Nix bemerkt – Unbewusstes Denken und Handeln

In den letzten Jahren haben die Neurowissenschaften empirisch zeigen können, dass sich in unserem Kopf so manches tut, was zunächst nichts mit bewussten Denkvorgängen zu tun hat, wohl aber auf unser Denken und Handeln wirkt. Unser täglicher Begleiter, fest in unser Sprache verankert darf er im Zweifel herhalten für alles mögliche: Es sollte halt nicht sein. Es ist gar nicht so einfach. Haben Sie mal auf die vielen es in unserer Sprache geachtet? Es ist ein geflügeltes Wort und es ist daher gar nicht verwunderlich, dass Sigmund Freud, der berühmte Wiener Nervenarzt und Begründer der Psychoanalyse, das Es zum Inbegriff des Unbewussten gemacht hat. Es macht etwas mit uns, was das Ich vielleicht so gar nicht wollte.

Es ging mit mir durch. Es sollte halt nicht sein. Es ist gar nicht so einfach. Haben Sie mal auf die vielen es in unserer Sprache geachtet? Es ist ein geflügeltes Wort und es ist daher gar nicht verwunderlich, dass Sigmund Freud, der berühmte Wiener Nervenarzt und Begründer der Psychoanalyse, das Es zum Inbegriff des Unbewussten gemacht hat. Es macht etwas mit uns, was das Ich vielleicht so gar nicht wollte. Nun, die Zeiten von Freud sind lang vergangen und zwischenzeitlich war das Es in der Psychologie aus der Mode gekommen. In einem Zeitalter, in dem die Kognitionen, also die Denkprozesse und das Verhalten, im Fokus standen, hatte man herzlich wenig übrig für etwas, das sich so schlecht erfassen ließ wie das Unbewusste, dieses nebulöse Etwas aus der Steinzeit der Psychologie. Der Mensch ist halt ein rational gesteuertes Wesen, bei dem die Ratio mal besser und mal schlechter funktioniert. Basta. Am besten man befasst sich mit dem messbaren Verhalten und den Denkprozessen dahinter. Das lässt sich empirisch, also durch Experimente und Beobachtungen, beschreiben und ist darum auch viel wissenschaftlicher als das Herumstochern im imaginären Es. So sahen und sehen das die empirischen Psychologen.

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Sigmund Freud reloaded?

In den letzten Jahren haben die Neurowissenschaften empirisch zeigen können, dass sich in unserem Kopf so manches tut, was zunächst nichts mit bewussten Denkvorgängen zu tun hat, wohl aber auf unser Denken und Handeln wirkt.  Möglich wurde das insbesondere durch die sogenannte funktionelle Bildgebung, bei der man dem Gehirn sozusagen bei der Arbeit zusehen kann. Mit einem Hirnscanner, einem funktionellen Magnetresonanztomografen (fMRT), wird sichtbar, welche Hirnregionen aktiv werden, wenn der Proband bestimmte Wahrnehmungen macht oder Handlungen ausführt.

Schon vor dieser Zeit, Ende der 1970er Jahre, hatte der amerikanische Neuropsychologe Benjamin Libet festgestellt, dass bei geplanten Handlungen die Aktivierung des motorischen Cortex, also des bewegungssteuernden Zentrums im Großhirn, der bewussten Handlungsabsicht um einige Hundert Millisekunden vorauseilt. Das bedeutet: Wir handeln bereits, bevor uns die Handlungsentscheidung bewusst wird. Unbewusste dominieren bewusste Vorgänge. Man könnte das noch mehr pointieren und sagen, das unbewusste Es agiere bereits, wenn das Ich irrigerweise meint, eine Entscheidung getroffen zu haben. Einige Hirnforscher folgerten daraus, dass wir die Sklaven nicht-bewusster Prozesse in unserem Gehirn seien und unser Bewusstsein lediglich in der Illusion der Existenz eines freien Willens lebe, den es eigentlich gar nicht gebe. Dieses Hirngespinst verfolgte uns in den letzten Jahren bis in die Tagespresse.

Ein positiver Nebeneffekt: Spätestens durch diese Debatte waren nun auch wieder die unbewussten Vorgänge in unserem Gehirn im Fokus. Unabhängig von der Frage nach dem freien Willen besteht unter Neurowissenschaftlern Konsens darüber, dass Es uns mehr steuert, als uns bisher bekannt war. Im Folgenden will ich Ihnen verdeutlichen, warum das so ist, warum das gut so ist und was das konkret gerade für Veränderungsprozesse bedeutet.

