Die größten Fehler beim Management des radikalen Wandels

Das Management des digitalen Wandels läuft immer nach dem gleichen Muster ab. Der Abstieg vom Primus zum Sitzenbleiber folgt dabei fast Stereotypen. Die größten Fehler, die Unternehmen beim Management des digitalen Wandels machen, lassen sich recht einfach identifizieren.

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Fehler 1: Der Fokus auf Bewahren und Verbessern

Es liegt tief in unserer menschlichen Psyche, dass wir das, was wir einmal erarbeitet haben, ungern wieder aufgeben. Egal ob Sie Zukunftsstrategien für sich selbst als Individuum, für Ihr Team, Ihre Abteilung, Ihr Unternehmen oder Ihre Organisation entwickeln, Sie beginnen zwangsläufig immer damit, das Bestehende erhalten zu wollen. Wären Sie anders, wären Sie ein hirnbiologisches Wunder.

Fehler 2: Ein falscher Blick auf neue Technologien

Jede Technologie lässt sich auf unterschiedliche Art und Weise einsetzen. Mit einer Kettensäge können Bäume gefällt, aber auch Kunstwerke aus Holz erschaffen werden. Sie können damit aber auch tragende Holzbalken einer Konstruktion durchsägen, wodurch die Kettensäge zu einem Instrument wird, dass das Bestehende einreißt.

Allgemeiner ausgedrückt: Die Technologie der Kettensäge können Sie nutzen, um die Effizienz bestehender Geschäftsmodelle zu erhöhen (Bäume schneller fällen, Arbeitskosten sparen, günstiger produzieren), Geschäftsmodelle zu optimieren und damit kundenfreundlicher zu gestalten (Kunstwerke schaffen) oder um bestehende Geschäftsmodelle zu ersetzen.

Wenn neue Technologien aufkommen und sich etablieren, gibt es drei unterschiedliche Sichtweisen:

  • die kaufmännische,
  • die kundenorientierte und
  • die disruptive.

Die kaufmännische Perspektive: Wie können wir Kosten sparen und mehr verdienen?

Die kaufmännische Sichtweise kennt nur eine Perspektive: Das Bestehende schneller, einfacher und damit preiswerter zu erledigen und – idealerweise – auch noch die Qualität zu erhöhen. Besser und billiger, das ist die Zauberformel der kaufmännischen Perspektive.

Die kundenorientierte Perspektive: Wie können wir neue Angebote entwickeln?

Bei dieser Perspektive geht es darum, neue Kundenerlebnisse zu schaffen: neue Services, einen gefühlten Mehrnutzen oder einfach nur eine schönere und moderne Verpackung des Bestehenden. Der Bitcoin-Geldautomat war am Anfang nicht mehr als ein Marketinggag. »Dein Gehalt in Bitcoin auszahlen lassen? Kein Problem.« Typische Fragen aus der kundenorientierten Perspektive lauten:

  • Wie können wir durch die Nutzung des Bitcoin neue Kunden und Kundinnen gewinnen?
  • Wir können wir für unsere bestehenden Produkte einen attraktiven Zusatznutzen schaffen?
  • Wir können wir den Bitcoin in der Werbung einsetzen?

Wie auch bei der kaufmännischen Perspektive geht es nicht darum, Märkte oder das Unternehmen nachhaltig zu verändern, vielmehr geht es darum, das Kundenerlebnis nachhaltig zu verändern und neu zu denken.

Die marktverändernde Perspektive: Wie können wir das Bestehende durch etwas Neues ersetzen?

Die marktverändernde Perspektive strebt danach, bestehende Strukturen nicht nur zu optimieren oder kundenfreundlicher zu gestalten, sondern sie komplett einzureißen und durch neue zu ersetzen. Beispiele dafür kennen wir genug:

  • Amazon und der Einzelhandel,
  • Musik und Filme im Abo streamen statt CDs und DVDs zu verkaufen,
  • Smartphone statt Handy et cetera.

Bei der marktverändernden Perspektive geht es nicht nur darum, das Bestehende zu optimieren und kundenfreundlicher zu machen, sondern die Strukturen radikal neu zu denken. Typische Fragen aus der marktverändernden Perspektive lauten:

  • Wie können wir die gesamten Strukturen bestehender Unternehmen (Produkte, Services, Geschäftsmodelle, Organisationsaufbau) durch die neue Technologie komplett ersetzen?
  • Wie können wir ein komplett neues Angebot schaffen, das es am Markt vorher so nicht gegeben hat?
  • Wie können wir zum Pionier werden und neue Märkte aufbauen?

Die marktverändernde Perspektive trägt das in sich, was der österreichische Wirtschaftswissenschaftler Joseph Alois Schumpeter (1883 bis 1950) »schöpferische Zerstörung« nannte. Diese Perspektive hat die Erfolgs- und Verwöhnt AG übersehen. Denn wer braucht schon einen Geldautomaten für den Transfer von Bitcoins? Die virtuelle Währung wurde ja gerade entwickelt, um Banken zu umgehen. Nicht, um für sie ein neues Geschäftsmodell zu entwickeln.

Welche Perspektive ist die richtige?

