Menschen sehnen sich nach Dankbarkeit und Anerkennung – Wertschätzung eben. Doch Wertschätzung ist keine Mechanik des Lobens. Sie ist ein Verbeugen vor der Seele des anderen. Sie ist die Freude, dass der andere da ist, und Freude darüber, was ihn besonders macht. Ein solches Miteinander zu fördern und aktiv zu leben, ist die Aufgabe der Führungskraft. Wie lässt sich aber echte Wertschätzung authentisch vermitteln und vor allem leben?
Oft blicken Menschen darauf, was ihnen in ihrem Leben noch fehlt und was sie noch brauchen. Erst wenn ich das noch habe, so denken sie, bin ich zufrieden und fühle mich wohl. Diese Sichtweise orientiert sich am Defizit: Ich schiele fortwährend darauf, was ich noch brauche und ersehne. Entsprechend lebe ich mit einem ständigen Gefühl des Mangels, was mich fast zwangsläufig unzufrieden macht. Ganz klar, es wäre dem Glück förderlicher, darauf zu blicken, was ich bereits habe!
Wenn ich achtsam bin und meine Aufmerksamkeit darauf lenke, sehe ich unzählige Dinge, für die ich dankbar sein kann: Da sind vor allem die kleinen alltäglichen Dinge, die selbstverständlich scheinen, es aber ganz und gar nicht sind: Beispielsweise meine Gesundheit, meine Partnerin, mein Zuhause, mein Garten, meine hilfsbereiten Nachbarn. Meist fallen mir diese alltäglichen Dinge erst dann auf, wenn ich sie nicht mehr habe oder wenn sie mal nicht verfügbar sind. Meine Gesundheit, wenn ich mal krank bin, die Unterstützung meiner Partnerin, wenn diese mal längere Zeit verreist ist, den Luxus von gutem Leitungswasser, wenn ich mal in ein exotisches Land gereist bin, oder die Zuverlässigkeit und Eigeninitiative meiner Mitarbeiter, wenn ich sie mit Personal aus anderen Kulturen oder Kontexten vergleiche. Dann fällt mir auf, wie schön und alles andere als selbstverständlich es ist, dass es diese Dinge gibt und ich sie genießen darf. Ein Paradies erkennt man eben meist erst dann, wenn es vorüber ist! Diese Redensart trifft es genau, finde ich.
Zwar ist die Werbung stets bemüht, versteckte Wünsche in uns zu wecken, und suggeriert uns um des lieben Verkaufens willen, dass uns genau das fehlt, was gerade angeboten wird. Und auch Politik und Medien lenken stets den Blick auf Defizite und fokussieren uns so auf Missstände und Fehlendes. Doch es lohnt sich, die defizitorientierte Perspektive zu verlassen und die Aufmerksamkeit auf die positiven Dinge zu lenken. Die Frage lautet daher: Wofür kannst du dankbar sein im Leben? Denn dieser Fokus führt dich zu einer dankbaren und wertschätzenden Haltung, die dir und deinem Umfeld guttut. Sie hat auch für Führungskräfte Auswirkungen: Wenn ich meinen Mitarbeitern wertschätzend und dankbar begegne, verändern sich auch hier die Beziehungen zum Positiven.
Ähnlich verhält es sich mit dem Dienen: Wenn ich statt einer erwartenden, fordernden Haltung eine fördernde Haltung gegenüber meinen Mitarbeitern einnehme, entsteht neue Energie. Statt zu fragen, wie meine Ziele erreicht werden, geht es mir dann eher darum, wie ich es meinen Mitarbeitern ermöglichen kann, die optimale Leistung und Entwicklung sowie bestmögliche Ergebnisse zu erreichen. Dadurch werde ich zum Förderer und Dienstleister meiner Mitarbeiter; meine Verantwortung ist, optimale Voraussetzungen für mein Team zu schaffen.
Dankbarkeit und Wertschätzung – häufig unterschätzt
Was bewirkt Dankbarkeit? Was habe ich davon, wenn ich dankbar bin und mich wertschätzend verhalte? Was verändert sich für mich, und welche Auswirkungen hat es für meine Umgebung?
Ein Beispiel: Klaus Kobjoll, Gründer des Hotels Schindlerhof, von dem schon die Rede war, hatte einen Koch, mit dem er sehr zufrieden war. Dieser Koch wollte sich beruflich weiterentwickeln und noch einmal etwas anderes sehen. Er kündigte, um auf einem Kreuzfahrtschiff zu arbeiten. Kobjoll schenkte ihm als Zeichen seiner Wertschätzung und Dankbarkeit eine Armbanduhr im Wert von über 3.000 Euro. Er wünscht seinem Koch eine wunderbare Zeit auf dem Schiff und alles Gute für den weiteren Weg.
