Bessere Mitarbeitergespräche im agilen Umfeld

In vielen Organisationen – vom Konzern bis zum Start-up – gehören agile Arbeitsweisen und Haltungen zunehmend zum Alltag. Doch wie lassen sich agile Ansätze für Mitarbeitergespräche nutzen?

»Bei uns hat niemand Erfahrungen mit klassischen Mitarbeitergesprächen und bei uns gibt es auch keine.« Das war die Antwort, die wir von einem streng selbstorganisiert arbeitenden Unternehmen im Rahmen unserer Recherche für dieses Buch erhielten. Auch andere berichteten, dass Sie zwar die Möglichkeit für Peer-Feedbacks erlebt hatten, dass es jedoch keine klassischen Gespräche gab und schon gar nicht mit einer quantitativen Bewertung. In größeren Organisationen in denen agile Experimente stattfinden, sind die typischen Gespräche teilweise etabliert, allerdings unter Einbeziehung der Linienvorgesetzten.

Das Buch zum Thema

Mitarbeitergespräche positiv führen
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In agilen Organisationen wird grundsätzlich die Entwicklung von der Führungskraft hin zu Führungsarbeit angestrebt. Führungsaufgaben werden also nicht mehr von einer Führungskraft qua Amt wahrgenommen, sondern aus der Gruppe heraus erkannt, in die Aufmerksamkeit gebracht und dann an jemanden (vorübergehend) übertragen, der in dieser Thematik ermächtigt wird. Für wiederkehrende Führungsaufgaben können Rollen vergeben werden. So erleben wir in agilen Teams häufig Rollen wie »People Lead« oder die Rolle »Potenzialentfaltung«. Dabei ist es wichtig, hervorzuheben, dass diese Rollennamen Beispiele sind, die uns in der Praxis begegnen, aber keine Standardrollen darstellen. Unsere Erfahrung ist, dass beispielsweise Scrum ein stark standardisiertes Vorgehen und Rollenset vorsieht, in der Praxis jedoch eine Vielzahl von agilen Experimenten stattfinden, die unterschiedliche Aufgabenverteilungen zur Folge haben. Es handelt sich also nicht um Standardrollen. Die Vielfalt der Rollen und Gesprächsformate in größeren (Linien-)Organisationen, in denen nur begrenzt agil gearbeitet wird, ist groß. Dort können Rolleninhaber als Ansprechpartner in das Gespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden eingeladen werden.

In welchem Ausmaß agile Prinzipien und Methoden in einem Unternehmen umgesetzt werden, beeinflusst dabei stark, welche Anforderungen an welche Rolleninhaber entstehen.

Wenn Rollen wie Lernbegleiter oder Product Owner und weitere nebeneinander bestehen, wird nicht nur die Verantwortung für diverse anlassbezogene Mitarbeitergespräche verteilt, sondern auch die Notwendigkeit größer, dass mehrere oder alle Teammitglieder Gesprächstechniken und mindestens in Ansätzen Führungskompetenzen erlernen.

Wir halten hier den Fokus bewusst auf Mitarbeitergespräche. Dem Trend zur Verteilung der Führungsaufgaben auf mehrere Köpfe folgend, agieren Führungskräfte in agilen Kontexten eher als Teambefähiger. Damit geht der Fokus der agilen Führungskraft eher über unsere für dieses Buch selbst gewählte Hervorhebung der Eins-zu-eins-Beziehung und Kommunikation hinaus. Doch auch im Kontakt mit dem einzelnen Mitarbeiter, lassen sich agile Prinzipien adaptieren. Daher stellen wir exemplarisch in der Folge drei Gesprächsformate, die Führungskräfte in die Mitarbeiterkommunikation einbinden können, vor. Anschließend stellen wir drei ausgewählte Fragetechniken vor und schließen mit Chancen und Risiken für das Mitarbeitergespräch im agilen Kontext.

Günstige Gesprächsformate für agile Führung

Die Haltung in der agilen Führung ist in der Regel eher fragend als direktiv, daraus ergeben sich oft kürzere, zweckmäßige Gesprächsformate.

