Organisationen als Netzwerke verstehen

Wenn es in Organisationen nicht reibungslos läuft, ist oft die Forderung zu hören, das Organisationen lernfähiger und mehr in Netzwerkstrukturen arbeiteten sollten. Doch diese Forderung greift viel zu kurz. Denn heutzutage arbeitet jede Organisation in Netzwerkstrukturen. Das Problem ist die Netzwerkstruktur selbst, die die lernende Organisaiton blockiert.

Der Umgang mit organisatorischer Komplexität, der in Kern nichts anderes als ein Lernprozess ist, ist die Top-Herausforderung für Unternehmen. Daher ist immer wieder ist in der Organisationsentwicklung die Forderung zu lesen, dass „wir“ endlich damit anfangen müssten in Netzwerken zu arbeiten. Es wird behauptet, dass Netzwerke besser mit dem Thema Macht und Verantwortung umgehen könnten. Diese Forderung ist greift jedoch zu kurz, da diese ungenau formuliert ist und damit den Kern der zugrundeliegenden Problematiken heutiger Unternehmen nicht packt, wenn diese „lernfähiger“ werden wollen.

Was ist falsch an der Aussage, wir müssten endlich in Netzwerken arbeiten?

Die Antwort ist relativ simpel: Es ist Unfug das zu fordern, weil wir bereits heutzutage in Netzwerkstrukturen arbeiten! Auch wenn ein Organigramm den Eindruck vermittelt, dass es nur ein „hierarchisches Oben sticht Unten“ gäbe, so ist das tägliche Erleben selten zu 100% von solchen hierarchischen Abläufen und Strukturen geprägt. Das Organigramm ist eine Illusion, wenn es um die tatsächlichen Abläufe im Unternehmen geht. Tatsächlich ist jeder Mitwirkende in der Organisation mit vielen anderen Menschen vernetzt – diese Verbindungen werden zwar nicht im typischen Organigramm abgebildet, doch besonders bei Projekten in Unternehmen entstehen automatisch Netzwerkstrukturen, weil unterschiedliche Funktionen zusammengebracht werden müssen, um ein Projektziel zu erreichen. Gleiches gilt auch für Querschnittsthemen – egal wie fein man auch versucht Funktionen in der Organisation zu schneiden, irgendwann entstehen Themen, die nur gemeinsam bearbeitet werden können. Das ist auch alles andere als eine neue Erkenntnis, nur erscheint das im Diskurs über agile Unternehmen oft unterzugehen. Die funktionale Differenzierung zwingt uns dazu Crossfunktional zu arbeiten, weil keiner mehr alles alleine wissen, geschweige denn tun. Es geht nicht darum ob wir in Netzwerken arbeiten, sondern nur wie. Der Beweis hierzu ist einfach erbracht.

Es ist leicht möglich eine Netzwerkstruktur aus einem Organigramm abzuleiten:

Aus…

Wird eine sogenannte Sterntopologie…
 

Jetzt werden die (Querschnitts-)Themen über die Sterntopologie gelegt, sodass der Vernetzungsgrad in der Organisation deutlich wird:

Es stellt sich also nicht die Frage ob wir in Netzwerken arbeiten, sondern auf welche Art und Weise wir eine solche Struktur aufrechterhalten – und wie flexibel diese Struktur auf Veränderungen reagieren kann (oder auch sich proaktiv neu strukturiert, um einen Vorteil in der Umwelt zu erlangen). Zusätzlich macht es Sinn die verschiedenen Standardtypen von Netzwerken, sowie deren Vor- und Nachteile zu kennen. Hierbei sind die linearen Strukturen eher für komplizierte Themen geeignet, währenddessen die vermaschten Typen wahrscheinlich für komplexe Themen passfähiger sind.

Selbstverständlich existiert auch die informelle Ebene der sozialen Verbindungen, die logischerweise beim „Betrieb des Netzwerks“ mitgedacht gehört.

