Die Rattenfänger-Melodie

Neulich wurde ich auf einen Podcast aufmerksam gemacht. Der Titel: »New Work im klassischen Mittelstand«. Es ist ein Interview auf der intrinsify Plattform mit Stephan Heiler von Philipp Simanek. Ich freue mich stets über solche Hinweise. In diesem Fall sogar noch ein bisschen mehr. Schließlich konnten wir bei Heiler sämtliche Grundlagen für einen Systemwechsel entwickeln. Er führt nachhaltig raus aus der Bürokratiefalle, in der viele Betriebe stecken. Im Gespräch erzählt Stephan von verschiedenen Ereignissen vor, während und nach der Veränderung. Für mich ist das spannend, weil ich seit 2018 andere Firmen in ihrem Systemwechsel unterstütze. Soweit so erfrischend. Doch wie so oft …

Das dicke Ende kommt zum Schluss

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In Minute dreiundfünfzig lenkt der Moderator den Austausch in Richtung strategische Entscheidungen. Schon in seiner Überleitung weißt er daraufhin, dass er sich Mehrheitsentscheidungen hier nur schwer vorstellen kann. Stephan beschreibt dazu eine richtungsweisende Entwicklung aus dem letzten Jahr. Anders als in seiner Firma verabredet, beschließt er sie, über die Köpfe der Belegschaft hinweg. Einfach aus sich heraus. Er erzählt dann vom Gegenwind, der aufgrund dieses Vorgehens entstand. Schließlich geben die Mitarbeiter die Verantwortung an ihn ab und er nimmt sie an. Und er weiß, dass er damit den Weg einer selbstwirksamen Firma verlässt. Soweit so praxisnah. Das passiert eben in der Wirklichkeit. Den Knaller landet Philipp Simanek, ab Minute neunundfünfzig und neunundvierzig Sekunden. Auf den Hinweis von Stephan, dass die wichtigen strategischen Themen (noch) stets von ihm kommen müssten, antwortet der Interviewer mit …

„Gott sei dank!“

Er führt danach aus, dass Heiler an der, von intrinsify sogenannten Partizipationsfalle, vorbei schildert. Nach ihr ist Beteiligung nur für bestimmte Arten von Entscheidungen sinnvoll. Der Indikator, wann sie der falsche Weg sei, fände sich in Musterbrüchen mit der Vergangenheit. Was bei Strategie und Innovation in der Natur der Sache läge. Dort sei es deshalb notwendig, dass diese Themen von Einzelentscheider:innen vorangetrieben werden. Als aufmerksame:r Leser:in merkst Du die Häufung der Möglichkeitsform im Text. Wo kommt die nur her? Bis wir dazu kommen, noch ein wenig Forschung auf der Webseite. Direkt unter dem Podcast steht der Claim „GUTE IDEEN …

Für wirksame und bullshitfreie Arbeit“

Also neben der Omnipotenz des Allmächtigen geht es hier zusätzlich um was Gutes. Dort beginnt dann auch meine Suche nach der Grundlage für die Partizipationsfalle in Richtungsentscheiden. Schnell stoße ich auf Rutger Bergman. In seinem Buch »Im Grunde Gut« geht er wissenschaftlich dem Wolf im Manne auf den Grund. Er bringt etliche Nachweise, dass wir als Menschen, gerade in Gruppe, gut darin sind, unvorhergesehene Ereignisse zu meistern, die Systemwechsel von uns verlangen. Seien es Krieg, das Stranden an einer unbewohnten Insel im Pazifik, ein Tsunami oder andere Katastrophen. Doch Mist, diese Quelle kann ich wohl kaum anführen …