Der Autopilot steuert manchmal besser

Machen wir einmal ein kleines Gedankenexperiment: Stellen Sie sich einmal vor, Sie setzen sich in Ihrem Auto hinters Lenkrad (das dürfen Sie in diesem Gedankenexperiment auch ohne Führerschein). Lassen Sie einmal ihr Bewusstsein fahren: Sie taxieren zunächst das Zündschloss, um den Winkel genau zu bestimmen, mit dem Sie den Schlüssel dort einführen müssen. Nachdem Ihnen das mittels Ihrer gezielt eingesetzten Feinmotorik gelungen ist und nachdem Sie die Zündung durch Drehen des Schlüssels (rechts herum und vorher die Kupplung treten) gestartet haben, lassen Sie gaaanz langsam die Kupplung kommen, bis Sie einen leichten Widerstand spüren (haaalt nicht so schnell) und sich das Fahrzeug in Bewegung setzt. Geben Sie dabei gefühlvoll Gas, aber nicht zu viel, damit Sie nicht gleich einen Hopser nach vorn machen. Ja, gut so und nun machen Sie sich bereit, in den zweiten Gang zu schalten. Also die rechte Hand zum Schaltknüppel, dabei mit der anderen Hand das Fahrzeug weiter auf der Fahrbahn halten …

Wie in Ihrer ersten Fahrstunde? Genau. Erinnern Sie sich noch an die Schlenker und Hopser? Aber so fährt niemand mehr, wenn er auch nur ein wenig Routine hat. Und wenn doch, dann müsste er nach spätestens zehn Minuten schweißgebadet eine Pause machen. Warum das so ist? Weil bewusste Handlungssteuerung ein neuronal sehr umständlicher, energiezehrender und langsamer Prozess ist. Und das kann sich ein evolutionär erfolgreiches System nicht leisten. Stattdessen geschieht Folgendes: Wenn unser Gehirn die typischen Handlungsabläufe erst einmal gelernt hat, also entsprechende neuronale Verknüpfungen gebildet hat, dann schaltet es quasi auf den Autopiloten um. Ihr Bewusstsein entscheidet dann nur noch darüber, ob Sie links oder rechts abbiegen oder dem von rechts kommenden Fahrzeug Vorfahrt gewähren. Den Rest macht Ihr motorischer Cortex in Kooperation mit Ihrem Klein- und Mittelhirn ganz allein. Sie starten mit der Zündung also auch das neuronale Programm Autofahren. Und wenn Sie das Modell wechseln, müssen Sie an diesem Programm lediglich noch ein paar Variablen und Parameter anpassen. Alles ganz einfach. Aber Vorsicht: In einem Flugzeug funktioniert das Programm Auto nicht.

Nun ist Autofahren ein recht simples Beispiel und auch neuronal relativ wenig aufregend. Es geschieht beim Autofahrer nämlich im Gehirn nicht besonders viel, weil es ein relativ einfacher Koordinationsvorgang ist, den vor allem unser Klein- und Mittelhirn spielend drauf haben, wenn einmal erlernt. Viele von Ihnen haben so etwas schon geahnt, ich weiß. Ähnliches gilt für das Laufen und das Zähneputzen. Auch hier hat Ihr Bewusstsein nicht viel zu tun.

Was die Beispiele verdeutlicht haben sollten: Es gibt explizite Abläufe, also solche, die der bewussten Steuerung unterliegen, und implizite Abläufe, also solche Vorgänge, die anhand erlernter Programme automatisch ablaufen. Diese können im Beispiel der Bewegungskoordination willkürlich sein (wir merken ja schließlich, was wir tun, und können das auch bewusst steuern), aber in vielen anderen Fällen gelingt das nicht so einfach. Das gilt insbesondere für solche Vorgänge, bei denen die Unmittelbarkeit zwischen implizit ablaufendem Programm und den Programm bildenden Zusammenhängen nicht gegeben ist. Will heißen: Wir handeln unwillkürlich einem bestimmten Muster folgend, das wir schwer oder gar nicht steuern können. Das muss kein Problem sein, aber manchmal ist es das eben doch. Wenn Sie zum Beispiel während einer Firmenpräsentation vor Aufregung kaum ein Wort herausbringen oder es einfach wieder einmal nicht geschafft haben, den Projektbericht pünktlich fertigzustellen. Hier drängen sich implizite Handlungs- beziehungsweise Vermeidungsprogramme in den Vordergrund.

Effizienz schlägt Verstand

Rufen wir uns in Erinnerung, wie neuronale Programme entstehen: Durch positive Erfahrungen werden erfolgreiche Muster abgespeichert. Es ist so, als wenn Sie sich immer wieder einen Weg durch den Wald bahnen müssen. Irgendwann haben Sie einen Trampelpfad getreten, auf dem es sich dann wesentlich schneller laufen lässt, als sich wieder und wieder einen neuen Weg zu bahnen. So in etwa bilden sich auch neue Verknüpfungen und schließlich mehr oder weniger komplexe neuronale Programme in Ihrem Gehirn. Und irgendwann ist Ihnen auch nicht mehr präsent, warum Sie gerade so und nicht anders durch den Wald laufen. Denn für Ihr Gehirn ist weniger relevant, warum etwas funktioniert, sondern dass es funktioniert. Nur wenn sich an einer Stelle im Wald ein missmutiger Bär aufhält, um den Sie einen großen Bogen machen müssen, werden Sie das sicher in Erinnerung behalten.

