Agil führen – schnelles Agieren

Agiles Führen lässt sich im Wesentlichen durch drei Verhaltensweisen charakterisieren. Im ersten Beitrag dieser Serie stellte Dr. Stefanie Puckett das Hyperbewusstsein vor. Eine weitere essenzielle Verhaltensweise ist das schnelle Agieren. Doch was heißt das konkret? Wie viel Schnelligkeit verkraftet eine Organisation? Antworten darauf liefert unsere Autorin im zweiten Teil dieser Serie.

Schnelles Agieren bezieht sich auf eine sehr starke Ergebnis- und Handlungsorientierung. Es geht darum, einmal getroffene Entscheidungen unverzüglich umzusetzen. Und Projekte entlang einer ehrgeizigen Zeitplanung voranzutreiben. Ist das Projekt im Gange, wird aktiv Feedback eingeholt und Fehler werden schnell entdeckt. Schnelles Agieren gilt auch bei der Verarbeitung von Feedback und Fehlermeldungen sowie dem Anpassen und Optimieren der gefundenen Lösungen.

Obwohl Transparenz eigentlich zu agilem Arbeiten dazugehört, macht Zalando hier zugunsten schnelleren Handelns eine Ausnahme und lässt einige Teams einfach machen. Hier werden beispielsweise neue Apps selbstständig entwickelt und in einem Markt getestet. Dies zeigt nicht nur Vertrauen in die Teams, sondern dient auch der Schnelligkeit.

Die Folgen, die Zalando sieht, sind mehr Innovationskraft und kürzere Entwicklungszyklen. Ein Erneuern einer App, das früher ungefähr ein Jahr gedauert hätte, kann laut Eric Bowman, Oberentwickler bei Zalando, im Interview mit dem Onlinemagazin brand eins, heute in zwei Monaten passieren. Schnelles Agieren bei Zalando wird also vornehmlich dadurch ermöglicht, dass Teams die volle Autonomie haben.

Schnelligkeit ist auch bezüglich der Unternehmenssteuerung gefragt. Dank der Digitalisierung sind Geschäftsdaten jederzeit aktuell abrufbar. In der Folge kann viel schneller auf sich abzeichnende Trends reagiert werden: Wo man früher erst einmal die Quartalszahlen abwartete, genügt heute ein Knopfdruck. Die Frequenz der Steuerung ist damit um ein Vielfaches höher als es früher möglich war.

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Welche Faktoren spielen eine Rolle?

1. Von der Idee bis zur Umsetzung – wie viele Hürden müssen überwunden werden?

Je mehr Personen und insbesondere je mehr hierarchische Ebenen eine Entscheidung absegnen müssen, desto länger dauert der Prozess. Die Verzögerungen setzen sich fort, wenn jeder Change Request ebenso durch die Genehmigungsfilter tropfen muss.

Bremst Sie dies in der (schnellen) Ausführung Ihrer Handlungen, dann geben Sie das Feedback weiter – erarbeiten Sie Lösungsansätze und sprechen Sie mit Ihrem Chef.

Reflektieren Sie Ihre eigenen Prozesse. Wie halten Sie es mit Genehmigungsprozessen innerhalb Ihres Teams, Ihres Bereiches? Was kann man verschlanken? Welche Entscheidungskompetenzen können Sie vollständig (!) an Einzelne/an das Team geben?

2. Wie hoch ist die Hürde für das Go-Live?

Wie viele Tests einer neuen Lösung sind vorgegeben? Und wichtiger: Wie vollständig und wie perfekt muss die Lösung sein?

Hier ist Abstimmungsarbeit gefragt. Wie ist die Sicht des Kunden? Wie ist die Sicht der Stakeholder? Wie sieht es über Ihnen in der Linie aus? Verhandeln Sie! Als agile Führungskraft setzen Sie Schnelligkeit vor Perfektion. Denken Sie daran, Kurskorrekturen sind immer möglich. Wenn aber einmal der Anschluss verpasst ist, wird es schwierig.

Fragen Sie Ihre Mitarbeiter, was Sie an Ihren Vorgaben und Strukturen ändern müssen, damit Hürden abgebaut werden können und die Straße zur Umsetzung frei ist.

