Welchen Job würden Sie sich selbst geben?

Gute Frage? Dann antworten Sie bitte! Ist es derjenige, den Sie gerade haben? Oder ein anderer? Ein vielleicht vollkommen anderer? Und welcher dann? Diese Fragen – oder besser: die Antworten darauf – bringen Sie möglicherweise auf neue Gedanken.

Vielleicht erkennen Sie, welche Motivationen, Potenziale und Ressourcen Sie verschenken. Oder welche Sie noch besser in Ihrem aktuellen Beruf integrieren können. Denn wenn Sie die Erkenntnis erhalten, die jetzige Tätigkeit ist die Richtige, könnte die nächste Frage lauten: warum? Was macht den Job so passend? Was macht viel Spaß, was genau zufrieden, was fordert heraus und bringt immer wieder Ihre Talente zum Ausdruck? Dabei können genau diese Fähigkeiten und Kompetenzen ggf. ausgebaut werden oder an anderer Stelle eingesetzt werden. Ein Klient kam, derart gefragt, auf die Idee, seine Sehnsucht und Begeisterung, Menschen zu beraten (er war Vertriebler), damit sie zufrieden sind und immer wieder auf seine Angebote zurückgreifen, auch anderen Abteilungen durch Vorträge und Kollegialen Begleitungen anzubieten. Das dient dem gesamten Unternehmen. Sollte es ein anderer Job sein, der in den Antworten auftaucht: nicht verzagen! Das heißt nicht immer gleich „Jobwechsel“. Es bleibt zu überlegen, wie Sie die brach liegenden Möglichkeiten eigenständig in Ihren aktuellen Workflow einbauen können. Vielleicht auch in anderen Funktionen: z.B. als Mentor. Vielleicht lassen sich die erkannten Potenziale auch anders im Leben einsetzen, im Hobby, gemeinsam mit Gleichgesinnten, in zweiten Standbeinen etc.  Oder es heißt doch: anpacken und andere Berufswelten erobern.

Und nun kommt‘s: Haben Sie als Führungskraft den Mut, Ihren Mitarbeitern diese oder eine ähnliche Frage zu stellen? Ohne gleich zu mutmaßen, dass Sie schlafende Hunde wecken, selbst ein Motivationsloch graben und der Mitarbeiter übermorgen die Koffer packt?

Die Führungskraft als Schatzgräber seiner Mitarbeitenden

Fragen sind Schaufeln zum Schatzgraben. Schätze in Form von neuen Ideen, Erkenntnissen, die sie sonst nie finden würden. Der wichtigste Schatz: sie finden zueinander, lernen Ihre Mitarbeiter*innen besser kennen – vielleicht zum ersten Mal richtig! – und schaffen so Vertrauen. Das ist die Urformel für tragfähige Beziehungen. Und damit der größte Schatz, den Sie sich selbst im Sinne wirksamer Führung ermöglichen können.

Fragen sind Schatzöffner. Wenn wir die Bedeutung von Fragen ernst nehmen wollen, brauchen wir bloß Kinder zu beobachten. Ihre ungebremste Neugier und ursprüngliches Interesse an allem zwingt sie geradezu, Fragen zu stellen. Sie wollen alles erkunden (und hören dann allerdings oft: „Frag nicht so viel“) und entdecken. Damit erhalten sie nicht nur Informationen über ihre Umwelt, sondern auch über ihre Antwortgeber. Über deren Einstellungen, Vermutungen, Kompetenzen, Interessen und Vorlieben. Und sie erhalten eine Verbundenheit, Vertrauen in andere Menschen. Damit wird das wichtigste psychische Grundbedürfnis nach Bindung erfüllt.

Führungskräfte können mit Fragen dieses Vertrauen (wieder) erschaffen und nachhaltig erhalten. Und dabei kommen sie nicht nur den Mitarbeitenden näher, sondern auch sich selbst. Sie machen sich durch diese Nähe verletzlich und sind damit menschlich authentisch. Oft ist das gleichzeitig auch der Grund, weshalb Fragen ungefragt bleiben. Und damit fehlen auch die für den Führungserfolg so wichtigen Antworten.

Wer führt fragt – und umgekehrt

Eine der wichtigsten Fragen in der beziehungsorientierten Führungsarbeit sind zwei, welche die Führungsbeziehung direkt betreffen – und deshalb ganz selten gestellt werden:

An sich selbst als Führungskraft:
Warum sollten andere Menschen Lust haben, sich von mir führen zu lassen?

Und an die Mitarbeitenden:
Wieviel Bereitschaft habe ich (von 1-10), mich von meiner/m Chef*in führen zu lassen? Warum?

Diese Fragen sollten erst einmal von Mitarbeitenden und Führungskräften getrennt beantwortet werden. Allein die Akzeptanz erfordert von den Beteiligten schon genug Mut. Und es ist natürlich grundsätzlich eine Haltung notwendig, welche von Transparenz, Offenheit und Empathie getragen ist.

Dann lassen sich – alternativ oder zusätzlich – auch Fragen stellen, welche die Zusammenarbeit regeln können:

Was brauche ich vom Mitarbeiter, um ihn optimal zu führen.

Was kann ich dazu beitragen, was kann die Mitarbeiterin von mir erwarten?

und

  •  Was benötige ich von der Führungskraft, um optimal geführt zu werden?
  •  Was kann ich dazu beitragen? Was kann die Führungskraft von mir erwarten?

