Zu viel Harmonie ist der Feind des Fortschritts

Harmonie, permanenter Konsens, Ein-Meinungsbrei verhindert Kreativität, Innovation, Fortschritt – sie lähmt Unternehmen. Es gilt: keine Kreativität ohne Streit. Kein Fortschritt ohne kreative, konstruktive Konfrontation. Und das ist keinesfalls Aufruf zur Konfrontation um der Konfrontation willen. »Constructive Confrontation« ist eher eine Art der Kommunikation bei der Widersprcuh nicht nur gewüsncht, sondern aktiv gefördert wird. Wenn das Team sagt: »Wir verstehen uns alle prima, denken ähnlich und sind uns immer einig«, sollten wir schleunigst etwas ändern.

Stellen Sie sich eine typische Beziehung zweier typischer Couch-Potatoes vor: Julia und Horst, beide Ende vierzig, beide Bewegungsmuffel, beide resistent gegen jede Form von Diät und Fitness. Horst hat zwar manchmal das Gefühl, er müsse sich mehr bewegen, aber er will Julia nicht wehtun, denn er weiß ja schließlich, dass sie Sport ungefähr so attraktiv findet wie eine Zahlungserinnerung vom Finanzamt.

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Julia hingegen würde gerne häufiger einmal etwas Gesundes auf den Tisch bringen. Dummerweise müsste sie Horst ins Gesicht sagen, dass sie ihn zu dick findet und das würde unweigerlich zum Streit führen. Wenn Horst fetten Schweinebraten mit Knödel haben möchte, antwortet Julia: »Aber gerne doch, mein Schatz, Hauptsache es schmeckt dir«. Horst verhält sich mittlerweile wie eine alte Eiche. Jedes Jahr kommt ein neuer Jahresring hinzu, sein Umfang wächst.

Beide wollen gerne schlank und fit werden. Die Chance, dass sie es schaffen, ist kleiner als die von einem Kometen getroffen zu werden. Warum? Zu viel Harmonie. Vielleicht kennen Sie es aus Familien, in denen es jeder jedem recht machen möchte. Da wird allein die Diskussion über die Auswahl des Mittagessens ein Akt, der den Vormittag füllt.

»Was möchtest du essen?« »Ja das, was du gerne magst. Was möchtest du denn?« »Ich möchte gerne das, was du nimmst. Entscheid du doch mal.« »Nein, ich möchte nichts entscheiden, dir soll es doch schmecken.« Und so weiter und so weiter …

Ähnlich geht es im Team zu. Wenn Sie sagen: »Wir verstehen uns alle prima, denken ähnlich und sind uns immer einig«, sollten Sie schleunigst etwas ändern.

Teams im Wandel brauchen kreative konstruktive Konfrontation

Kreative konstruktive Konfrontation bedeutet nicht: Konfrontation um der Konfrontation willen. Ein Streit um die beste Lösung ist ein wesentlicher Bestandteil von Kreativität. Intel wurde mit einem Kommunikationsprinzip, das sich »Constructive Confrontation« nennt, erfolgreich – einer Art der Kommunikation, bei der Widerspruch nicht nur gewünscht ist, sondern aktiv gefördert wird.

Beispiel: Einsatz einer Spezialeinheit der Polizei

Stellen Sie sich vor, Sie sind Einsatzleiterin einer Spezialeinheit bei der Polizei und haben die Aufgabe, ein Haus zu stürmen, in dem Geiseln festgehalten werden. Sie befehlen laut: »Angriff!« Da meldet sich ein Beamter und sagt: »Ich finde das ist noch ein bisschen früh; wir sollten erst die Psyche des Geiselnehmers prüfen.« Eine Beamtin ergänzt: »Die Gefahr ist zu groß, der Geiselnehmer könnte sich bedrängt fühlen und in Panik geraten.« Und wiederum andere sagen: »Wir sollten die Sache einfach aussitzen, der Geiselnehmer wird schon irgendwann aufgeben.«

An diesem Beispiel zeigt sich der Unterschied zwischen Effizienz und kreativer konstruktiver Konfrontation.

Es ist effizient, wenn alle Mitglieder der Spezialeinheit wie ein Uhrwerk funktionieren, ihren Job so schnell wie möglich erledigen, auf das Überraschungsmoment setzen und den Geiselnehmer überwältigen. In diesem Fall brauchen Sie ein hohes Maß an Harmonie: Alle sollen möglichst gleich engagiert und mit einem möglichst homogenen Vorgehen handeln.

Möglicherweise ist es aber nicht die beste Lösung. Hier kommt der kreative Ansatz ins Spiel: Bevor gestürmt wird noch einmal den Reset-Knopf drücken. Vielleicht macht es Sinn, die Motive des Geiselnehmers näher zu hinterfragen, Strategiealternativen zu planen oder die Situation einfach auszusitzen. Der Vorteil dieser Variante: Sie erhalten viel mehr Handlungsoptionen und neue Ideen. Dabei ist ein zu hohes Maß an Harmonie eher schädlich.