3. Wie detailliert muss die Dokumentation und die Planung sein?

Richten wir uns nach dem Agilen Manifest. Ein funktionierendes Produkt/System/ein funktionierender Prozess … ist wichtiger als eine ausführliche Dokumentation desselben. Dokumentieren Sie nur das Wesentliche. In Sachen Planung rät das Agile Manifest uns, flexible Anpassungen in jedem Falle höher zu gewichten als eine detaillierte Planung. Auch hier gilt: Planen Sie das Wesentliche. Mehr nicht. Planlos sollten Sie sicher nicht an eine Sache herangehen, aber legen Sie lieber schneller los, als zu viel Zeit in eine Planung zu stecken (die vermutlich ohnehin angepasst werden muss). Auch hier geht es um Verschlankung der Prozesse und das Senken der Hürde für das Loslegen.

Haben Sie das Gefühl, Sie könnten schneller agieren, wenn Sie weniger Formalien einhalten müssen? Geben Sie Feedback! Fragen Sie Ihre Mitarbeiter, was Sie an Ihren Vorgaben und Strukturen ändern müssen, damit schneller agiert werden kann.

4. Darf man experimentieren? Auf Probe loslegen?

Hier steckt oft eine große Führungsaufgabe. Lesen Sie hierzu die Tipps, wie man eine Fehler- und Feedbackkultur fördert (siehe den ersten Abschnitt des fünften Kapitels zur Kompetenzdimension »Bescheidenheit«). Kommunizieren Sie klar, was Sie von Ihren Mitarbeitern erwarten. Belohnen Sie Eigeninitiative und schnelles Handeln, auch wenn dabei etwas schiefgeht. Sicherzustellen, dass aus den Fehlern gelernt wird, ist Ihre Aufgabe.

Die Antwort auf die obige Frage lautet ja, Sie dürfen. Korrigieren, einstellen, anpassen kann man nachher immer noch. (Lesen Sie hierzu den zweiten Abschnitt des fünften Kapitels zur Kompetenzdimension »Anpassungsfähigkeit«.) Besser sogar, man hat ja Erfahrung sammeln können. Statt lange an einer Planung zu arbeiten, oder jedes Detail einer Lösung auszuarbeiten, probieren Sie es aus, pilotieren Sie. Daniel Ek, Gründer und Vorstandsvorsitzender des Unternehmens Spotify hat beispielsweise das Motto »Nur wenn wir schneller scheitern als die anderen, lernen wir schneller. Und nur dann wird unser Produkt schneller besser als das Produkt der Konkurrenz«.

5. Hat man überhaupt Zeit, schnell zu arbeiten?

Schnelles Arbeiten braucht Fokus. Wenn Mitarbeiter alle möglichen zeitkritischen Aufgaben parallel erledigen müssen oder ständig neue, wenn auch kleine Anfragen und Aufgaben hinzukommen, können sie kaum den notwendigen Fokus aufbringen, eine Initiative zügig und effizient zum Ende zu bringen. Der mentale Switch zwischen Aufgaben kostet Energie und der Schwung geht durch Unterbrechungen verloren. Wenn Sie agiles Arbeiten einführen, bedeutet dies für die Mitarbeiter außerdem, mehr Verantwortung zu übernehmen und häufig, sich in neue Technologien einarbeiten zu müssen. Hierfür braucht es Zeit, die fest für die Fortbildung, die Einarbeitung geblockt ist.

Zur Anregung folgen Sie einem Denkszenario: Angenommen, Sie schaffen das nächste Projekt in der Hälfte der Zeit. Hört sich ehrgeizig an. Aber nehmen wir an, Sie haben es geschafft. Wie ist Ihnen das gelungen? Was war anders?

Und schließlich: Walk the Talk. Seien Sie Vorbild. Setzen Sie schnell um. Auch wenn die Lösung erst teilweise steht. Zeigen Sie, wie Sie Wettbewerbsvorteile durch Schnelligkeit erzielen und die Qualität entlang des Weges – wo nötig – angepasst werden kann. Teilen Sie mit Ihrem Team Situationen, wo spätere Anpassungsmöglichkeiten zu einem Vorteil für den Kunden werden. Vielleicht wurden Teilspezifikationen für die Lösung auch erst zu einem späteren Zeitpunkt erhoben. Könnte die Lösung so verbessert werden? Schließlich konnten erste Erfahrungswerte einfließen.

