Die Coachingkaskade

Wennl Mitarbeiter miteinander Kommunizieren, Probleme und Lösungen erörtern ist das gut. Doch das reicht nicht. Auch beim Führungsverhalten ist eine Vernetzungsleistung notwendeig. Und diese etabliert man mit der Coaching-Kaskade.

Coachingkaskade bedeutet die systematische und durchgängige Umsetzung coachenden Führens über die verschiedenen Hierarchieebenen und Funktionsbereiche hinweg. Dabei werden

  • alle Mitarbeiter durch ihre Teamleiter,
  • alle Teamleiter durch ihre Abteilungsleiter,
  • alle Abteilungsleiter durch ihre Bereichsleiter und
  • alle Bereichsleiter durch ihre Geschäftsleiter

kontinuierlich coachend geführt. Hierfür werden durchgängige Coachingduos aus Mitarbeiter und Führungskraft etabliert.

Besondere Herausforderungen bei der Einführung einer Coachingkaskade

Die Ernsthaftigkeit, Durchdringung und Nachhaltigkeit von Lean als neuer Kultur der Zusammenarbeit ist für die Mitarbeiter häufig mit einer einfachen Fragen gekoppelt: Beteiligt sich das Management?

Die Mitarbeiter schauen genau darauf, wie die Führungskräfte ihr eigenes Verhalten verändern und ob den entsprechenden Aktivitäten eine hohe Priorität beigemessen wird. Ist dies nicht der Fall, drängt sich schnell der Verdacht auf, dass es sich bei Lean doch nur um eine kurzfristig vorangetriebene Modewelle handelt, die überstanden werden will.

Es braucht eine Portion Mut und Entschiedenheit, die Führungskräfte aller Ebenen – und nicht nur die Abteilungsleiter und Teamleiter in der Produktion – zu Lean Leadern zu entwickeln, also auch und vor allem das obere Management in den verschiedenen Funktionsbereichen der Organisation.

Drei Aspekte stellen besondere Herausforderungen in der Einführung und Umsetzung der Coachingkaskade dar. Zunächst bietet das Tagesgeschäft von Führungskräften so gut wie keinen Raum für eigenes Lernen. So fällt es den Führungskräften schwer, zum Beispiel auf Stufe 1 des coachenden Führens an einem Feedbacktraining teilzunehmen. Je größer der Verantwortungsbereich, desto größer sind erfahrungsgemäß die Managementanteile, und umso weniger Zeit bleibt in der Regel für Weiterbildung, Kommunikation und Mitarbeiterführung. Allerdings:

Merke: Wenn sich die Wirkung der Coachingkaskade voll entfalten soll, müssen alle Führungskräfte eingebunden werden.

Denn auch die Führungskräfte der höheren Hierarchiestufen sollten die praktischen Aspekte und Vorgehensweisen von Problemlösemethoden aus eigener Erfahrung kennen, in der Praxis anwenden und überdies coachendes Führen vor Ort tatsächlich umsetzen können.

Der zweite Aspekt betrifft die Einbindung administrativer und dienstleistender Bereiche. Auch hier gilt: Soll Prozessorientierung nicht nur als Floskel wahrgenommen, sondern wirklich nachhaltig umgesetzt werden, ist es unumgänglich, alle Funktionsbereiche einzubinden. Wird Lean Leadership nur in den produktiven Bereichen eingeführt, entstehen gravierende Unterschiede in der Art und Weise, Probleme und Konflikte zu meistern, die es massiv erschweren, das Ziel durchgängiger und schlüssiger Prozesse im Unternehmen zu erreichen. Denn vor allem an den Schnittstellen liegen häufig die größten Chancen auf Verbesserung und Reduktion von Verschwendung, wie wir in Kapitel 3 bei der Darstellung der Stufe 4 des coachenden Führens aufgezeigt haben.

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Die dritte Herausforderung betrifft die beim coachenden Führen deutlich verstärkte Sichtbarkeit von Führung. Es ist nach wie vor eine verbreitete Einschätzung, dass Führung und Management vor allem am Schreibtisch und in Meetings stattfinden, also außerhalb des für jeden einsehbaren Bereichs, etwa an einer Anlage in der Produktion. Doch mit der Coachingkaskade wird Führen vor Ort präsent. Allerdings ist diese Sichtbarkeit für viele Führungskräfte zunächst sehr ungewohnt. Schlimmer noch: Nach herkömmlicher Denkweise wird die Einmischung höherer Vorgesetzter in die Führungsarbeit meist als eklatante Schwäche und Defizit der unmittelbaren Führungskraft interpretiert. Konkretes Beispiel: Schaltet sich der Abteilungsleiter in die Arbeit des Teamleiters ein, wird dies dem Teamleiter als Makel angerechnet – und auch er selbst nimmt dies so wahr.

Coachingkaskade als Umsetzungsmotor für die lernende Organisation

Ohne ein coachendes Führen auf allen Hierarchie- und Funktionsebenen wird es einem Unternehmen schwerfallen, eine Kommunikationskaskade und eine Zielekaskade erfolgreich mit Leben zu füllen und deren Vorteile und Chancen zu nutzen. Erst die Coachingkaskade gewährleistet, dass sich alle Führungskräfte mit den betreffenden Themen beschäftigen und ihre Mitarbeiter vor Ort unterstützen.

Sie sorgt dafür, dass alle Menschen im Unternehmen Entwicklungsimpulse und die nötige Aufmerksamkeit und Unterstützung erfahren. Sie ist damit der Motor für die lernende Organisation. Mit ihrem Einsatz lassen sich auf jeder Hierarchiestufe und in jedem Funktionsbereich die Entwicklungsbedarfe erkennen und die Entwicklungspotenziale heben.