Danach sind Mitarbeitende und ihre Führungen in der Lage, u.a. über die dazu notwendigen Ressourcen, Kompetenzen und Spielräume zu sprechen. Vielleicht entstehen zum ersten Mal Einsichten in die Persönlichkeiten und deren Befindlichkeiten, auch Empfindlichkeiten. Dann werden „Notfallpläne geschmiedet“. Sie vereinbaren Maßnahmen, die von beiden ergriffen werden, wenn die Erwartungen aneinander nicht erfüllt werden können. Das schafft wieder einen Vertrauensbonus und erhöht die Selbstlegitimationen beider, zu intervenieren. Dazu habe ich im XING-Magazin ausführlicher geschrieben:
Führung ist Beziehung: So optimieren Sie die Zusammenarbeit | XING Coaches. Hier sind auch noch mehr großartige Fragen an Führungskräfte und Mitarbeitenden aufgezählt. Sie können gute Grundlagen für Mitarbeitergespräche und wirksame vertrauensvolle Führungsbeziehungen sein.

Worte sind wert-voll!

Unsere Art und Weise, zu sprechen und dabei -unbewusst- ganz bestimmte Worte zu benutzen, sagt sehr viel über unsere Werte aus. Werte sind das, was uns im Leben wichtig ist. Sie bilden das Grundgerüst unserer in der Öffentlichkeit sich präsentierenden Persönlichkeit. Werden sie verletzt bzw. nicht erfüllt, meldet sich Widerstand. Also macht es eine Menge Sinn, als Führungskraft diese Werte zu hinterfragen, besonders in schwierigen, problembeladenen Situationen. Auch das ist ein „Bindemittel“ vertrauensvoller Beziehungen.

Dabei kann theoretisch und mit etwas Übung jedes Wort auf seinen Wertgehalt hinterfragt werden.

Ein Beispiel soll das verdeutlichen:

Eine Mitarbeitende kritisiert ihre Arbeitslast mit den Worten „Ich kann das unmöglich auch noch übernehmen.“
Die Führungskraft hat dann folgende Fragemöglichkeiten:

Ich                  Wer könnte das aus Ihrer Sicht übernehmen?
                      (Werte: Zusammenarbeit, Fairness, Anerkennung)
kann              Was hindert Sie (momentan) daran? Was benötigen Sie dafür?  
                      Wer kann das ggf. besser /ist momentan in der Lage dazu? Wer kann Sie
                      unterstützen?

                        > Werte: Unterstützung, Verständnis, Zusammenarbeit <

das                 Was genau? Geht es um die ganze zusätzliche Aufgabe? Welchen Teil
                      dieser Aufgabe können Sie unter den aktuellen Umständen über-
                      nehmen? Welche nicht?

                      > Werte: Verständnis, Ausgleich, Teilen <

unmöglich    Was genau ist für Sie unmöglich? Was ist unter den gegebenen
                      Umständen möglich? Ist alles daran unmöglich? Was brauchen Sie dazu,
                      es möglich zu machen bzw. doch zu schaffen?
                        > Werte: Unterstützung, Verständnis <

auch               Woran arbeiten Sie momentan? Welche Aufgaben erledigen Sie  
                       gerade? Was hat für Sie Priorität? Was können Sie/wir an den
                       Prioritäten ändern. Was ist Ihnen gerade wichtig? Was kann im Ablauf,
                       der Struktur, dem Zuarbeiten etc. Ihrer Meinung nach geändert
                       werden?

                       > Werte: Interesse, Prioritäten, Struktur, Zeitempfinden, Pflicht-
                           bewusstheit, Gewohnheit, Treue <

noch              Woran arbeiten Sie zurzeit noch? Was kann anders behandelt, z.B.
                       zurückgestellt werden? Was macht besondere Arbeit, Stress etc.? S.o
.
                         > Werte: Struktur, Entlastung, Leichtigkeit, Übersicht <

übernehmen  Was können Sie dazu beitragen? Unter welchen Bedingungen ist das
                          möglich? Was können andere Kollegen*innen übernehmen. Wie
                          können andere/ich Sie unterstützen?
 
                           > Werte:  Anerkennung, Unterstützung <

Wenn nicht explizit erwähnt, so werden implizit in jeder Situation, in denen Fragen aufklären sollen, Werte wie Interesse, Respekt, Wertschätzung, Anerkennung und Zugehörigkeit angesprochen.

Haltung kommt VOR Verhalten – auch beim Fragenstellen

Das spüren die Befragten und können sich so besser öffnen. Zumindest dann, wenn diese Fragen aus einem echten Bedürfnis der fragenden Führungskraft gestellt werden, den zu anderen verstehen, akzeptieren und unterstützen zu wollen. Als reine Methode geht es daneben! Die Fragen sind eine Auswahl. Keinesfalls sollte wie in einem Verhör eine Frage nach der anderen gestellt werden. Das wirkt gestelzt und kontraproduktiv. Die Fragen sind allesamt lösungsorientiert. Das erfordert ebenfalls eine authentische Grundhaltung, gemeinsam mit den Mitarbeitenden eine Lösung herbeiführen zu wollen, die allen möglichst gerecht wird.

Danach bleibt nur noch die Frage vom Anfang: Noch Fragen?
Wenn diese nicht beantwortet wird, werte ich das erst einmal als ein gutes Zeichen.

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