beförderungsprozesse, der Produktionsprozess regelt genau, wer was wie in der Fertigung zu tun hat, ein Evaluierungsprozess stellt sicher, dass die Qualität immer gleichbleibend hoch ist und so weiter. Manager haben es gelernt, Prozesse zu entwickeln, zu optimieren und zu kontrollieren, Regeln aufzustellen, Schnittstellen zu identifizieren und die Prozesseffektivität zu messen. In fast allen Bereichen eines Unternehmens macht das auch Sinn. Nur in einem nicht: Kreativität. „Das Streben nach schlanken Abläufen hat viele Unternehmen dazu veranlasst, die Stillstandszeiten aus menschlichen Prozessen herauszunehmen,“ schreibt Kirsten D. Sandberg von der Harvard Universität. „Was wir Stillstandszeiten oder ungenutzte Kapazität bei einer Maschine nennen, könnte beim Menschen mit Denkzeit oder Inkubationszeit gleichgesetzt werden.“

Sandberg geht weiter. Dem Management großer Unternehmen fehle es an Verständnis für den Ablauf kreativer Denkprozesse. Manager denken in klassischen Produktionsprozessen. „Wenn die meisten Menschen an Produktion denken, dann denken sie an den Input (beispielsweise Leder und Gummi), an eine Art von Transformation (schneiden und sägen) und das Ergebnis (Schuhe). Diese Prozesse sind linear, eindeutig und vorhersehbar. Wir können sie anfassen, analysieren und verbessern, indem wir Zeit und andere Ressourcen verbessern. Zeit ist Geld. Weniger ist mehr: Je kürzer ein Prozess dauert, desto mehr Geld verdient man. Ein Gedanke jedoch entstammt häufig einem nichtlinearen, unterbewussten oder sogar zufälligen Prozess und die Natur der Transformation kann jedes Mal stark variieren.“

Die US-Wissenschaftler Alan G. Robinson und Sam Stern haben in mehreren hundert Unternehmen geniale Ideen bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgt. „In jedem Unternehmen, das wir untersucht haben, haben wir Menschen getroffen, die fühlten, dass das kreative Potenzial ihrer Unternehmen weit größer ist als es die aktuelle Leistung vermuten lässt. Sie haben recht. Wir glauben, dass sich das nicht ändern wird, bevor die wahre Natur von Kreativität generell anerkannt wird. Der Großteil des kreativen Potenzials eines Unternehmens ist mit den herkömmlichen Planungs- und Kontrollmechanismen des Managements praktisch nicht erreichbar.“

Wie dann? Keines der von uns untersuchten Unternehmen hat Prozesse abgeschafft. Doch sie haben sie zum großen Teil ergänzt. Durch Arbeitsstrukturen, die kreatives Denken fördern und zulassen. Kreativität muss sich nicht den Prozessen unterordnen. Die Prozesse ordnen sich der Kreativität unter.

Wie Strukturen Kreativität zerstören

In klassischen Unternehmen scheitert Innovation häufig an den Strukturen. Es gibt typische Kreativitätskiller, die sich in einer Reihe unterschiedlicher Studien immer und immer wieder gezeigt haben:

  • Politische Probleme und Grabenkämpfe innerhalb des Unternehmens,
  • destruktive Kritik, destruktiver Wettbewerb und destruktiver Druck,
  • strikte Kontrolle durch das Management,
  • ein Exzess an formalen Strukturen und Prozeduren,
  • genau definierte Prozesse, die vorschreiben, was von wem mit welchen Methoden verbessert werden soll.

Die weltweit innovativsten Unternehmen haben zum großen Teil Strukturen geschaffen, die diese Barrieren beseitigen. Statt zu versuchen, Ideen und Innovationen innerhalb klassischer Strukturen zu fördern, richten sie ihre Strukturen so aus, dass Ideen und Innovationen gedeihen können.

Von den untersuchten Unternehmen hat jedes zweite ein neues Verständnis von Hierarchie etabliert. Samsung musste erst radikal mit dem klassischen südkoreanischen Hierarchiedenken brechen, bevor sich das Unternehmen wandeln konnte: Von einem Billigwarenhersteller zu einem der innovativsten Unternehmen weltweit. Und es ist auch kein Zufall, dass der Erfolg von Fiat unter Sergio Marchionne damit begann, alte Hierarchien radikal aufzubrechen. Jede zehnte der knapp 20.000 Führungskräfte musste gehen. Wenn es darum geht, Bürokratie und Hierarchien zu umgehen, sind kreative Unternehmen vielfach von dem getrieben, was in einer Studie über Apple-CEO Steve Jobs so beschrieben wurde: „Die Angst vor Dinosauriern, die riesige Reiche errichten und nach antiquierten Methoden handeln.“