Daily und weekly

Ursprünglich als Teamsynchronisation gedacht: Das Primärziel ist es, Transparenz herzustellen: Wo sehen wir Hindernisse? Wie können wir Risiken erkennen und ihnen begegnen? Welche Priorisierungen müssen wir daraus folgend vornehmen. Es handelt sich um kurze, regelmäßige Formate, die in Teams stattfinden und auch von der Führungskraft genutzt werden können, um aktuelle Themen, Projektstände, Sorgen und Fragen zu erkunden und in die Aufmerksamkeit zu bringen. Vielleicht probieren Sie ein Eins-zu-eins-Weekly, um auf individueller Ebene auf dem Laufenden zu bleiben und den Mitarbeiter ein wenig arbeitsfähiger zu machen?

»Wenn Rollen wie Lernbegleiter oder Product Owner und weitere nebeneinander bestehen, wird nicht nur die Verantwortung für diverse anlassbezogene Mitarbeitergespräche verteilt, sondern auch die Notwendigkeit größer, dass mehrere oder alle Teammitglieder Gesprächstechniken und mindestens in Ansätzen Führungskompetenzen erlernen.«

Check-in

Check-ins auf regelmäßiger Basis oder als Auftakt von Teammeetings oder Projekten dienen vor allem der Vertrauensbildung und Gestaltung einer offenen Atmosphäre. Hilfreich sind dazu Check-in-Fragen, die nicht fachlich sind, sondern stattdessen persönliche Stimmungen oder Wissenswertes über die Personen abfragen. Mögliche Fragen sind: »Was gerade gut bei mir läuft …«, »Was mich gerade fordert, stresst, nervt …«, »Worauf ich mich in nächster Zeit freue …« Darüber hinaus geht es darum, einen Eindruck davon zu bekommen, welches Energielevel der Mitarbeitende heute einbringen kann. Die Einflüsse auf ein gesteigertes oder gemindertes Energielevel zu kennen, ist hier von besonderer Bedeutung, um darauf reagieren zu können.

Retrospektive

Die Retrospektive stellt eine Art Metakommunikation und Prozessrückschau dar. Was war gut und ist beizubehalten, was können wir weglassen, was bräuchte es neu oder zusätzlich, wie bewerten wir den Prozess? Dies lässt sich von Führungskräften sowohl am Ende von allen Mitarbeitergesprächen, im Jahres-(Rückschau-)gespräch im speziellen und nach Projektabschluss nutzen.

360°-Führungsfeedback

Sie haben recht, das waren bereits drei Formate. Hier Nummer vier nur in aller Kürze. Wir gehen auf 360°- und andere Führungsfeedbacks in diesem Buch nicht ein, weil wir uns auf die Kommunikation zwischen Führungskraft und dem einzelnen Mitarbeiter fokussiert haben. Doch im agilen Kontext gehören die transparente Kommunikation in der Gruppe, eine gelebte Feedbackkultur und Lernhaltung zur Grundhaltung. Daher möchten wir Sie bei allen empfundenen Risiken zu Führungsfeedbacks ermutigen, auch wenn Sie noch keine Erfahrungen gesammelt haben. Aus der Forschung zu positiver Führung bietet das PERMA-Lead 360°-Feedback ein evidenzbasiertes und praxiserprobtes Tool, um diesen Prozess zu gestalten und insbesondere wachstumsorientierte Führungsverhaltensweisen in den Fokus zu setzen. (Mehr dazu unter www.perma-lead.com – oder auf Anfrage bei den Autoren).

Gesprächstechniken in agilen Führungskontexten

Eine neugierige Haltung des Ausprobierens legen wir Ihnen in diesem Buch ohnehin ans Herz und Sie finden in allen Kapiteln Impulse und Fragen, die Sie experimentell in Ihre Mitarbeiterinnengespräche einbinden können. Hier drei weitere Fragetechniken, die nützlich sein können:

Paradoxe Frage

Durch Ideen wie der Methodensammlung aus den Liberating Structures bekannt, aber für systemtheoretisch Geschulte bereits bekannt, können Sie sogenannte paradoxe Fragen (»Was müssten wir tun, um unser Ziel auf keinen Fall zu erreichen?«) oder Wicked Questions (»Wenn wir … A erreichen wollen, wie gelingt es uns, gleichzeitig B zu erreichen?«) nutzen, wenn Sie vor einem Problem stehen. Diese Frageformen regen im Jahresgespräch zur gemeinsamen kreativen Lösungsfindung ein, ob es nun um den Ausbau von Kompetenzen der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters geht oder ein besonders herausforderndes Ziel.

