Das Virus legt in diesen Wochen eine grundsätzliche Schwäche unseres Denkens offen: Es gibt viel zu viele Fragen. Aber nur wenige kluge Fragen. Fragen, die den Kern einer Sache offen legen. Sozusagen die Frage, die alle anderen Fragen zusammenfasst. Wer aber nicht intelligent und fokussiert fragt, darf auch keine intelligenten Antworten erwarten.
Welches ist – zum Beispiel und eigentlich – die zentrale Frage in dieser Pandemie: Wie schützen wir die Alten? Nach welchem System soll geimpft werden? Oder: Wie mutiert das Virus? Wann öffnen die Geschäfte wieder? Oder: Geht Corona irgendwann wieder vorbei? Wann dürfen wir wieder normal leben? Bei dieser Kakophonie der Fragen dürfen wir uns über das Chaos bei den Antworten nicht wundern. Menschen reden immer dann aneinander vorbei, wenn vor dem Gespräch die zentrale Frage, die oft nicht einfach zu finden ist, ungeklärt bleibt.
DIE EDGE-FRAGE
Wir können dieselbe Systematik bei jedem anderen Thema wiederfinden: Trump. Flüchtlingsfrage. Breitbandausbau. Mobilitätswende. Und wenn Ihnen das zu hoch ist: Jede Paarbeziehung leidet daran. Anstatt sich zunächst auf eine kluge Frage zu einigen, jagt im Streit eine Beleidigung die andere, bis keiner mehr weiß, worum es ursprünglich ging. Was aber sind kluge Fragen? Bis ins Jahr 2019 gab es die berühmte Edge-Frage. Entwickelt vom US-Vordenker John Brockman, der jedes Jahr den 300 klügsten Köpfen der Welt eine einzige Frage stellte, die diese in wenigen Zeilen beantworten sollten: Was ist die bedeutendste Neuigkeit dieses Jahres? (2015) – Was macht uns schlauer? (2012) – Wie hat das Internet ihr Denken verändert? (2011) – Was ist die letzte Frage? (2019). Und machte daraus jedes Jahr eines der lesenswertesten Bücher überhaupt.
DIE SCHWÄCHE DES LINEAREN DENKENS
Wenn Sie in Ihrem Unternehmen, für Ihr Leben, für unsere Gesellschaft eine einzige Frage stellen dürften – welche wäre das? Und wie müsste sie aussehen, damit sie intelligente Antworten darauf bekommen? Die Frage „Wie machen wir 20 Prozent mehr Umsatz?“ führt, wir wissen das, trotz aller World-Cafes und Design-Thinking-Schnickschnack, meist zu wenig originellen Antworten. Wer eben wenig originell fragt, erhält auch wenig originelle Antworten. Warum ist das so? Fragen, die nur unser lineares Denken befördern („Wie machen wir…“), werden uns selten zu neuen Einsichten bringen. Eine Frage muss also das Sprungdenken befördern, die Fähigkeit, uns aus alten Denkstrukturen zu lösen. Eine der für mich eindrucksvollsten Techniken, die ich Ihnen hier als Impuls mit auf den Weg geben möchte, ist die Frage „Was kommt danach?“: Was kommt nach der Wellness-Boom? Was kommt nach Bio? Was kommt nach dem Kühlschrank? Die ersten linearen Antworten lauten: Ein besserer Kühlschrank. Ein effizienterer Kühlschrank. Ein CO2-sparender Kühlschrank. Ein kleinerer Kühlschrank. Mit dem Nachteil, dass es immer noch ein Kühlschrank ist.
MUSS EIN HERD ERHITZEN?
Und erst wenn wir das erkennen, ist der Boden bereitet für Antworten, die darüber hinausführen, im besten Fall sogar Sprungdenken verkörpern: Lebensmittel, die sich selbst kühlen? Ein Herd vielleicht, der nicht auf 200 Grad erhitzt, sondern auf minus 200 Grad runterkühlt? Nahrungsmittel, die keine Kühlung benötigen? Nach diesem Prinzip werden Sie auch darauf kommen, dass nach dem Wellness-Boom kein noch luxuriöser Wellness-Boom kommt, sondern nach der äußeren die innere Wellness. Oder das Gegenteil: Badness, das Erleben von Negativszenarien, um daraus eigene innere Stärke oder soziale Intelligenz zu entwickeln. Unmöglich? In den Räumen, in denen Sie das Leben eines Blinden nachempfinden, wird genau dieses Konzept heute schon umgesetzt – mit dem Ziel, so wir dieser denken zu lernen.
WAS KOMMT NACH DEM KUNDEN?
Die Frage „Was kommt danach“? können Sie auch in ihrem Unternehmen stellen: Was kommt nach unserem jetzigen Produkt? Was kommt nach der Hierarchie? Was kommt nach dem Kunden? Keineswegs muss es – wie die erste spontane Antwort meist lautet – auf immer und ewig Kunden geben. Jedenfalls nicht die, die wir kennen. Schon heute wird der Kunde nicht nur kompetenter, er gestaltet sich in Online-Shops auch sein eigenes Produkt. Und er wird es sich über 3D-Drucker sehr wahrscheinlich bald selbst ausdrucken, herstellen können. Logistik und Vertrieb verändern sich dramatisch. Und wenn der Kunde bald selber weiß, was er braucht und ihm dies nicht mit millionenschweren Marketingkampagnen nähergebracht werden muss, dann wird der Vertriebler nur noch zum kreativen Inspirateur, der nichts mehr verkaufen muss. Und Sie haben ein neues Geschäftsmodell.
Sie sehen, welche Kraft in dieser einzigen Frage steckt: „Was kommt danach?“
Dr. Klaus-Ulrich Moeller arbeitet als langjähriger Top-Manager in Konzernen und als Begleiter mittelständischer Unternehmen heute selbstständig als Wirtschafts-Futurist, Autor und Business KeyNote Speaker. Er zählt zu den TOP100-Unternehmern bei der Redneragentur Speakers Excellence und ist Autor des Buches „Der Skoptimist – Gedankenskizzen zur unfertigen Zukunft“.