Lass stecken

“Aber halt mal Herr Borck,“ höre ich schon den Einwand: „da ist ja kein einziges Beispiel aus der Wirtschaft dabei. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, dann ist ja klar, dass Community funktioniert.“ Gut, gut, so einfach will ich es mir ja selbst nicht machen. Also weiter suchen. Schon einer meiner letzten Lichtblicke, »Time to Success« greift die Fallstricke zum Thema Entscheidungen auf. Ich beziehe mich dort auf das aktuelle Buch »Humanocracy« von Gary Hamel und Michele Zanini. Auch sie gehen wissenschaftlich vor. Forscht der eine doch seit zwanzig Jahren oder mehr zu genau diesen Themen. Überraschenderweise kommen sie zur Erkenntnis, dass gerade die Intelligenz der Gruppe, wird sie entsprechend getriggert, Firmen innovativ und fähig zu Musterbrüchen macht. Sie führen dafür etliche internationale Beispiele an, inklusive multinationaler Konzerne. Allerdings braucht es den Sprung über den großen Teich keineswegs. Anderas Zeuch weist unermüdlich nach, kollektiv handlen funktioniert. Also kommt die Forschung zum gegenteiligen Ergebnis wie Philipp Simanek. Gerade bei grundlegenden Veränderungen taugen die Vielen.

Doch Obacht! Er hat natürlich Recht. Geben wir uns Menschen die Freiheit, sich der Konsequenzen zu entziehen, so wie Stephan das im Interview beschreibt, weichen wir der Verantwortung für einen nötigen maßgeblichen Systemwechsel aus. Das ist allerdings ein Verhaltensmuster, das Neue Arbeit ja überwinden will. Haben wir es hier etwa mit sauren Spirituosen in angesagten Trinkgefäßen zu tun?

Wein und Schläuche

Aus eigener Erfahrung weiß ich, was dazugehört, damit Strukturveränderungen von einer Gruppe getragen werden. So gelang es Heiler 2016, die gesamte Vertriebsorganisation aus der Mannschaft heraus zu verändern. In wenigen Wochen. Dabei warfen sie alles über den Haufen. Es gab tiefe Eingriffe in die Prozesse. Neue Teams wurden gegründet. Mitarbeiter:innen wechselten ihre Arbeitsplätze. Kunden erhielten unbekannte Ansprechpartner. Bisher unstrukturierte Vertriebswege entwickelten System. Es entstand die grundsätzliche Trennung der Geschäfte mit Bezug zum Endkunden oder Objektkunden. Dieser Systemwechsel ist bis heute gültig. Also was genau ist die Partizipationsfalle von Philipp Simanek? Folgen wir der Wissenschaft und meiner Erfahrung, dann spricht er vor allem von zwei Faktoren:

Faktor eins: die formale Vereinfachung der Welt. Das Eigentumsrecht unterstreicht, dass die Besitzer:innen von Firmen alle, auch die grundlegendsten Entscheidungen, alleine treffen dürfen. Das ist wichtig, um im Missbrauchsfall jemanden dingfest machen zu können.

Faktor zwei: die allermeisten Technologien, Konzepte und Methoden bauen unhinterfragt auf Faktor Eins auf. Es gibt zu wenige Menschen mit Kompetenz darin, erfolgreiche Musterwechsel durch die Vielen zu erreichen.

Die Partizipationsfalle ist deshalb keineswegs ein Naturgesetz, wonach grundlegende Systemwechsel auf Einzelentscheiden beruhen. In meiner Welt beschreibt sie den Zustand, wenn Glaubenssätze, Inkompetenz und fehlende Vorstellungskraft dazu führen, unser krankes Wirtschaften zu erhalten. Sich auf die strategische Weisheit der Eigentümer zu verlassen ist, nach Stand der Wissenschaft, ungefähr so sinnhaft, wie Blutarmut mit Aderlassen zu bekämpfen.

Und so frage ich: „Wollt ihr wirklich weiter daran glauben, dass einige Wenige schon wissen, was strategisch richtig und innovativ ist?“ Ich weiß: „Die für eine Gemeinschaft sinnvoll richtungsweisenden Entscheidungen, die veraltete Systeme nachhaltig überwinden, finden nach Katastrophen oder eben durch aufgeklärte Gruppen statt.“

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