Microsoft – Wendigkeit als oberstes Prinzip

Wer Microsoft mit einem Anzug betritt, hat entweder ein Vorstellungsgespräch oder ist Berater. Der lässige Umgangsstil, der ungewöhnliche Dresscode und das allgegenwärtige „Du“ (auch in Deutschland) sind die sichtbarsten Kennzeichen fehlender Hierarchien. Dahinter steckt eine einfache Philosophie: Ein Unternehmen ohne festgefahrene Hierarchien ist wendiger. Microsoft hat aus eigenen schmerzvollen Erfahrungen gelernt: Bei Windows Vista hatte sich das Unternehmen in der Komplexitätsfalle verrannt, ständige Abstimmungen hatten die Entwicklung immer komplizierter werden lassen. Entsprechend begann die Programmierung von Windows 7 mit einem Befreiungsschlag: Die Hierarchieebenen wurden um die Hälfte, die Bereichsleiterposten um ein Drittel gekürzt. Microsoft hat darin Erfahrung: Schon 1999 wurde das Unternehmen radikal umorganisiert. Zu viel Bürokratie und zu viel Bereichsdenken hatten damals die Innovationsfähigkeit gelähmt.

Samsung – Hierarchiefreiheit für strategische Kreativbereiche

Samsung hat ein klares strategisches Ziel: „Gutes Design ist der wichtigste Weg, um uns von unseren Mitbewerbern zu unterscheiden“, sagt CEO Jong-Yong Yun. Auf dem Weg vom Billighersteller zu einem der innovativsten Unternehmen weltweit hat er dem Unternehmen eine Art kreative Schocktherapie verordnet: Statt weiterhin darauf zu setzen, die billigsten Geräte herzustellen, öffnete Yun Design-Center auf der ganzen Welt, in denen neue Produkte entwickelt werden. Um seinen Kreativen einen direkten Zugang zum Top Management zu gewähren, etablierte er einen „Chief Design Officer“. Damit war es erstmals möglich, dass Mitarbeiter für ihre Ideen Gehör im Vorstand fanden. Was nun noch im Weg war, war die traditionelle südkoreanische Kultur. Sie ist eher kreativitätsfeindlich: Dass Mitarbeiter frei ihre Meinung sagen und Ideen äußern, ist in der Kultur nicht ohne Weiteres erlaubt. Um diese Barrieren zu überwinden, hat Samsung in den Design-Centern eine Führungskultur eingeführt, die anders als die ist, die im Hauptquartier gepflegt wird. In den Design-Centern gibt es keine Kleiderordnung. Jeder Mitarbeiter wird dazu aufgefordert, seine Meinung zu sagen und Vorgesetzten zu widersprechen, ohne Angst davor zu haben, kulturelle Regeln zu verletzen. Hierarchiefreiheit in strategisch wichtigen Innovationsbereichen. Die Kultur operativer Einheiten in der Firmenzentrale ist weiterhin traditionell südkoreanisch.

McDonald’s – „Noodle Team“ statt starrer Hierarchien

Starre Strukturen und Hierarchien sind McDonald’s fremd. Wenn es darum geht, neue Ideen zu entwickeln, werden möglichst alle mit einbezogen: Partner, die das Rohmaterial liefern, Mitarbeiter aus verschiedensten Bereichen und Hierarchiestufen, Kunden. McDonald’s hat eigene Testküchen und sogenannte „Noodle Teams“ ins Leben gerufen, in denen Mitarbeiter aller Hierarchieebenen neue Ideen entwickeln und sie ausprobieren. Die Hierarchien sind flach. Jeder kann jeden kontaktieren, jeder mit jedem über neue Ideen diskutieren. Für CEO Jim Skinner einer der Wettbewerbsvorteile des Unternehmens: „Das Ergebnis ist ein Reichtum an Ideen, die durch die Organisation fließen. Sie kommen aus allen Richtungen.“

Research in Motion: Abkehr von alten Strukturparadigmen

Don Morrison, Chief Operating Officer von Research in Motion, erklärt die Struktur des Unternehmens so: „Dieses Unternehmen funktioniert nicht nach den alten Paradigmen von Befehl und Gehorsam. Unsere Firma ist eine organische Organisation, vergleichbar mit einem egalitären Arbeitsplatz. Unser Mantra: ‚Alle arbeiten.‘ Es gibt hier keine Aufseher.“ Research in Motion hat diese Form der Organisation bewusst gewählt: „Unser Geschäftsmodell unterliegt der ständigen Veränderung aufgrund der technischen Komplexität.“

Und wenn sich starre Hierarchien wieder einmal im Unternehmen festsetzen? Wenn sich Prozesse und Abläufe aufblähen, wenn die Bürokratie überhandnimmt? Dann wird abgespeckt. So wie bei Hewlett Packard. Seit 2008 gibt es ein Programm mit dem Namen „Happy People“. Es hat nur ein Ziel: Jede Form ineffizienter Prozesse und unnötiger Bürokratie aus dem Unternehmen zu verbannen.

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