So in etwa bilden sich neuronale Programme. Dort, wo Sie auf eine bekannte Situation treffen, werden Sie auch unwillkürlich Ihnen bekannte Muster abrufen. Dann steuert quasi Ihr innerer Autopilot. Ihre Handlungsabläufe laufen zunächst unbewusst, da der unbewusste Verarbeitungsmodus (impliziter Modus) wesentlich schneller als der bewusste (explizite) Modus abläuft und zudem in der Lage ist, mehrere Prozesse parallel zu bearbeiten. Letzteres kann Ihr Bewusstsein nicht. Sie werden kaum ein engagiertes Beratungsgespräch führen können, wenn Sie gleichzeitig ein Kreuzworträtsel lösen. Ihr Unbewusstes ist somit ein echter Multitasker, während Ihr Bewusstsein noch mit serieller Datenverarbeitung beschäftigt ist. Ich weiß, dass jetzt einige Leser einwenden werden, dass sie gleichzeitig telefonieren und E-Mails lesen könnten. Vergessen Sie es! Bei Ihrem Telefonat werden dabei nicht mehr als stereotype Floskeln herauskommen. Gleichwohl sind wir in der Lage, in schneller Folge unseren Fokus zu wechseln. Nur Zeit gewinnen wir damit keine.

Wir sollten uns vergegenwärtigen, dass unbewusste Vorgänge in unserem Gehirn die Regel sind, bewusste Vorgänge demgegenüber eher zurücktreten. Dazu gehört die Aufrechterhaltung der Lebensfunktionen. Auch motorische Abläufe, wenn wir sie erst einmal beherrschen, sind überwiegend implizite Programme. Selbst im Schlaf ruht unser Gehirn nicht, es legt sogar für unsere psychische und physische Gesundheit extra eine Nachtschicht ein. In Versuchen konnte man feststellen, dass es für uns im Schlaf Aufgaben erledigt, die tagsüber nicht abgeschlossen wurden und dass Lernprozesse unbewusst weiterlaufen, auch tagsüber und auch, wenn wir gleichzeitig ganz andere Dinge machen.

So konnte man zum Beispiel zeigen, dass Menschen Kreativitätsaufgaben wesentlich besser lösen, wenn sie sich nicht sofort nach der Aufgabenerteilung bewusst damit auseinandersetzen, sondern sich zunächst anderweitig beschäftigen. »Ich schlafe mal drüber« ist neurobiologisch sehr sinnvoll, wenn es darum geht, eine schwierige Aufgabe zu lösen. Ihr Gehirn kommt auf diesem Weg meist sogar zu besseren Ergebnissen, da es all das implizite Wissen, dass Sie gespeichert haben, eher parat hat, als Ihr Bewusstsein. Überhaupt sollten Sie sich an den Gedanken gewöhnen, dass Sie viel mehr wissen und können, als Ihnen bewusst ist. Denken Sie an das Beispiel der Grammatik zurück. Auch dies ist implizites Wissen.

All das ist uns ja nicht bewusst und gerade darum fällt es uns so schwer, das zu begreifen: »Unbewusste Vorgänge? Also, ich habe davon noch nix bemerkt …« Und dennoch: Wir könnten gar nicht ohne sie. Implizite Muster entfalten Dominanz, weil sie bereits das bewiesen haben, was explizite Muster erst beweisen müssen: Sie sind erfolgreich oder waren es zumindest, denn sonst wären sie nicht vorhanden. Insofern stehen sie in der neuronalen Hierarchie auch meist über den expliziten Abläufen. Das ist effektiv und schont Ressourcen. Sie ändern ja schließlich auch nicht täglich Ihren Weg zur Arbeit oder tauschen ständig Ihre Arbeitsgeräte. Aber dieser Programmablauf birgt natürlich auch Risiken. Wenn implizite Programme nicht mehr erfolgreich sind, haben wir ein Problem. Dies kann sich in zweierlei Hinsicht zeigen:

  1. Entweder unser Wahrnehmungsmuster, das ja immer mit Interpretationen verknüpft ist, ist wenig nützlich, da es die Situation nur unzureichend oder gar falsch erfasst, oder/und
  2. unser Reaktionsmuster führt zu unerwünschten Ergebnissen oder verursacht Nebenwirkungen, die nicht hinnehmbar sind.

In jedem Fall ist es nun unser Bewusstsein, das hier korrigierend eingreifen kann. Dass dies nicht immer reibungslos funktioniert (woher sollten Kommunikationsberater sonst auch ihre Existenzberechtigung beziehen?), liegt oft darin begründet, dass wir unsere Wahrnehmung von Realität mit der Realität selbst verwechseln. Unsere Welt ist aber nicht, wie sie ist, sondern so, wie wir sie uns gestalten. Es ist aber, zugegeben, schwer vermittelbar, dass die Wahrnehmungen anderer stark von unseren Wahrnehmungen abweichen können, ohne dadurch falsch zu sein. Denn die Prozesse, die unserer Interpretation von Realität zugrunde liegen, sind größtenteils unbewusst, was bedeutet, dass wir sie nur schwer steuern können. Wie wir damit dennoch konstruktiv umgehen können, werden wir im zweiten Teil dieses Buches näher beleuchten.

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