Vorteile und Nachteile unterschiedlicher Netzwerktopologien

Gute Netzwerkstrukturen zeichnen sich durch eine hohe Ausfallsicherheit aus – diese wird mit Puffern sichergestellt. Kluge integrierte Redundanzen sorgen dafür die allfälligen Informations- und Entscheidungsflüsse aufrecht zu erhalten. Aus diesem Grund sind zentralistische Strukturen eher zu anfällig für Störungen (zum Beispiel Stern- oder Baumtopologie). Das bereits in der Einleitung genannte Prinzip der losen Kopplung (bei hoher Kohäsion) gilt es also bei der Auswahl einer Topologie zu berücksichtigen.

   

Insbesondere im Bereich der Produktion/Operation sind jedoch die dinglichen Fertigungsprozesse nach einer linearen Logik organisiert – hier haben wir es häufig mit einer Linientopologie oder einer sogenannten Daisy Chain zu tun. Dies ist auch bei einfachen Problemen angemessen, da sich Produktionsprozesse häufig aus der Beschaffenheit des herzustellenden Objektes ergeben. Bei einem Haus baut man daher auch erst das Fundament, bevor die Stockwerke errichtet werden. Gleiches gilt auch für die Entwicklung einer Software. Ohne Anforderung seitens des internen oder externen Kunden ist es schwierig etwas Sinnvolles zu programmieren. Die Kunst im Management solcher Strukturen besteht darin die Engpässe in den Knotenpunkten im Blick zu behalten.

In der Koordination und Führung von komplexen Systemen arbeiten Organisationen wie oben dargelegt bereits in Netzwerkstrukturen. Der korrekte technische Ausdruck für diese Art von Topologien nennt man vermaschte Strukturen, wobei noch zwischen voll- und teilvermaschten Mustern zu unterscheiden ist.

Hierbei sind teilvermaschte Strukturen den vollvernaschten Strukturen vorzuziehen, da diese weniger anfällig für Störungen sind. Zwar soll der Vernetzungsgrad in einer Organisation erhöht werden, jedoch nicht bis ins unendliche! Nochmals sei auf das Prinzip der losen Kopplung hingewiesen.
 
Abschließend stellt sich die Frage wie Macht und Wissen im System verteilt ist – und hier schließt sich der Kreis zur Hierarchie, weil in Netzwerken natürlich genauso Macht vorkommt wie in der Top-Down-Welt. Ein Blick auf die typischen Rollen in Netzwerken macht deutlich, dass auch hier wieder eine Übertragung des Organigramms auf die typischen Netzwerkrollen möglich ist – und die Forderung nach „Wir brauchen Netzwerke“ sinnlos ist.

Sehr wohl kann man aber fordern, dass wir besser in Netzwerken arbeiten sollten.

Macht im System – Rollen im Netzwerk

Das Information Broker-Konzept von Gould und Fernandez (1989) ist bestens dazu geeignet mit der irrigen Annahme aufzuräumen, dass Netzwerke per se eine bessere Verteilung von Macht gewährleisten würden als die klassische Hierarchie-Denke, die vom Organigramm ausgeht. Das ist mit Verlaub Quatsch, denn in jedem vernetzten System bilden sich „Schwerpunkte“ (Entscheidungsstrukturen) in Form von Konzentration von Macht. Das ist auch erstmal nichts Schlimmes, weil man NIE NIE NIE die Logik von Macht mit dem Missbrauch von Macht verwechseln darf. Die von Fernandez und Gould abgeleiteten (Vermittler-)Rollen in Netzwerken sind daher auch erstmal Wertungsfrei zu betrachten. So macht die Rolle eines Gatekeepers in einem komplexen System durchaus Sinn – ein Ausfiltern von hereinströmender Information ist notwendig, um das wichtige vom unwichtigen zu trennen.