Was brauchst du?

Diese Frage zeigt sich in der Zusammenarbeit als besonders hilfreich, weil sie schnell Klarheit schaffen kann, beispielsweise, wenn ein Mitarbeiter im Jahresgespräch von den Herausforderungen in seiner Arbeit berichtet. Mögliche Antworten könnten in diese fünf Kategorien fallen, die Sie zur Auswahl stellen können:

  • Informationen teilen (ich brauche ein offenes Ohr)
  • Informationen erhalten (neues Wissen, Rat)
  • To-dos anfordern
  • Komplexes Ergebnis anfordern (Projekt)
  • Neue Erwartung festhalten (Regel/Rolle?)

Wertschätzendes Interview – Appreciative Inquiry (Discover, Dream, Design, Deliver)

Diese Technik, die auf David Cooperrider zurückgeht, lässt sich auch für Großgruppen einsetzen, funktioniert aber auch als Interviewformat, wenn es um die Generierung von Lösungsansätzen geht. Passend zum Ansatz positiver Führung wird hier jedoch nicht nach dem Defizit und dem, was noch fehlt, gefragt, sondern auf das bereits Vorhandene geblickt, um daraus Möglichkeiten für die Zukunft zu erschaffen.

  • Sie beginnen mit der Erforschung des Bisherigen. Welche (passende) Erfahrung erfüllt Sie mit Energie und Freude? Was haben Sie zu der vergangenen Situation beigetragen, dass diese so positiv verlaufen ist?
  • Mal angenommen, das attraktive Zukunftsbild ist bereits Realität? Wodurch zeichnet es sich aus? Woran bemerken wir es? Wie sieht es aus? Wie erträumen Sie sich die das Zukunftsbild?
  • Was können Sie tun, um dieses Bild zu erreichen? Wer kann Ihnen helfen?
  • Was sind die nächsten Schritte?

Chance und Gefahr

In agilen Teams muss zunächst ein Bedarf für Gespräche bei den Mitgliedern aus der Gruppe heraus entstehen und thematisiert werden. Alternativ gibt es Rolleninhaber, die die fachlichen Leistungen oder persönlichen Entwicklungen der Mitarbeiterinnen im Blick haben. Wir blicken daher auf die aus unserer Sicht wesentlichen Chancen und Gefahren:

Chancen

  • Von allen als unnötige oder als leere Hülsen empfundene Gespräche und Formularschlachten werden eher vermieden.
  • (Soziales) Lernen und Entwicklung geschieht durch die Ermächtigung und gemeinsame Bewältigung aktueller Herausforderungen besser als durch persönliche Entwicklungspläne, die mit dem Personalreferenten aus HR abgestimmt sind.
  • Die Hürde, einen Ansprechpartner für relevante Themen zu haben, ist gering.
  • Viele Augen sehen mehr und bringen Themen wie Zielabweichungen in die Aufmerksamkeit der Gruppe, sodass keine Probleme verschleppt werden.
  • Peer-Feedbacks tragen zur Entwicklung bei.
  • Eine gemeinsam ausgewählte Aufgabenpriorisierung sorgt für sinnstiftende Arbeit an relevanten Themen statt sinnlose »Ist zwar Quatsch, steht aber in meiner Zielvereinbarung«-Tätigkeiten zu fördern.

Gefahren

  • Die gezielte Kompetenzentwicklung von Mitarbeiter(inne)n gerät aus dem Fokus.
  • Potenziale bleiben ungenutzt.
  • Es entsteht eine Art Verantwortungsdiffusion für Themen der Entwicklungsplanung. – Keiner ist zuständig.
  • Peers vermeiden es, kritische Themen anzusprechen.
  • Mitarbeitern fehlt ein fester Anlaufpunkt oder die Institution des Mitarbeitergesprächs, um Relevantes auf den Tisch zu bringen.
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