Schauen wir auf die klassischen Führungskompetenzen: Auf Kompetenzebene spielen hier vor allem drei Führungskompetenzen eine Rolle.

1. Ergebnisorientierung: Die Führungskraft fokussiert auf das Erreichen von Zielen, das Liefern von Ergebnissen. Der Weg dorthin (Prozesse, Strukturen, Verfahren) sind weniger relevant.

2. Handlungsorientierung: Kenntnisse und Fähigkeiten werden genutzt, um Handlungen auszuführen (versus diese zu planen).

3. Risikobereitschaft: Die Führungskraft ist chancenorientiert und hat den Mut, Entscheidungen auch gegen den Strom und unter Unsicherheit zu treffen. Risiken werden abgewogen und kalkulierte Risiken eingegangen.

Risiko 1: Aktionismus

Führungskräfte, die schnell agieren und reagieren, profitieren von einer hohen Ausprägung in der Kompetenzdimension »Visionär sein«. Lesen Sie sich als Anregung die Führungsverhaltensweisen durch, die unter Visionär empfohlen werden.

Risiko 2: Schnell aber schlecht: Fehler, Scheitern, Schrott

Geschwindigkeit wird vor Perfektion gesetzt. Dies kann auf die Qualität schlagen. Flexibilität wird vor Planung und Struktur gesetzt. Manchmal kann die Erfolgswahrscheinlichkeit deutlich erhöht werden, wenn zumindest ansatzweise geplant wird.

Risiko 3: Alleingang

Ein starker Tatendrang verbunden mit einem hohen Dringlichkeitsempfinden verleitet nicht nur dazu, schnell zu handeln, sondern auch – oft aus Zeitgründen – andere nicht einzubeziehen. Dies kann nicht nur auf die Qualität schlagen (siehe oben). Einen Alleingang verzeiht Ihnen das Team sicher, wenn Sie die Notwendigkeit dafür aufzeigen können. Regelmäßige Alleingänge können aber dazu führen, dass Ihr Team den Anschluss verliert und Sie am Ende alleine dastehen, während Ihr Team an eigenen Zielen arbeitet.

So gehen Sie mit einer fehlenden Schnelligkeit um

Vielleicht gehören Sie eher zu den überlegten Führungskräften, die mit Umsicht, Bedacht und Sorgfalt zunächst mal an die Planung und das Bilden einer Struktur gehen. Vielleicht brauchen Sie Bedenkzeit. Oder vielleicht sind Sie risikoscheu. Vielleicht warten Sie bei zu viel Unsicherheit oder zu vielen noch nicht bekannten Einflussfaktoren erst mal ab, statt ins Vage voranzuschreiten. Und vielleicht legen Sie viel Wert auf Qualität, sind eher perfektionistisch. Dann schließt auch dies nicht aus, dass Sie eine ausgezeichnete agile Führungskraft werden können. Lesen Sie im Folgenden wie Sie bei Ihrer Persönlichkeitsstruktur zu einem schnelleren Handeln und Umsetzen finden können.

So kompensieren Sie eine langsamere Herangehensweise

Das Beschleunigen Ihrer Reaktion können Sie nicht delegieren. Aber Sie können sich als verlangsamenden Faktor aus der Gleichung herausnehmen. Bauen Sie Genehmigungsschleifen und -hürden ab. Delegieren Sie Entscheidungskompetenzen. Richten Sie End-zu-End-Verantwortungen in ihrem Team ein.

Sie können auch an Ihrer Persönlichkeit arbeiten, indem Sie einen umsetzungsstarken Mitarbeiter bereits früh in ihre Überlegungen einbeziehen und sich von ihm zu schnellerem Handeln coachen lassen.

Wenn Sie ein Perfektionist sind, empfiehlt sich ohnehin ein Umdenken, denn selbst wenn Sie eine perfekte Lösung und einen perfekten Plan haben, der nächste Tag, die nächste Woche, konfrontiert Sie mit neuen Umständen und Ihre Lösung ist auf einmal nicht mehr perfekt.

Heute darf und muss man sogar Fehler machen. Heutige Produkte, Systeme, Prozesse dürfen unfertig auf den Markt geworfen werden. Denn nur so haben Sie die Flexibilität, zu optimieren und sich verändernden Umständen anzupassen. Es klingt paradox, aber geben Sie den Dingen Zeit. Denken Sie langfristig.

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