Wer ist hier eigentlich zuständig?

Kennen Sie das? Zuständigkeiten werden im Alltag gerne abgelehnt und abgewälzt. Denken wir nur an den Besuch eines überfüllten Restaurants. Haben Sie endlich eine Bedienung in greifbarer Nähe, ist diese nicht für Ihren Tisch zuständig. Ist der richtige Servicemitarbeiter gefunden, darf dieser nur die Bestellung aufnehmen, aber leider nicht kassieren. Solche Begebenheiten belasten unseren Alltag und sind für den Betriebsinhaber klare Erfolgsverhinderer.

Ich bin nicht zuständig

Eines der Lieblingsbeispiele der Comedy-Szene ist wohl der Baumarkt, in dem Sie scheinbar nie Mitarbeiter finden, weil diese sich angeblich vor den Kunden verstecken. Haben Sie dann nach langer Suche doch einen ausfindig machen können, ist der garantiert nur für die Gartenabteilung zuständig, obwohl Sie eine Frage zum Werkzeug haben. Ebenso beliebt für Witze aller Art sind, nicht ganz ohne Grund, die Beamten. In den Behörden könnte man den Eindruck gewinnen, sie hätten dort einen extra Stempel für »nicht zuständig«. Neuerdings werden solche Situationen zunehmend durch Informations- und Auskunftszentren gelöst, bei denen Sie in proppenvollen Wartebereichen zum Ziehen einer Wartemarke für einen bestimmten Bereich eingeladen werden. Sollten Sie jedoch mal eine Frage außerhalb der Norm dieser Bereiche haben, werden Sie hier garantiert keinen Zuständigen finden. Wir alle werden im Alltag immer wieder mit der großen Thematik »jemand ist nicht zuständig« konfrontiert. Es fällt uns meistens nur nicht mehr auf.

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Die immer komplexeren Aufgaben des Lebens werden mit Spezialisten gelöst. Wenn es früher noch einen Kfz-Mechaniker gab, der von der Karosserie bis zum Motor alles repariert hat, so gibt es heute für jedes Teil einen Spezialisten. Auch ein Online Marketing Experte kann nicht immer alles, er hat sich wahlweise auf SEO, soziale Medien oder andere Detailbereiche spezialisiert. Immer weniger Allgemeinwissen und Oberfläche sind gefragt, was leider auch mit einer gewissen Verdummung einhergeht. Mit den Zuständigkeiten im Leben ist es also so eine Sache. Die vielschichtigen Aufgaben führten zur Spezialisierung und diese hat wiederum zur Folge, dass nur noch ein bestimmtes Gebiet bedient werden kann und darüber hinaus der Wille, die Kompetenz oder beides fehlt. Vielleicht ist es dieser Entwicklung geschuldet, dass sich so viele Menschen für immer mehr Bereiche nicht zuständig fühlen, eventuell auch nicht mal mehr für ihr eigenes Leben.

Verpflichtet und berechtigt

Zuständig zu sein bedeutet, verpflichtet und berechtigt zu sein, etwas zu tun. Diese knackige Erklärung aus Wikipedia trifft es auf den Punkt: Verpflichtet und berechtigt! Wenn wir also gleichermaßen verpflichtet wie auch berechtigt sind, etwas zu tun, dann sind wir zuständig. Wie sieht es dann mit unserer Berechtigung zum Handeln aus? Inwieweit ist diese eingeschränkt? Nicht allzu sehr, wie ich finde. Einzige Ausnahme ist wohl, wenn wir andere durch unsere Handlungen in Verpflichtungen treiben, zum Beispiel bei Rechtsgeschäften. Durch unsere Willenserklärungen dürfen natürlich keine bindenden Verträge für andere Menschen geformt werden. Raus aus der Theorie und rein in die Praxis: Natürlich kann ich für Sie nicht einfach ein Auto kaufen, ich darf definitiv keinen Kaufvertrag über ein neues Auto auf Ihren Namen tätigen. Abgesehen davon bin ich dazu nicht verpflichtet und somit eindeutig nicht zuständig.