Eine Folge ist, dass die Zusammenarbeit auf und zwischen den Hierarchiestufen intensiviert wird und neue Beziehungen aufgebaut werden, was häufig dazu führt, dass Konflikte geklärt und kritische Verhaltensmuster und Fronten aufgebrochen werden müssen. Es kommt einerseits zu Reibungen und Spannungen, andererseits eröffnen sich viele Chancen zur Weiterentwicklung auch auf der persönlichen Ebene.

Coachingkaskade befördert gemeinsames Führungsverständnis

Bei der Verwirklichung von Lean spielen die Führungskräfte eine zentrale Rolle. Sie übersetzen mit und in ihrer Führungsrolle die Vision, die Ziele und die Kultur des Unternehmens. Ihre Verhaltensweisen, ihr Auftreten und ihre Botschaften beeinflussen das Verhalten aller Beteiligten. Und je stärker sich die Führungskräfte dieser Rolle und Wirkung bewusst sind und sie diese an- und wahrnehmen, umso eher lassen sich kontraproduktive Auswirkungen auf Mitarbeiterebene vermeiden und stattdessen konstruktive und ergebnisorientierte Arbeitsgewohnheiten aufbauen.

Lean-Kultur und Werte einspielen und Schlupflöcher stopfen

Die Durchgängigkeit bis zur Geschäftsführung bringt die Möglichkeit mit sich, Werte und Normen, die der Geschäftsführung wichtig sind, top-down über die Coachingkaskade in das gesamte Unternehmen zu transportieren. Einen Beitrag dazu leisten insbesondere die Beziehungen, die in den Coachingduos entstehen. Betont die Geschäftsleitung zum Beispiel die Vorteile von Lean, die gewünschte Art der Zusammenarbeit und gibt diese direkt an ihre Bereichsleiter weiter, schafft sie damit ein lebendiges Wertesystem. Zudem erfährt sie, an welchen Stellen etwa der Aufbau von Vertrauen oder die Übertragung von Verantwortung nicht funktioniert.

Die Durchgängigkeit – auch in der Breite, also über die Funktionsbereiche hinweg – zeigt der Geschäftsleitung auf, welche Führungskräfte im Unternehmen den Anforderungen eines Lean Leaders dauerhaft nicht gewachsen sind oder nicht entsprechen wollen. Es ist wichtig, auf solche Erkenntnisse zu reagieren, denn wenn in einigen Teilen die unterstützende Haltung fehlt, hat das meist negative Auswirkungen auf die Mitarbeiter und auch auf die Zielerreichung. Zur Veranschaulichung dient das folgende Beispiel:

  • Ein Bereich schert immer wieder aus dem Zielkorridor aus und bekommt die Probleme mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht alleine in den Griff.
  • Die Kommunikationskaskade sorgt dafür, dass das Problem bis zur Geschäftsleitung hocheskaliert wird.
  • Ein Weg, dem Problem auf den Grund zu gehen, kann darin bestehen, top-down durch die Coachingkaskade gezielt darauf zu schauen, wie der Abteilungsleiter mit den Teamleitern des betreffenden Bereiches umgeht.
  • Fehlt dort etwa die unterstützende Haltung, wirkt sich dies über die Teamleiter auch auf die Mitarbeiter aus.
  • Es besteht nun aber die Möglichkeit, über die Kaskade wichtige und glaubhafte Impulse von der Geschäftsleitung in die unteren Hierarchiestufen zu geben.

Coachingduos in der Praxis – die Doppelrolle aus Coachee und Coach

Viele Lean Leader haben in der Coachingkaskade eine Doppelrolle – sie werden von ihrer Führungskraft gecoacht und coachen wiederum selbst ihre Mitarbeiter. In dieser Doppelrolle liegen viele Chancen.

So kann beispielsweise ein Abteilungsleiter aus den Coachinggesprächen mit seinem Bereichsleiter für sich selbst viele Anregungen mitnehmen, was direkten Einfluss auf seine Rolle als Coach seiner Teamleiter hat. Auch entwickelt er so ein Gefühl dafür, wie sich einer seiner Teamleiter als Coachee fühlt, weil er die Erfahrungen selbst gemacht hat. So entwickelt sich mit der Zeit ein einheitlicher Stil, nicht nur in der Produktion, sondern auch in den Funktionsbereichen.

Gerade in Bezug auf die Optimierung der gesamten Prozesskette über Schnittstellen hinweg führt die Coachingkaskade zu unterstützenden, erleichternden Effekten. In Verbindung mit einer konsequenten Kommunikationskaskade wird die Abstimmungs- und Ergebnisqualität deutlich erhöht. Denn durch die regelmäßigen Kontakte und die damit geübte sichere Kommunikation bildet sich eine stabile Basis für die konstruktive Klärung widersprüchlicher und unterschiedlicher Zielsetzungen. Die Energie richtet sich eher auf die Sachebene und ermöglicht damit echte Prozessverbesserung ohne Ablenkungen etwa durch Kommunikationsstörungen, die unerkannt auf der Beziehungsebene für Unruhe sorgen könnten. Dies führt dazu, dass konstruktiver an den Schnittstellen und im Sinne eines effektiven Gesamtprozesses gearbeitet werden kann.

Das Beispiel zeigt nochmals, wie wichtig es ist, dass auch die Mitglieder der Geschäftsführung und der Bereichsleitung ihre Rollen als Coaches wahrnehmen und gestalten und sich der Auswirkung ihrer Coachingarbeit auf die Entwicklung der gesamten Organisation bewusst sind.

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