Kurzvorstellung der Netzwerkrollen nach Gould und Fernandez

Grundsätzlich sind die Rollen hinsichtlich ihrer Orientierung zu unterscheiden. Die Rollen des Koordinators und des Gatekeepers sind nach innen gerichtet, während die Rollen des Repräsentanten, Beraters und Verbindungsgliedes eher nach außen orientiert sind.

Koordinator

Zwei Kollegen innerhalb des Systems werden miteinander verbunden, die zuvor nichts miteinander zu tun hatten. Der Informationsfluss wird durch den Koordinator sichergestellt.

Gatekeeper

Der Gatekeeper scannt die in das System hereinströmenden Informationen und lässt eine Auswahl davon in das Teilsystem hinein. Er übernimmt eine Filterfunktion und entscheidet über das interne Wissen bzw. den Informationsstand in einer Einheit.

Repräsentant

Dieser sammelt Informationen innerhalb einer Einheit und leitet diese an eine andere Einheit weiter. Er ist somit nach außen hin der Stellvertreter des Wissens seiner Einheit.

Berater

Diese Rolle verbindet zwei Kollegen derselben Einheit, zu welcher der Berater selber nicht gehört. Der Informationsfluss und die Erhöhung der Qualität der Information steht im Vordergrund.

Verbindungsglied

In dieser Rolle werden zwei Einheiten durch ein Verbindungsglied verbunden, die nicht zur gleichen Einheit gehören. In dieser Dreiecksbeziehung werden also drei unterschiedliche Einheiten miteinander verbunden.
 
 

Die oben genannten Rollen machen deutlich, wie Informations- und damit Entscheidungsflüsse in einem Netzwerk zum Vorteil des Gesamtsystems, oder zum persönlichen Vorteil missbraucht werden können. Besonders heikel ist im Konzept von Gould/Fernandez die Zusammenführung der Rollen des Gatekeepers und Koordinators, wenn also die Informationsselektion und Anweisung per Information in einer Person vereinigt ist. Gleichwohl ist das im Management heutzutage der Normalzustand. Dies gilt auch für die Kombination von Gatekeeper und Repräsentant – auch dies ist eine ideale Brutstätte für systemische Korruption, Selbstzensur und selbstverachtender Unterwerfung, die zu struktureller Verdummung und Schwarmblödheit führen kann.

Macht ist immer ein Thema

Der vielfach interpretierbare Begriff der Macht ist in Netzwerken also sehr wohl präsent, sodass die naive Forderung nach „mehr Netzwerk“ nicht die Lösung für den Missbrauch von Macht darstellt. Der pauschale Ruf nach mehr Vernetzung (Vermaschung) ist ebenso nicht zielführend, da gerade in übervermaschten Netzwerken viel Zeit für die Aufrechterhaltung der vielen Beziehungen für die Akteure flöten geht. Man operiert am Rande des Zusammenbruchs.
Machtzentren im Sinne von Schwerpunkten (Attraktoren, Center of Gravity) sind mithin ein einfacher Weg den Vernetzungsgrad in der Organisation optimal zu vereinfachen (das heißt jedoch es nicht zu einfach zu machen!). Wichtig: Die Funktion von Macht bitte nicht mit der Art und Weise verwechseln, wie diese ausgeübt wird (zum Beispiel durch sinnvoll gestaltetes Management statt Top-Down) und gleichzeitig sich bewusst sein, dass jede Art der Entscheidungsstruktur Vor- und Nachteile mit sich bringt. Deswegen ist der Umgang mit Macht/Führung in Netzwerken natürlich weiterhin situativ – eine Blaupause kann es gar nicht geben, egal ob man sich als klassisch-hierarchische Organisation oder als Netzwerk versteht: Es kommt immer auf den Kontext und die notwendige Kompetenz an – und die eigenen Werte und das Menschenbild.

Nach der Theorie – was heißt das für die Praxis?

Die Leserinnen und Leser mögen sich nun fragen, was man mit diesen Erkenntnissen konkret tun kann. Hier bietet sich das sogenannte Viable System Model als Denkrahmen an, welches in der nächste Ausgabe vorgestellt wird.

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