Vermeintlich zuständig ist nicht zuständig

Andererseits finden wir aufgezwungene vermeintliche Zuständigkeiten unseres Umfeldes gar nicht so selten im Leben. Wie oft schon hat jemand, aus seiner oder ihrer Sicht wohlwollend, ein Getränk seiner Wahl für Sie einfach mitbestellt? Ich erlebe dies häufig auf Partys. Unsere Gesellschaft ist stark auf den Konsum von Alkohol bei Feierlichkeiten geprägt. Wer lustig sein will, muss trinken. Nun gibt es aber trotzdem einige Menschen, die gar keinen Alkohol trinken wollen. Sie sind nüchtern für die Trinkenden ein Dorn im Auge und müssen scheinbar zwingend zum Rausch verführt werden. Sie kennen alle diese Sprüche, wenn Sie mal keinen Alkohol mittrinken wollten: »Na, ein Glas kannst du doch« »Sei doch kein Spielverderber« und so weiter. Hier übernimmt jemand für Sie die Zuständigkeit oder versucht es zumindest. Doch ist diese Person wirklich zuständig? Ist sie verpflichtet und berechtigt, Entscheidungen für Sie zu treffen? Ganz sicher nicht. Ihre Entscheidungen sind Ihre ureigene Angelegenheit. Immer.

Manchmal werden sich also übergreifende Zuständigkeiten angemaßt, und dann wieder werden sie einfach abgelehnt. Natürlich lädt die Verteilung von Zuständigkeiten einige Zeitgenossen auch ein, sich prompt zu verstecken. Das ist scheinbar bequem, aber fatal. Wer nicht zuständig ist, muss zwar keine Entscheidung treffen und kann scheinbar nichts falsch machen. Das stimmt aber nicht wirklich, denn der Welt werden durch nicht getroffene Entscheidungen weit mehr Schäden zugefügt als durch Fehlentscheidungen. Warum das so ist? Ganz einfach, eine Fehlentscheidung kann im Nachhinein meist korrigiert und angepasst werden. Eine nicht getroffene Entscheidung überlässt die Dinge sich selbst. Oder anderen Menschen, womit sich der Kreis zu den falschen Zuständigkeiten schließt.

Achten Sie doch einmal in ihrem privaten und beruflichen Alltag darauf, wie oft Menschen für Sie vermeintlich wohlwollend in die Bresche springen und Entscheidungen für Sie einfach mittreffen. Es wird öfter vorkommen, als Sie sich das vorstellen. Bestimmt Ihr Partner mit, was Sie wann essen oder einkaufen? Entscheiden Kollegen machtvoll, welche Arbeit jetzt zu erledigen ist und zwingen Ihnen damit ihren eigenen Arbeitsrhythmus auf? Beobachten Sie doch einmal über einige Wochen, inwieweit andere in Ihr Zuständigkeitsfeld eingreifen. Sie tun auf jeden Fall gut daran, persönlich zu bestimmen, die Dinge nicht dem Zufall oder anderen zu überlassen, wenn Sie ein selbstbestimmtes Leben führen möchten.

Wir müssen nicht überall unseren Senf dazugeben

Wir können und dürfen nicht alles bestimmen, nicht einmal beeinflussen. Wir müssen uns sogar abgrenzen und uns bewusst aus gewissen Dingen heraushalten, um ein einigermaßen entspanntes Leben führen zu können. Tun wir dies nicht, ersticken wir irgendwann einmal vor lauter Verantwortlichkeiten und brechen unter ihrer Last zusammen. Es gibt keine wie auch immer geartete Verpflichtung, überall unseren Senf dazuzugeben! Viele Menschen tun jedoch genau das mit Leidenschaft und Verve. Sie haben hohe Schwierigkeiten bei der Einschätzung ihrer persönlichen Zuständigkeitsgrenzen.
Diese Menschen übernehmen die Verantwortungen für alles und jeden und kommen dabei selbst viel zu kurz. Ich will hier nicht zum Prediger des Egoismus werden, doch wir müssen vorrangig auf uns und unser persönliches Gleichgewicht achten. Die Welt hat nichts davon, wenn Sie sich übernehmen. Kein Menschenleben wird sich bessern, wenn Sie zusammenbrechen. Kein Tier und keine Pflanze dieser Erde erfährt einen Nutzen aus Ihrer Überverantwortung. Sie müssen also sehr genau auf sich achten und sehr klar definieren, wofür Sie zuständig sein wollen. Es ist besser, sich auf einige wenige Dinge sehr intensiv zu konzentrieren und diese Verantwortung stark und klar zu leben, als überall ein bisschen und oberflächlich mitzumischen.

