Über agile Führung wird viel gesprochen, oft mit wenig Substanz. Wenn wir Führung wirklich neu ausrichten wollen, dann müssen wir über Kompetenzen sprechen, um diese aufzubauen und über Verhaltensweisen, um diese zu zeigen. Die Ergebnisse einer globalen Studie liefern einen Ansatzpunkt.
Organisationen müssen sich auf einen „digitalen Strudel“ (Bradley et al., 2015) einstellen, der in einem volatilen Markt wütet. Vernetzte, kundenfokussierte Lösungen werden verlangt, und zwar schnell. Um Kundennähe, Schnelligkeit und Anpassungsfähigkeit zu fördern, helfen agile Methoden und Prinzipien, die die Arbeitsweisen in Unternehmen zum Teil drastisch verändern.
Wenn sich die Art und Weise, wie wir arbeiten, ändert, muss sich auch die Art und Weise, wie wir führen, ändern. Aber wie? Das Global Center for Digital Business Transformation wollte dies in einer globalen Studie mit der IMD Business School und der Beratungsfirma metaBeratung herausfinden . Es wurden 19 Experteninterviews mit digitalen Führungskräften aus der ganzen Welt Daten aus einer globalen Umfrage mit 1042 Führungskräften analysiert.
Zugrunde lag ein Konzept zu digitaler Geschäftsagilität, nach dem Unternehmen, die sich erfolgreich in stark von Disruption betroffenen Märkten behaupten, konstant drei Verhaltensweisen zeigen. Die Studie fand diese wieder und ergänzte sie mit vier Führungskompetenzen (HAVE-Modell). Puckett & Neubauer (2018) entwickelten entlang des Modells einen Leitfaden zu Führungsverhalten und Kompetenzaufbau.
Die drei Verhaltensweisen agiler Führung
HYPERBEWUSSTSEIN (Hyperawareness): Die Marktbedingungen, technologische Entwicklungen und sich entwickelnde Kundenbedürfnisse werden ständig beobachtet. Es werden sowohl neueste Informationen als auch Echtzeitdaten gesammelt. Immer auf dem neusten Stand zu sein wird als Wettbewerbsvorteil erkannt und entsprechend priorisiert.
INFORMIERTE ENTSCHEIDUNGSFINDUNG (Informed decision making): Entscheidungen dürfen nur noch selten rein aus dem Bauch heraus gefällt werden. Wer zur Verfügung stehende Daten ignoriert, handelt im Prinzip fahrlässig. So gut es geht, sollten Datenanalysen und beispielsweise Trendbetrachtungen fest in Entscheidungsprozesse integriert werden.
SCHNELLES HANDELN (Fast execution): Das Sammeln und sorgfältige auswerten von Information kostet Zeit, ebenso wie das Beobachten von Trends. Hier muss eine Balance zu einer schnellen Umsetzung gefunden werden, die den Wettbewerbsvorteil sichert. Geschwindigkeit geht dabei über Perfektion. Geplant wird auf Sicht, Risiken eingegangen.
Um diese Verhaltensweisen in der Organisation zu verankern, und auf breiter Basis agiles Arbeiten zu entwickeln, braucht es auf Seiten der Führungskräfte die folgenden vier Kompetenzen.
Vier Kompetenzen der agilen Führung – das HAVE-Modell
BESCHEIDENHEIT (Humility)
Die Komplexität und Interdisziplinarität vieler Lösungen können nicht länger durch die eine Führungskraft bewältigt werden. Auch ist die Führungskraft nicht mehr Experte in allen Fragestellungen. Das muss die Führungskraft sich eingestehen und Andere auf Augenhöhe einbeziehen, offen sein, von Anderen zu lernen und Feedback anzunehmen.
ANPASSUNGSFÄHIGKEIT (Adaptability)
Die Geschwindigkeit und teilweise Unvorhersehbarkeit des Wandels macht es notwendig, Entscheidungen zu revidieren, Strategien anzupassen, Projekte zu modifizieren oder von heute auf morgen einzustellen. Führungskräfte dürfen vor solchen Meinungs- und Richtungsänderungen nicht zurückschrecken.
VISIONÄR (Visionary)
Insbesondere, wenn viele Richtungsänderungen passieren, braucht es einen roten Faden. Eine Vision, die inspiriert und Orientierung bietet. Diese Vision zu finden und vorzuleben, ist eine Führungsaufgabe, die in Zeiten von Unsicherheit und Experimenten, an Bedeutung gewinnt.
ENGAGEMENT (Engagement)
Insbesondere dort, wo Strukturen Flexibilität weichen, geschieht Führung durch Interaktion. Führungskräfte brauchen ein gutes, stabiles Netzwerk, innerhalb und außerhalb der Organisation. Um das Ohr am Markt zu haben, Ideen in der Organisation schnell aufzuspüren und Menschen und Ideen zusammenzubringen, befindet sich die Führungskraft ständig in Interaktion mit ihren Mitarbeitenden, Kollegen, Stakeholder und externen Interessensgruppen.
Agile Führung geht uns alle an
In agilen Organisationen gibt es in der Regel deutlich weniger Führungskräfte verglichen mit traditionellen Unternehmen. In agilen Arbeitsstrukturen wird Verantwortung geteilt, Führung passiert überall in der Organisation. Um Selbststeuerung zu fördern und Agilität zu schaffen und festigen, braucht es nicht nur agile Führung, sondern eine agile Unternehmenskultur – es braucht uns alle (mehr dazu siehe „Der Code agiler Organisationen“ Puckett, 2020 b).
Dr. Stefanie Puckett ist Diplom Psychologin mit Forschungshintergrund. Sie lebte und arbeitete global für mehrere Unternehmensberatungen, in Management- und globaler Rolle für eine Fortune-500-Firma, und führte ihr eigenes Unternehmen. Sie arbeitete mit über 500 Führungskräften und leitete mehrere hundert Workshops, Seminare, Coachings und Beratungsprojekte. Sie ist überzeugt davon, dass Veränderung immer mit dem Menschen beginnt. Als Beraterin und Executive Coach nutzt sie wissenschaftlich fundierte Thesen, um Problemen auf den Grund zu gehen.