Alle drei Perspektiven sind bei der Betrachtung neuer Technologien wichtig. Es gibt kein »oder«, sondern nur ein »und«. Denn die ersten beiden Sichtweisen limitieren uns auf das Bestehende. Es findet kein wirklicher Reset statt.

Während sich die Vertreter der kaufmännischen und der kundenorientierten Perspektive damit auseinandersetzen, mithilfe neuer Technologien das Bestehende zu erhalten, sind andere dabei, das Werk der schöpferischen Zerstörung voranzutreiben. Während sich Bankvorstände darüber Gedanken machen, den Bitcoin zu nutzen, um junge Kunden und Kundinnen für das bestehende Produktportfolio zu begeistern, arbeiten andere daran, Banken zu zerstören und zu ersetzen. Während die einen versuchen, bestehende Strukturen mithilfe neuer Technologien effizienter zu machen, arbeiten andere daran, diese Strukturen zu zerstören.

Nicht immer gelingt das. Doch wenn es gelingt, reiben sich diejenigen, die Innovationen aus der ersten und zweiten Perspektive heraus vorangetrieben haben, verwundert die Augen. Für einen Reset braucht es alle drei Perspektiven. Die Bereitschaft, das Bestehende nicht nur zu optimieren oder schöner zu machen, sondern es radikal neu zu erfinden.

Fehler 3: Innovation kann warten – Wir haben gerade andere Themen

Es ist ein schwieriger Spagat Unternehmen gehen müssen, die ihre besten Beschäftigten (und meistens sind es die besten) dafür abstellen, das operative Geschäft zu verlassen und sich voll und ganz auf Innovation zu konzentrieren. Tatsächlich bedeutet Innovation zunächst einmal Verzicht. Egal ob Sie eine Strategie für nachhaltige Geschäftsmodelle erarbeiten, Digitalisierungskonzepte erarbeiten oder bestehende Prozesse im Hinblick auf Automatisierungspotenzial analysieren – Sie verzichten auf die Menschen, die Sie für Ihr operatives Geschäft am dringendsten brauchen.

Und hier ist die Falle: Es wird verschoben. Und verschoben. Und verschoben. Kleine Erfolge werden als große Innovationen gefeiert. Am Ende ist es jedoch nur Baldrian. Damit verliert das Unternehmen Stück für Stück an Wettbewerbsfähigkeit.

Fehler 4: Aus schnellen Prototypen werden Monsterprojekte

Wenn alle im Unternehmen alles richtig machen, bewegt sich wenig. Das, was im operativen Geschäft erfolgreich macht, verhindert Innovation. Die gleichen Richtlinien und Vorgaben, die gleichen Strukturen und Zuständigkeiten, die die Organisation zur Spitzenleistung bringen, verhindern den Fortschritt.

Bei der Umsetzung von Strategien müssen Unternehmen permanent abwägen: Geschwindigkeit versus Genauigkeit.

  • Ist es für die Umsetzung eines schnellen prototypischen Projekts erforderlich, die Nachhaltigkeitsstrategien aller Beteiligten sorgfältig zu prüfen?
  • Braucht die IT genaue Implementierungs- und Ressourcenpläne für die nächsten achtzehn Monate, wenn das Projekt nach sechs Monaten möglicherweise schon wieder beendet ist?
  • Und ist es wirklich erforderlich, zunächst eine spezialisierte Beratung für die Ausgestaltung eines Ausschreibungsverfahrens zu suchen?

Fehler 5: In die »Sunk Costs Trap« hineingetappt

Ein Reset ist im Kern zunächst nichts weiter als eine schonungslose Bestandsaufnahme des Bestehenden, kombiniert mit der Bereitschaft, das über Bord zu werfen, was nicht mehr funktioniert und durch das zu ersetzen, was den Herausforderungen angemessen erscheint. Man könnte dafür auch einige andere Sprichwörter bemühen:

  • »Alte Zöpfe abschneiden« oder
  • »Neue Besen kehren gut«.

Statt das Bestehende kontinuierlich fortzuentwickeln, werden Strategien von Grund auf neu gedacht. Klingt einfach in der Theorie, ist aber in der Praxis anspruchsvoll. Warum? Weil wir immer wieder in die gleiche Falle hineinlaufen: Eine Falle, die im Amerikanischen »Sunk Costs Trap« genannt wird. Die Furcht, sich einzugestehen, dass die Ressourcen (Zeit, Geld, Materialien, Kreativität et cetera) falsch investiert waren. Oder dass das, was man in den vergangenen Jahren mühsam aufgebaut hat, nicht mehr zu den Herausforderungen der Zukunft passt.