Die Welt braucht Anführer und Folger

Wenn sich – einmal angenommen – jeder zuständig fühlt und daraus resultierend alle Menschen gleichermaßen zuständig sind, so kommt auch nicht viel dabei heraus. Außerdem führt dies mit Sicherheit zum Problem der persönlichen Überlastung. Ein Menschengemenge benötigt Anführer. Jedes Schiff braucht einen Kapitän, jede Mannschaft einen Chef-Coach, jeder Stamm einen Häuptling und jedes Unternehmen einen Boss. Kein Schiff wird seinen Hafen erreichen, wenn der Kapitän nicht die Koordinaten vorgibt. Es liegen eine Vielzahl nautischer, technischer und kaufmännischer Aufgaben und Verantwortlichkeiten in seiner Hand.
Das gilt für ein Land ebenso wie für ein Unternehmen, einen Sportverein und die Familie, und selbst im Freundeskreis, wenn es darum geht, welches Ausflugsprogramm geplant wird. Einer gibt immer den Ton an – auch die kleinste Einheit braucht einen Anführer. Das ist so. Ohne Ausnahme.
Die Geschichte hat uns aber auch gelehrt: Wir müssen achtgeben, dass wir die richtigen Anführer wählen, damit die Dinge nicht in einer Katastrophe enden! Auch dies ist genauso gültig für die Welt wie für die Familie.
Es ist also nicht ganz so einfach mit den Zuständigkeiten. Mal lehnen wir sie zu Unrecht ab, dann wieder übernehmen wir sie unangebracht. Wir müssen den richtigen Weg finden, den richtigen Weg für uns, aber auch für andere. Die Lösung ist auch hier wieder einmal der goldene Mittelweg. Aber genau dieser ist für viele Menschen sehr schwer zu beschreiten, wie die folgende Geschichte zeigt.

Wir dürfen auch mal bloß Folger sein

Ein Gedankenfehler beginnt schon bei der Bewertung der Rollen von Anführer und Folger. Einige Leute denken, wir müssten alle zu Führern werden. Führer wären die besseren, glücklicheren oder erfolgreicheren Menschen. Das ist nicht der Fall! Es braucht definitiv auch Folger! Egal welcher Typ Sie persönlich sind, es ist genau so richtig, wie es ist. Es ist sehr gut, dass es Führer und Folger gibt. Wir brauchen sie beide. Es ist völlig in Ordnung, dass nicht jeder die Verantwortung eines Chefs oder Anführers übernehmen möchte, kann und muss. Wir brauchen die Folger sogar sehr dringend und in größerer Menge, weil die Leader ja eine ganz bestimmte Aufgabe haben: Strategien zu erdenken und darauf basierend entsprechend zu führen. Aber natürlich brauchen wir auch die, die die Arbeit tatsächlich verrichten. Was nützen uns hundert Architekten, wenn keiner einen Stein auf den anderen legt?! Was sollen wir mit elf Fußballtrainern, wenn keiner rennt und den Ball tritt? Wir brauchen beide, die Anführer und die Folger, und es kann dazu auch keine Wertung geben, was besser oder schlechter ist. Wir sollten uns vor einer Bewertung gerade in diesem Kontext wirklich hüten, denn der Anführer kann nicht ohne den Folger existieren und umgekehrt.

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