Jeden Tag ein bisschen weiter

Wenn wir von Change reden, dann denken wir nur zu gern an Barrack Obama und den großen Wurf. Dann soll ein Ruck den Schweinehund vertreiben und Zweifel in Mut verwandeln. Dabei geht es auch in kleinen Schritten. Ein Sommerspaziergang mit Coach Constantin Sander.

Wie Sie alte Trampelpfade verlassen und völlig neue Perspektiven und Möglichkeiten entdecken.

Sie sind jetzt vielleicht gleich auf dem Weg zum Meeting, zum Kunden oder in die Kantine. Davon will ich Sie nicht abhalten, aber vielleicht haben Sie auch Lust auf einen kleinen Umweg über das Land jenseits Ihrer Erwartungen.

Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden einfach mal eine andere Route wählen, würden dabei vielleicht einen kleinen Umweg riskieren. „Schön, aber das würde mich doch Zeit kosten“, sagt jetzt der Eine oder die Andere. Sicher. Bekannte Wege sind nun mal die einfachsten, nicht wahr? Und da wir wissen, wohin sie führen, gehen wir sie immer wieder. Darum wählen wir nicht ständig einen anderen Weg zur Arbeit, verwenden meist gleiche Arbeitsabläufe und sortieren auch Dinge nicht ständig um. Wäre doch auch zu aufwändig, Bewährtes fortlaufend zu verändern.

Das bewahren wir uns dann doch lieber für die Freizeit auf oder für den Urlaub. Da wandern wir auf fremden Pfaden, erkunden unbekannte Länder und Kulturen und schauen mitleidig auf diejenigen, die sich immer wieder nur in ihrem ummauerten Wohnwagen an der Ostsee oder am Ballermann erholen.

Professionell in den Stillstand

Professionalität bedeutet auch, sich sinnvolle Abläufe zu organisieren und Ressourcen möglichst effektiv einzusetzen. Das hat ja etwas für sich. Nur so können wir wirtschaftlich arbeiten. Allerdings neigen wir dazu, diese Abläufe derartig zur Perfektion zu treiben, dass kaum noch Handlungsspielräume bleiben. „Wenn man alles berechnet, gelingt nichts“, sagte Romano Prodi.

Wir werden zu Knechten des von uns selbst geschaffenen Systems der totalen Professionalität. Total Quality Management lässt grüßen. „Hilfe, wo ist hier der Ausschalter?“

Und dann kommt der große Ruf nach Change: Den alten Laden abreißen oder zumindest gründlich renovieren. Mit dem Ergebnis: Wieder neue, feste Strukturen. Bis zum nächsten Change. Dabei erscheint uns Veränderung als ein Ausnahmezustand, Stabilität als Normalfall. Wir Menschen haben halt ein Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle und dem kommen feste Strukturen sehr entgegen.

Das ist eigentlich eine recht gesunde Einstellung. Denn Veränderung kann immer eine Bedrohung unserer inneren Ökologie bedeuten und daher sorgt allein schon unsere intuitive Handlungssteuerung dafür, dass wir Change eher mit Vorsicht begegnen, selbst wenn man uns die schönsten Prognosen dazu liefert. Schon Mark Twain wusste: „Vorhersagen sind besonders riskant, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen.“

Quantensprünge sind kleine Schritte

Aber es gibt auch die (fast) schmerzfreie Variante der Veränderung. Nachweislich überschätzen Menschen, was sie in einem Jahr erreichen können und unterschätzen, was in zehn Jahren möglich ist. Die Alternative heißt also nicht: Quantensprung statt Stillstand, sondern Change light: Kleine, beharrliche Schritte zum Ziel. Und wo wir gerade bei Quantensprüngen sind: Auch das sind eigentlich klitzekleine Sprüngchen auf atomaren Niveau. Nur Größenwahnsinnige haben daraus revolutionäre Veränderungen gemacht.

Wir neigen halt zu Extremen. Es ist fast so, als würde uns der Reiseveranstalter als Alternative zum Urlaub auf dem Bauernhof die Besteigung des Mount Everest anbieten. Das wäre absurd. Niemand käme auf so eine Idee. Aber was Change betrifft, da geht es oft um alles oder nichts. Jetzt haben wir solange gewartet, jetzt muss der große Wurf kommen.

Steuern auf Sicht

Wir leben in einem Zeitalter der Beschleunigung. Die großen Entwürfe gibt es nicht. Gerade das irritiert viele Menschen, denn sie wollen gern einfache Antworten bekommen. Aber Zeiten des Umbruchs sind immer auch Zeiten der Orientierung, des Ausprobierens.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stehen wir in einer Phase der Neuordnung. Die alten Regeln der wohlgeordneten Industriegesellschaft haben zwar an Wirkungskraft eingebüßt, aber deren Trägheit haben wir unterschätzt und die Dynamik des aufkommenden digitalen Zeitalters überschätzt. Hypes wurden ganz schnell zu Flops und nicht zuletzt die Finanzkrise hat uns aufgezeigt, dass es sensible Grenzen des Systems gibt, die wir bisher nicht für denkbar gehalten haben.