Fehler 6: Der mangelnde Glaube

Uber ist ein Phänomen. Im Juli und August 2021 meldete das Unternehmen erstmals einen operativen Gewinn – mehr als zehn Jahre nach seiner Gründung. Bis dahin verbrannte Uber Milliarden an Dollar. Jede Bäckereikette, jeder Maschinenbauer und jeder Autohersteller wären mehrfach bankrott bei diesen Geschäftszahlen. Nach dem traditionellen Maßstab der rückwärtsgewandten Unternehmensbewertung ist Uber eines der wertlosesten Unternehmen der Welt. Doch bei Technologieunternehmen zählt das nicht. Es zählen Wachstum und eine mögliche goldene Zukunftsperspektive. Eine Zuhörerin fragte mich während einer meiner Keynotes: »Glauben Sie eigentlich an Uber?« Damit brachte sie es besser auf den Punkt, als es klassische Börsenanalysten tun: Denn Uber ist wie viele andere junge Unternehmen vor allem eine Glaubensfrage. Investieren oder nicht – das hat mehr mit Religion, als mit Wirtschaftswissenschaft zu tun.

Glaubenssatz 1: Uber ist vollkommen unterbewertet

Uber ist nicht einfach nur ein Unternehmen, sondern das Symbol für die Digitalisierung der Mobilität. Selten hat es ein Unternehmen geschafft, innerhalb kürzester Zeit das Verhalten von Menschen so sehr zu verändern, wie es Uber tut. Gigantische Wachstumszahlen in Metropolen wie New York und San Francisco. Und auch in Deutschland, im Herzen der Taxilobby, beginnen althergebrachte Monopole zu wanken. Durch Dienste wie Uber Eats zeigt das Unternehmen, dass es Mobilität ganz neu denkt. Ob der Kunde zum Restaurant fährt oder das Essen vom Restaurant zum Kunden – es sind letztlich nur zwei Seiten ein und desselben Anwendungsfalls. Uber wird zudem einer der Vorreiter des autonomen Fahrens werden. Und durch seine gigantischen Bedarfe sogar die Produktionsketten klassischer Automobilhersteller beeinflussen oder sogar diktieren. Man könnte sagen: Selbst der Ausgabekurs der Uber-Aktie war drastisch unterbewertet. Angesichts des riesigen Potenzials ist Uber eine heiße Kaufempfehlung.

Glaubenssatz 2: Uber ist vollkommen überbewertet

Man muss Uber anrechnen, dass das Unternehmen ein Pionier ist. Dummerweise unterscheidet sich das Geschäft der Mobilität drastisch von dem anderer Technologiegeschäftsmodelle. Websuche à la Google ist ein weltweites Geschäft. Grenzenlos. Die Suche nach Ferienwohnungen über Airbnb ebenfalls. Und auch das Geschäft mit Videostreaming (Netflix, Amazon Prime) ist ein globales. Transport jedoch nicht. Selbst in den angestammten Märkten hat Uber starke Konkurrenz. Und in Deutschland sind die Märkte jetzt bereits deutlich härter umkämpft als in vielen amerikanischen Metropolen. FREENOW (ehemals mytaxi), Flinkster, nextbike (im November 2021 von Tier Mobilty übernommen) und Lieferando dominieren die Märkte von Uber bereits heute. Klar, das Unternehmen expandiert. Aber bereits in Hamburg und Hannover wartet der VW-Fahrdienst Moia, der angekündigt hat, ab 2025 in Hamburg autonom fahrende Fahrzeuge einzusetzen. Und die ersten geben schon wieder auf, so beispielsweise Clevershuttle in Leipzig. Das Unternehmen stellt den eigenwirtschaftlichen Betrieb Mitte Januar 2022 ein und agiert nunmehr als Partner für Städte, Landkreise und öffentliche Verkehrsunternehmen. Uber versucht geradezu panikartig, Geschäftsfelder in diesen unterschiedlichen Mobilitätsszenarien aufzubauen. Und ist damit keine Wette für die Zukunft.

Ein Investment in Uber ist ein Glaubensbekenntnis

Egal wie sehr Sie diskutieren und analysieren, am Ende werden Sie meistens zum gleichen Ergebnis kommen: Man muss an die Uber Story glauben oder eben nicht. Dass sich Mobilität in den nächsten zehn Jahren schneller und radikaler verändern wird als in den letzten fünfzig, dazu braucht es keine prophetischen Fähigkeiten mehr. Die Anfänge dieser Veränderung sehen wir jetzt bereits täglich um uns herum. Ob Uber die dominierende Kraft der künftigen Mobilität sein wird, ob es überhaupt eine dominierende Kraft in diesem Geschäft gibt oder ob Mobilität letztlich ein lokales Geschäft bleibt, das ist aktuell eine Glaubensfrage. Schaut man die Veränderung an, die beispielsweise klassische Automobilhersteller gerade durchlaufen, wird deutlich, dass der Kampf um Marktanteile für Uber kein einfacher sein wird. Und selbst wenn die Automobilhersteller zu langsam sein sollten, warten in vielen Metropolen bereits Start-ups, die dort Marktanteile und einen Kundenstamm aufbauen. Uber wird in diesen Regionen oder Städten vor der gleichen Situation stehen wie es andere tun: Sie müssen sich irgendwann Wachstum dazu kaufen.

Innovation und Transformation brauchen starke Glaubenssätze. Bei aller Excel-Ökonomie und allen wirtschaftswissenschaftlichen Analysen ist es das, was innovatives Unternehmertum antreibt: Der Glaube daran, die Zukunft zu gestalten.

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