Der agile Anschein in der Führung

Führung ist zu einem sehr aktuellen und recht emotional geladenen Thema geworden. Einige würden Führungskräfte am liebsten gleich komplett abschaffen und andere warnen vor verheerenden Auswirkungen des hierarchisch geprägten, autoritären „Altherren-Führungsstils“ und propagieren, Führungskräfte zu Dienern zu machen.

Und die Führungskräfte? Die einen mogeln sich durch, die anderen verfallen der Überanpassung, andere arbeiten smart, nicht hart aber wirklich verstanden hat es keiner. Ein paar zugespitzte fiktive Beispiele zeigen die Landschaft. Wo stehen Sie?

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Herr J. Wiesen, 51, Abteilungsleiter. Ja, agil ist so eine Sache. Schnell bin ich nicht. Anpassen ist auch nicht mein Ding. Schließlich bin ich nicht in diese Position gekommen, indem ich mich angepasst habe oder übereilte Entscheidungen getroffen habe. Kann ich aber, mich anpassen. Habe ich jetzt auch. Es dreht sich ja alles um Selbstorganisation, so wie ich das verstehe. Also habe ich meinem Team klar gemacht – organisiert Euch selbst. Ich frage monatlich die Zahlen ab und bin ansonsten draußen.

Frau C. Stein, 39, Teamleiterin. Für mich ist das alter Wein in neuen Schläuchen. Und das alte Geschwätz von wegen Eigenverantwortung und Motivation und Vertrauen hat damals schon nicht funktioniert. Die Sache ist ganz einfach. Wenn ich da bin und achte, dass alles ihre Arbeit machen und korrekt machen, dann läuft es. Wenn ich dagegen Freiheiten gebe, dann läuft es nicht. Agilität ist aber schon wichtig, dadurch, dass sie Wert auf Geschwindigkeit legt. Hier gehe ich mit. Vieles dauert bei uns zu lange. Alleine das Treffen einer Entscheidung. Da vergehen Tage um Tage, bis ich hier alle einbezogen habe, jeder seinen Senf dazugegeben hat und ein Kompromiss erzielt wurde. In Zukunft werden Entscheidungen schneller getroffen. Alleine.

Herr W. Hammerschmied, 45, Teamleiter. Ich interessiere mich schon eine ganze Weile für das Thema Digitalisierung und agile Transformation und ich unterstütze das agile Manifest leidenschaftlich. Leider lassen sich viele Prozesse und Projekte bei uns nicht mit agilen Arbeitsmethoden leisten, aber ich stehe voll hinter dem Mindset. Das war für mich eine große Veränderung. Vom Chef bin ich zum Unterstützer und Coach meines Teams geworden. Ich lasse ihnen alle Freiheiten und vertrauen 100% auf sie. Das zahlt sich aus. Das Team bringt nach wie vor die volle Leistung und ich habe Zeit, mich um andere Themen zu kümmern. Einmal die Woche treffe ich das Team und nehme eine Aufgabenliste entgegen mit allen Dingen, die ich für das Team tun kann.

Frau S. Sullivan, 49, Abteilungsleiterin. Ich nenne mich Agile Evangelist. Mir war sofort klar, dass wir in diese Richtung gehen müssen. Ich habe meinen Bereich umstrukturiert. Teamleiterpositionen habe ich abgeschafft, jetzt gibt es nur noch Scrummaster und Productowner. Tägliche Scrummeetings eingeführt, 15 Minuten, im Stehen. Kanbanboards haben wir aufgehängt und das ganze Büro neu eingerichtet. Offener Großraum, viel osmotische Kommunikation, Tischfußball. Ich achte darauf, junge Leute einzustellen. Das ist jetzt zwei Monate her. Jetzt will mein Chef wissen, ob sich die ganze Transformation gelohnt hat. Um das zu beantworten müsste ich ja doch wieder kontrollieren, Statusabfragen machen, Metrics einführen, … Hier muss ich nochmals das Gespräch suchen, mein Chef hat vielleicht noch nicht verstanden, worum sich agile dreht.

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