Time to Success

Ich sitze zusammen mit Andreas, dem Prokuristen eines Kunden. Wir sprechen gerade über die Vor- und Nachteile von Mehrheitsentscheiden. Er fragt mich schon eine Weile zum Thema aus. Schließlich kommt er auf den Punkt: „Ja, Gebhard, das hört sich alles toll an, doch dann geht unsere ganze Schlagkraft verloren. Deine romantischen Vorstellungen der Weisheit der Vielen geht zu Lasten unserer Handlungsfähigkeit!“

Ich halte, entgegen meiner Natur, erst einmal den Mund. Und Andreas legt nach: „Bis, wie von dir vorgeschlagen, alle Betroffenen einbezogen sind, hat ein kompetentes Führungsgremium die Entscheidung längst getroffen und auf den Weg gebracht. Oder willst Du das bestreiten?“ Diese Frage stellte er mir Anfang der Zehnerjahre. Heute könnte ich ihm Antworten: „Mehr noch, die Wissenschaft bestreit das. Denn sie sagt, du machst eine Milchmädchenrechnung.“

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Der Management-Rechenfehler in der Schlagkraft

Um zu verstehen, was damit gemeint ist, hilft es, zu lesen. Vor kurzem las ich das aktuelle Buch von Gary Hamel und Michele Zanini. Es heißt Humanocracy. Die Autoren erzählen darin von Unternehmen, die sich an uns Menschen anpassen und nicht umgekehrt. Sie leiten verschiedene Prinzipien ab, die diesen Wandel ermöglichen. Alles in allem ein empfehlenswertes Buch für Dich, wenn Du keine Lust mehr auf überbordende Bürokratie in Deiner Firma hast. Die Autoren führen im Buch einen Begriff ein, für den ich ihnen sehr dankbar bin: Time to Success. Vielleicht kennst Du den Ausdruck Time to Market. Sie umfasst die Zeitspanne von der Produktentwicklung bis zur Markteinführung. Doch was ist …

Time to Success?

Andreas bezog sich in seiner Argumentation auf die Zeitspanne Time to Decision. Also wie lange braucht eine Firma, bis sie vom Erkennen eines Problems, einer Herausforderung zu einer Entscheidung über ihr Verhalten kommt. Für diesen Zeitraum ist klar, je weniger Leute ich einbeziehe, umso kürzer kann er sein. Der Prokurist unterstellt allerdings noch etwas anderes. Er geht davon aus, dass die Betroffenen ihr Tun, gemäß des Beschlusses, diszipliniert verändern.

Natürlich weißt Du genauso gut wie ich, dass ist Quatsch. Aus diesem Grund überlegt sich Führung heute mit jeder wichtigen Entscheidung gleich mit, wie sie die Mitarbeitenden für Folgsamkeit belohnen und für Widerstand bestrafen. In Firmen, die sich für menschzugewandt halten, ummantelt deshalb inzwischen meistens eine groß angelegte Kommunikationskampagne diese Mechanismen. Natürlich eine sehr zugewandte. In der spielen wir uns dann das Agile-Theater vor. In ihm bestimmen Menschen scheinbar selbst über ihre Arbeit, weil sie das Recht haben, aus einer vorgegebenen Aufgabenmenge die auszusuchen, die ihnen am besten gefallen. Oder indem sie im Delegationspoker erklärt bekommen: „In der Entscheidung hast du keinen Einfluss.“

Ein Streit darüber, ob ich es richtig beschreibe, lenkt uns allerdings vom wahren Problem ab. Also vergiss, was ich gerade geschrieben habe. Egal wie wir es drehen und wenden. Hamel und Zanini haben den sinnvolleren KPI. Sie messen Time to Success. Sprich, wie lange dauert es vom Problembewusstsein bis zur nachweisbaren, ja sogar messbaren Problemlösung. Jetzt steht Andreas im Regen. Denn nach wie vor ist es in Firmen so, dass im Anschluss an Entscheidungen mit Tragweite eine unvorhersehbar lange Phase kommt, in der Menschen überredet werden mitzumachen. In der ihr Widerstand mit einiger Anstrengung niederzuringen ist. In der loyale Mitarbeitende ihre Verbindung zur Firma verlieren. In der ständige Nachbesserungen immer mehr Geld verschlingen. In der sich die Investition stets verteuert, währen die Nutzeneffekte teilweise oder sogar ganz ausbleiben. Sobald Du in Time to Success denkst, hast Du den Schlüssel in der Hand, all diese Verschwendung abzustellen.

Das Ende sinnloser Verschwendung

Adaptive Organisationen verstehen das schon lange. So optimieren sie den Gesamtprozess. Anstatt nur die Zeitspanne bis zur Entscheidung, möglichst kurz zu halten. Sie gehen etwa die Beteiligung professionell an. Einen Weg das hinzubekommen, nennen wir Betriebskatalyse. Auch Hamel und Zanini sprechen in ihrem Buch von Katalysatoren. Menschen ohne Weisungsbefugnis, die anstelle von schnellen Entscheidungen für tatsächliche Verbesserungen sorgen. Wer einmal bei einem Autobauer in der Entwicklung war weiß, am teuersten ist die Verschiebung des Starts der Produktion. Jeder Tag kostet hier Millionen. Genauso ist es bei allen Veränderungen mit Tragweite in Firmen. Richtig teuer wird es, setzen die Menschen die Beschlüsse nur teilweise, unmotiviert, qualitativ gleichgültig oder ohne Verständnis um.

Und so frage ich: „Wollt ihr wirklich weiter daran glauben, dass eure Schlagkraft von der Geschwindigkeit eurer Entscheidungen abhängt?“ Ich weiß: „Wir alle wollen Wirksam sein. Das hängt allerdings vielmehr davon ab, dass wir unser Tun wirklich selbst gestalten als davon, dass uns schnell gesagt wird, was andere glauben, dass zu tun ist.“

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