Der Koch ist – verständlicherweise – stolz auf seine Uhr. Oft wird er auf sie angesprochen und erzählt dann die Geschichte dazu, nämlich dass sie ein Abschiedsgeschenk von seinem Chef gewesen ist. Die Leute horchen auf; das ist etwas Außergewöhnliches. Denn warum würde man einem Mitarbeiter, der so oder so geht, solch ein teures Geschenk machen? Das muss eine besondere Beziehung zwischen Chef und Mitarbeiter sein.
Das Klima der Wertschätzung, das im Schindlerhof generell herrscht, erstreckt sich auf alle Mitarbeiter und auch auf die Kunden. Man spürt an tausend Details, dass es eine authentische, wirklich gelebte Haltung ist. Die Folge ist – neben einem sehr erfolgreichen Hotelbetrieb –, dass beim Schindlerhof viele Bewerbungen eingehen und motivierte, engagierte Leute zum Team dazukommen, weil sie von dem guten Arbeitsklima gehört haben und gern dazugehören wollen.
Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, ist wesentlich mehr als eine rhetorische Finesse oder ein Motivationsmittel. Es spiegelt eine innere Haltung, die von Wertschätzung für meine Umgebung geprägt ist. Ehrlich gemeint und authentisch vermittelt, zeigt es, dass ich mit anderen auf Augenhöhe umgehe, vermittelt ein tiefes Gefühl des Respekts und der Achtung und fördert somit den Selbstwert des anderen. Dankbarkeit und Wertschätzung zu zeigen ist Voraussetzung dafür, dass echtes Vertrauen entstehen und ein authentisch gelebtes Wir zwischen Menschen wachsen kann.
Für mich selbst bedeutet der Fokus auf das, was ich bereits habe und wofür ich dankbar bin, ein Gefühl von Freude über das bereits Erreichte. Folge ist, dass innerer Frieden entsteht, weil ich mich nicht mehr mit denen vergleichen muss, die vermeintlich besser dastehen. Und das wiederum führt auch bei mir zu einem größeren Selbstwertgefühl.
Die Voraussetzung für Dankbarkeit und Wertschätzung
Dankbarkeit und Wertschätzung authentisch zu vermitteln, das geht nur aus der entsprechenden mentalen Haltung heraus, und zwar gegenüber der Wertschätzung an sich und gegenüber dem anderen, dem du sie gibst. Denn ist sie nicht ehrlich gemeint, wird der andere das merken. Auch wenn Wertschätzung als Mittel zum Zweck missbraucht wird oder um andere zu manipulieren, wird sie nicht gut ankommen.
Wer einen sehr hohen Anspruch an sich hat und sich selbst gegenüber perfektionistisch ist, ist möglicherweise selten zufrieden – nicht mit sich selbst, und noch weniger mit der Leistung anderer. Gute Ergebnisse ehrlich anzuerkennen – damit tun sich solche Menschen eher schwer.
Wenn du deine Dankbarkeit ehrlich gemeint äußerst, weil du es auch so meinst, wird der andere es spüren und es wird auch so ankommen. Wenn du dich also damit schwertust, arbeite zuallererst an deiner mentalen Haltung (siehe dazu unten unter Zu Wertschätzung finden in vier Schritten) und gegebenenfalls an deinem Perfektionismus oder deinen irrational hohen Erwartungen. Erst wenn du dadurch die Voraussetzung geschaffen hast, wird dir authentische Wertschätzung leichter fallen.
Dankbarkeit zeigen
Dankbarkeit und Wertschätzung zu empfinden und zeigen zu können, ist keinesfalls selbstverständlich. Viele tun sich sehr schwer damit, etwas Positives an sich, der Situation oder an anderen zu sehen. Und noch schwerer fällt es ihnen, es auch zu sagen. Der Grund mag sein, dass sie in ihrem eigenen Leben wenig Lob und Anerkennung, Dank und Wertschätzung erfahren haben. »Ned gschimpft isch globt genug«, heißt es im Schwäbischen – diese Redensart zeigt, dass es gang und gäbe ist, mit Anerkennung zu geizen.
Vor einigen Jahren begleitete ich Franz. Franz war in einer Führungsposition und hatte das Anliegen, mehr zu loben. Dass er bisher zu wenig Anerkennung zeigte, führte er darauf zurück, dass er selbst nie Wertschätzung erfahren hatte und auch gar nicht wusste, wie er seine Mitarbeiter so loben sollte, dass es authentisch und natürlich wirkt. Seine Frage war also, wie er mehr Dankbarkeit und Wertschätzung seinen Mitarbeitern gegenüber umsetzen könnte. In unseren Gesprächen kristallisierte sich das Vorgehen heraus, dass er sich vor geplanten Gesprächen mit seinen Mitarbeitern ein paar Minuten Zeit nehmen sollte, um zu reflektieren: Welche Impulse des Mitarbeiters waren ihm positiv aufgefallen? Welchen Nutzen brachten sie für die Abteilung, die Kollegen oder den Kunden? Hierzu notierte er ein paar Stichpunkte auf einem grünen Post-it als Gedächtnisstütze. Als dann einmal einer seiner Mitarbeiter, den er aufsuchen wollte, nicht am Platz war, entschied sich Franz, den grünen Zettel mit ein paar weiteren Notizen und seinem Kürzel auf den Monitor des Mitarbeiters zu kleben – schließlich hatte er sich ja schon Gedanken gemacht. Was dann geschah, bestärkte ihn in der Idee, mehr zu loben: Der Mitarbeiter heftete das grüne Post-it an sein persönliches Board, wo er alle Postkarten von Kollegen und Freunden sammelte, und bewahrte es dort sorgfältig auf.
