Digitaler Wandel – warum weniger oft mehr ist

Wer eine Präsentation zeigt, wer eine Sitzung leitet oder einen Workshop durchführt, möchte verstanden werden. Doch wie gelingt dies, wenn das Treffen statt im Büro oder im Präsenzunterricht, als Online-Konferenz oder Webinar stattfindet?

Wie reagieren wir auf die Herausforderung «viel Stoff – wenig Zeit» und wie kommen wir trotz der Stofffülle und komplexer Inhalte auf den Punkt? Insbesondere dann, wenn wir statt in einem Trainingsraum mit Tischen und Stühlen, einzig über den Bildschirm oder das Display eines Smartphones mit den Lernenden interagieren?

Folgender Beitrag von unserem Gastautor Yvo Wüest aus der Schweiz beleuchtet die Herausforderung und erklärt, warum in der Erwachsenenbildung weniger oft mehr ist.

Digitaler Wandel zwingt zur Reduktion

Wir leben in Zeiten der “Digitalen Transformation”. Diese Entwicklung erreichte inzwischen alle zentralen Lebensbereiche. Sie verändert die Art und Weise, wie Menschen Wissen suchen, erwerben und verarbeiten.

Die Aufnahmekapazität unserer Sinnesorgane ist beschränkt. Diese Ausgangslage und Tatsache, dass immer mehr Menschen Lerninhalte auf einer Lernplattform und von unterwegs auf ihrem Tablet oder Smartphone abrufen wollen, verlangt nach Reduktion.

«Didaktische Reduktion»
Legende: HRM-Dossier Nr. 76 «Auf den Punkt – Didaktisch reduziert lehren und präsentieren, Yvo Wüest, Spektramedia Verlag Zürich, 2017, S. 47 

Das Vorwissen der Teilnehmenden abklären

Wer umfangreiche und komplexe Inhalte erfolgreich vermitteln möchte, tut gut daran, das Wissen und die Erfahrungen der Teilnehmenden am Lernangebot im Vorfeld zu klären. Dazu gibt es heute zahlreiche einfach anzuwendende Befragungsinstrumente, die online funktionieren.

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Diese Abklärungen ermöglichen eine auf die Bedürfnisse und die Intention der Lernenden ausgerichtete Planung vorzunehmen. Mit «Mut zur Lücke» gelingt Lehrenden und Vortragenden eine ansprechende und konzentrierte Form der Darbietung, welche die knappe Ressource «Zeit» aller Beteiligten optimal nutzt.

Wer grundlegende Instrumente zur «Didaktischen Reduktion» anwendet, kann Kernbotschaften herausarbeiten. Er oder sie verbessert damit die Qualität und Verständlichkeit der Präsentationen und Lernangebote. Die Beteiligten schätzen den Fokus und die Klarheit. Sie können den Inhalten leichter folgen.

Doch die Aufgabe, ihre Inhalte für die Online-Vermittlung didaktisch reduziert aufzubereiten und zu modifizieren, stellt Teamleitende, Trainer, Ausbildende und Lehrende vor grosse Herausforderungen. Häufig fragen sie sich:

  • Wie kann ich umfangreichen theoretischen Stoff bündeln, strukturieren und reduzieren?
  • Wie gelingt es mir, abstrakte und komplexe Inhalte online anschaulich zu prä- sentieren?
  • Wie lehre ich erlebnisorientiert, wenn es eigentlich keine Zeit dafür gibt?

Die Bedeutung der Kompetenzorientierung

Statt wie früher, Inhalte einfach nach eigener Vorliebe auszuwählen, überlegen sich professionelle Ausbildende, welche Kompetenzen die Lernenden erwerben müssen. Sie fragen sich welche Performanz oder Handlungsfähigkeit die Beteiligten in einer definierten Situation beweisen sollen.

Weil sich viele Ausbildende mit Gruppen von Lernenden konfrontiert sehen, die zunehmend unterschiedlichere Lernvoraussetzungen mitbringen, braucht es «Binnendifferenzierung». Unterschiedliche Lernpfade und Zugänge zu komplexen Inhalten müssen entwickelt werden.

Flipchartplakat 5 G’s
Legende: HRM-Dossier Nr. 76 «Auf den Punkt – Didaktisch reduziert lehren und präsentieren, Yvo Wüest, Spektramedia Verlag Zürich, 2017, S. 9   )

Die Zeit der 5 G’s – gleiches Thema, in der gleichen Gruppe, auf dem gleichen Anspruchsniveau, in der gleichen Geschwindigkeit, mit dem gleichen Lernziel – ist definitiv vorbei. Neue Möglichkeiten online gestützter Lernprozesse und KI (Künstliche Intelligenz) erlauben uns, Lernangeboten neu und reduziert zu denken.

Gründlichkeit statt Vollständigkeit anstreben

Ein typischer Stolperstein ist die bei Experten vielfach zu beobachtende Tendenz zu Komplexität und Vollständigkeit. Insbesondere Fachexperten, die oft über ein breites und komplexes, gleichzeitig vernetztes und verdichtetes Wissen verfügen, sind hier herausgefordert.

Noch viel zu oft gehen sie davon aus, alles sei wichtig. Zu Beginn eines neuen Lernprozesses, stimmt dies sicherlich nicht. Wer dem Prinzip «Vollständigkeit» folgt, mutet den Lernenden, zumindest in der ersten Phase, zu viel Stoff oder zu viel Komplexität zu. Mehr als die Lernenden zu diesem Zeitpunkt aufnehmen können. Mehr als dem Lernerfolg im Moment zuträglich ist.

Legende: Podcast-Reihe Education Minds. Didaktische Reduktion und Erwachsenenbildung und “Mini-Handbuch Didaktische Reduktion”, Yvo Wüest, Beltz 2022.

Auf dem Weg zu hybridem Lernen

Die steigende Bedeutung von «Blended Learning», der Verschränkung von Präsenzunterricht mit E-Learning, sowie hybrides Lernen, das heisst die Kombination aus Präsenz- und Distanzlernen, stellt Bildungsanbieter vor didaktische und organisatorische Herausforderungen.

Eine wichtige Aufgabe von Lehrenden und Präsentierenden ist es darum, umfangreiche oder komplexe Sachverhalte auf ihre wesentlichen Elemente und fundamentalen oder kausalen Zusammenhänge zurückzuführen.

Diese sind für Lernende leichter fassbar und bleiben besser im Gedächtnis haften. Wer professionell lehren möchte, ist darum gut beraten, sich für eine kluge Auswahl sowie Konzentration und Vereinfachung des Stoffes zu entscheiden.

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