Das, was Sie operativ stark macht, macht Sie kreativ schwach. Natürlich – das soll nicht unerwähnt bleiben – ist es wichtig zu unterscheiden, wann welcher Weg eingeschlagen wird. Wenn sich die Geiselnahme zuspitzt, ist keine Zeit mehr für Diskussionen.

Wägen Sie ab: Effizienz oder Kreativität

Bei der Etablierung von kreativem Denken im Unternehmen lautet eine wichtige Frage: »Wie viel Effizienz ist mir die Suche nach wirklich neuen Alternativen wert?« Jede Kritik, jeder Widerspruch, jede neue Option kostet Zeit.

»Diese Zeit habe ich nicht!«

Wirklich? Die folgenden fünf Fragen helfen Ihnen, zu entscheiden, ob Sie in der momentanen Situation Effizienz oder Kreativität benötigen. Es geht dabei nicht um eine radikale Entscheidung.

Kreative Prozesse werden Ihr Unternehmen, Ihre Abteilung oder Ihr Team nicht in den Ruin treiben, doch die Erarbeitung einer Lösung dauert in jedem Fall länger, als wenn Sie mit bewährten Methoden bewährte Ergebnisse erzielen. Mit den folgenden Aussagen können Sie prüfen, ob Sie in Ihrer Abteilung eher Effektivität oder Kreativität benötigen. Die Auswertung können Sie auch auf einzelne Teams, Prozesse oder sogar konkrete Aufgaben anwenden.

EffizienzKreativität
  
Ich brauche vor allem schnelle Lösungen. Zwar bin ich mir bewusst, dass es möglicherweise noch eine bessere gibt, aber das ist momentan unwichtig.Ich brauche keine bewährten Lösungen, sondern die besten innovativen Lösungen.
Die bisherigen Lösungsansätze haben sich bewährt, momentan werden keine Alternativen benötigt.Die bewährten Lösungsmöglichkeiten haben ihre Schwächen, allerdings haben wir bisher keine Alternativen gefunden.
Das Umfeld ist stabil geblieben, es gibt kaum neue Kundenwünsche, neue Anforderungen oder technologische Neuerungen.Das Umfeld hat sich geändert oder wird sich in naher Zukunft rasch ändern durch neue technische Entwicklungen, neue Trends, neue Kundenbedürfnisse, et cetera.
Der Prozess lässt sich problemlos standardisieren. Es kommt vor allem auf Perfektion an, der Einzelne kann daran wenig ändern.Kaum ein Prozess gleicht dem anderen. Der Input jedes Beteiligten entscheidet über Erfolg oder Misserfolg von Prozessen und Projekten.
Mein Team und ich werden hauptsächlich an der Prozesseffizienz gemessen. Weil das Ergebnis ohnehin feststeht, geht es darum, wie ein Uhrwerk zu funktionieren und möglichst schnell zu sein.Mein Team und ich werden vor allem an der Qualität von Ergebnissen gemessen. Wie wir dorthin gekommen sind, spielt eine geringere Rolle.

So entkommen Sie der Harmonie-Falle

Beziehen Sie Menschen in den Entscheidungsprozess mit ein, die anders denken, andere Lösungsansätze mitbringen und Ihre bisherigen Vorgehensweisen infrage stellen. Fordern Sie diese Menschen zur kreativen Zerstörung des Bestehenden auf.

Dies kann in Form einer Konferenz geschehen, in der Sie bewusst etablierte Lösungsansätze infrage stellen wollen, dies kann durch Beschäftigte sein, die Sie einem Projektteam zeitweilig zuordnen, dies können Arbeitsgruppen sein aus Mitarbeitenden, deren Denkweisen möglichst weit auseinander liegen, es kann eine Teammischung sein, die aus unterschiedlichen Charakteren mit unterschiedlichen Hintergründen besteht.

Achten Sie darauf, dass sich die Teammitglieder dabei nicht die Köpfe einschlagen! Machen Sie deutlich, dass jede Form der Kritik und des Widerspruchs rein sachlich und konstruktiv ist. Verbieten Sie jede Form von persönlichem Angriff.

Wirksame Übung: der heiße Stuhl

Setzen Sie entweder sich selbst oder Teammitglieder, die den bisherigen Lösungsansatz vertreten, symbolisch auf einen heißen Stuhl. Fordern Sie alle Anwesenden dazu auf, die Schwächen und Probleme der bewährten Herangehensweise schonungslos offenzulegen und zu kritisieren.

Die wichtigste Regel bei dieser Übung: Es darf nichts Nettes gesagt werden! Sobald Beschäftigte abwägen müssen, ob sie Gutes oder Schlechtes sagen, kommt Politik ins Spiel. Im zweiten Schritt greifen Sie die Kritikpunkte auf, geben diese in Arbeitsgruppen und fordern diese Gruppen auf, neue Lösungsansätze zu entwickeln.

Die neue Widerspruchskultur und die vielen anderen Denkansätze werden Ihnen häufig auf den Geist gehen. Sie werden sich nach den Zeiten zurücksehnen, in denen Sie harmonisch in einem kreativen Vakuum gelebt haben. Aber Sie werden auch spüren, dass Sie viele neue Ideen und Herangehensweisen erhalten.

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