Zu Wertschätzung finden in vier Schritten
Wie kannst du zu einer wertschätzenden Haltung finden? Es gibt eine Struktur, der du folgen kannst, um Wertschätzung zu fördern:
1. Schritt: Positive Aspekte bewusst wahrnehmen
Zunächst geht es darum, Bewusstheit darüber zu erlangen, was dir Positives auffällt. Was an der Situation oder am Verhalten eines anderen kannst du wertschätzen beziehungsweise wofür kannst du ehrlich Danke sagen? Was bedeutet dir dies beziehungsweise welche Vorteile ergeben sich daraus (für die Abteilung, den Kunden, das Team …)?
2. Schritt: Wertschätzung ausdrücken
Jetzt heißt es, die Wertschätzung in deinen eigenen Worten und auf authentische Weise auszudrücken, gegebenenfalls unterstützt von Taten. Du solltest bei dieser Gelegenheit auch konkret benennen, was das für dich bedeutet beziehungsweise welche Vorteile und Nutzen sich daraus für das Team, die Abteilung, das Unternehmen ergeben. Ein »Gut gemacht, weiter so« ist für deine Mitarbeiter wenig konkret und inspirierend – wobei natürlich manche Mitarbeiter auch damit zufrieden sind, wenn sonst rein gar keine Anerkennung zu haben ist. Glaubwürdiger und konkreter ist es aber, wenn du mit Details und Beispielen benennst, was genau du positiv findest, und auch dessen Auswirkungen beschreibst.
Hierzu noch ein Hinweis: Bitte missbrauche Wertschätzung nicht als Einleitung und Nachsatz zu Kritik. Bei dieser vielfach gepriesenen Sandwichmethode – erst was Nettes sagen, dann die Kritik und dann wieder was Nettes – bleibt unterm Strich nur die Kritik haften. Das hängt mit der Wahrnehmung nach dem Schema 90:10 zusammen (vergleiche Kapitel 2 Fokus und Wahrnehmung). Lass allein die Wertschätzung stehen und wirken, sonst geht sie schlicht unter!
3. Schritt: Wertschätzung üben
Trainiere Wertschätzung in allen möglichen Situationen im Alltag, um a) die positive Wirkung zu erleben und b) deinen eigenen Ton zu finden, wenn du lobst und Anerkennung zeigst.
Gute Gelegenheiten, um zu üben, sind zum Beispiel die Supermarktkasse, gegenüber dem Kellner im Restaurant, zu Hause mit den Kindern oder gegenüber deinem Partner. Oder, etwas fortgeschrittener, im Gespräch mit gleichrangigen Kollegen oder auch Vorgesetzten – auch Letztere werden nämlich eher selten mit Wertschätzung bedacht. Einige meiner Kunden führen regelmäßig Mitarbeiterbefragungen zur Arbeitszufriedenheit, Motivation et cetera durch. Fast alle dieser Befragungen ergeben, dass der Mangel an Wertschätzung und Anerkennung einer der häufigsten negativen Punkte in Teams und Unternehmen ist.
4. Schritt: Wiederholung
Ein positives Leben besteht aus positiven Gewohnheiten. Genaugenommen liebt das Gehirn nichts mehr als Gewohnheiten. Deswegen wiederhole deine Trainingseinheiten regelmäßig, mache sie dir zum täglichen Ritual, damit es für dich ganz natürlich wird, positive Dinge zu äußern – auch zu Anlässen, die nicht besonders herausragend sind, die aber doch deine Wertschätzung verdienen. Denn solange du das Loben und Danken als exotische Einmal-Aktion siehst, für die man sich erst mal durch eine besonders außergewöhnliche Leistung qualifizieren muss, wirkt alles möglicherweise noch nicht ganz selbstverständlich.
Jürgen Balhuber hat eine Mission: Inspirierende Führung für Menschen in Führungsverantwortung. Seit mehr als 23 Jahren ist er Trainer, Mentor, Speaker und hat umfangreiche Projekterfahrung in Konzernen und mittelständischen Unternehmen. Neben eigenen Workshops zur Selbstentwicklung begleitet er Führungskräfte im Kontext von Heinz Kaegis „moving leaders from hard work to heart work“, um Erfolg und Erfüllung zu vereinen.