Zeiten der Krise sind keine Zeit für Patentrezepte. Und da rate ich: Folge denen, die auf der Suche nach Wahrheit sind, aber meide diejenigen, die behaupten, sie gefunden zu haben. Wir können Zukunft derzeit nur begrenzt planen. Ziele setzten ist gut und wichtig. Aber dann nicht auf den Autopiloten vertrauen.

Steuerung auf Sicht ist angesagt. Wer sich auf unbekanntem Terrain bewegt, sollte auf seinen Tritt achten, dort planen, wo es zwischendurch mal aufklart und ansonsten vor allem strategisch denken. Um ein Fußballspiel zu gewinnen, nützt dem Team kein Plan, sondern eine Strategie. Pläne sind starr und werden immer dann obsolet, wenn sich die Bedingungen ändern. Und die ändern sich momentan schnell. Nicht nur beim Fußball. Da sind Strategien hilfreicher. Die Frage lautet dann nicht: Wie genau komme ich von A nach B, sondern: welche Verhaltensmuster sind nützlich, um einem gesetzten Ziel näher zu kommen?

 

Perspektiven wechseln

Professionalität bedeutet eben auch, auf Unvorhergesehenes adäquat reagieren zu können. Und dafür benötigen wir Handlungsoptionen. Die bekommen wir aber nicht durch das Festklopfen von Bekanntem in immer neuen Varianten, sondern durch den offenen Blick für Neues. Und dazu müssen wir auch mal Umwege in Kauf nehmen.

Und jetzt folgen Sie mir einfach mal auf einige Umwege. Ja, festes Schuhwerk schadet dabei nichts. Regenkleidung auch nicht. Wer hoch hinaus will, muss auch mit Schauer rechnen. Und Wind. Aber wir können zunächst noch mal die Kirche im Dorf lassen. Neben der gibt es übrigens ein nettes Kaffeehaus. Wussten Sie, wie viele Arten der Kaffeezubereitung es gibt? Nicht? Dann schauen wir mal. Sie sind Teetrinker? Macht nichts, sehen Sie es als Experiment für Ihren gustatorischen Sinn. Und siehe da, Sie werden lernen, wie ein Mocca zubereitet wird und auch, dass der Cappuccino eigentlich eine österreichische Erfindung ist.

Und haben Sie die alte Wendeltreppe dort im Treppenhaus bemerkt? Die hat schon in den 1950er Jahren die berühmten Biologen Watson und Crick inspiriert, und schwupps hatten die das Modell für die DNA und später den Nobelpreis. Big Science aus dem Kaffeehaus sozusagen. Mit der Wendeltreppe fing es an. Hätten Sie nicht gedacht, was? Da sehen Sie mal, wie nützlich völlig nebensächliche Dinge sind und vor allem solche, die nun rein gar nichts mit dem zu tun haben, was sie derzeit beschäftigt. Doch dafür müssen Sie Umwege machen und Perspektiven wechseln.

Small Steps

Veränderung gibt es nicht beim Discounter. Da müssen Sie schon bei den Spezialitätenhändlern reinschauen. Ungewöhnliches findet man kaum in der gewohnten Umgebung. Hier ein paar Tipps für Ihren Change in kleinen Schritten:

  • Schärfen Sie Ihre Sinne. Gönnen Sie sich einen Blick abseits des ausgetretenen Weges.
  • Schauen Sie auch mal in Seitenstraßen und verlassen Sie ruhig mal befestigte Pfade.
  • Besinnen Sie sich der Dinge, die Ihnen wichtig sind. Gestalten Sie eine Kultur der Werte. Werte sind handlungsleitende Orientierungen und gewissermaßen der Kitt, der alles zusammenhält.
  • Machen Sie sich eine tägliche To-Do-Liste der Aufgaben, die wirklich wichtig sind. Und erledigen Sie diese konsequent. Ignorieren Sie dringende, aber unwichtige Dinge einfach oder delegieren Sie diese.
  • Reduzieren Sie Komplexität. Konzentrieren Sie sich aufs Wesentliche mit dem KISS-Prinzip: Keep It Simple And Stupid.
  • Machen Sie sich klar, dass die Bedeutung der Dinge immer die ist, die Sie ihnen beimessen. Es gibt immer mindestens zwei Möglichkeiten, eine Sache zu interpretieren.
  • Suchen Sie Lösungen nicht da, wo das Problem liegt. Wechseln Sie Ihren Standort und die Perspektive.
  • Probieren Sie. Riskieren Sie Fehler, denn fehlerlos sind immer nur die Erfolglosen.

Und das wichtigste: Erwarten Sie nicht, dass Motivation einfach so über Sie kommt wie ein Gewitter. Motivation entsteht erst durch Bewegung. Nur Bewegung ermöglicht neue Perspektiven und vor allem Erfolg. Kleine Schritte sind der Anfang. Manchmal geht das über verschlungene Pfade, über Kaffeehäuser und manchmal auch über unbefestigtes Terrain. Ob Sie kleine oder große Schritte machen wollen: Trittsicherheit gewinnt man mit dem Gehen. Und Ziele zu erreichen braucht meist Zeit. Große Ziele brauchen viel Zeit. Lassen Sie sich davon nicht beirren und machen Sie sich am besten sofort auf den Weg. Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer! Wir sehen uns.

 

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