Kanban – Das neue Lean als interaktives Vergrößerungsglas?

Eigentlich wurde Kanban von Toyota entwickelt. Ziel war es, Lagerbestände zu reduzieren und den Fertigungsprozess zu rhythmisieren. Kanban gilt als agil, kommt aber eigentlich aus dem Lean Management. Doch diese Methode lässt sich im Prinzip in jedem Unternehmen (abgewandelt) anwenden und führt zu positiven Effekten. Gerade wer Agilität im Fokus hat, sollte sich mit Kanban auseinandersetzen …

Bei einem Kanban-Board gibt es eine horizontale Grundordnung. Wer einmal gelernt hat, ein solches Board zu lesen, wird sich auch bei einem etwas differenzierterem Aufbau schnell zurechtfinden. Links das unfertige, geplante, rechts das fertige, abgeschlossene und in der Mitte alles, was gerade in der Mache, also in Arbeit ist.

Entwickelt wurde Kanban von dem Automobilkonzern Toyota. Ziel war es hier, zum Beispiel Lagerbestände zu reduzieren und die Fertigungsprozesse in einen gleichmäßigeren Rhythmus zu bringen. Daher gilt Kanban zwar als agil, kommt jedoch eigentlich aus dem Lean Thinking (»schlankes Denken« im Sinne von aufwandsarm beziehungsweise ohne Verschwendung). »Lean« ist der Begriff, der sich aus der Weiterentwicklung des Toyota Production System (TPS) entwickelt hat. Lean Thinking und Lean Management hat inzwischen eine lange Tradition – auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz – und hat seinen Siegeszug vor allem in der Produktion begonnen. Heute findet man Lean Thinking auch in der Logistik oder der Verwaltung, wo man sich hierdurch die ein oder andere Verschlankung erhofft.

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Die vier Prinzipien von Lean

Für viele ist Lean trotzdem ein Buch mit sieben Siegeln geblieben. Lean ist jedoch aus meiner Sicht als historischer Vorläufer von Kanban anzusehen (ähnlich wie XP für Scrum). Ich möchte mich deshalb hier auf vier wichtige Prinzipien fokussieren und zugleich die Psycho-Logik dahinter darstellen, die sich gleichermaßen in Kanban wiederfinden lässt.

1. Das Pull-Prinzip

Nur das, was die Kunden auch abnehmen, wird auch tatsächlich produziert, so werden Überproduktion verhindert, Lagerkosten und Working Capital reduziert und Verschwendung (japanisch Muda) findet nicht mehr statt. Und das ist auch für die Motivation dringend notwendig, denn wer arbeitet schon gerne für die Schublade?

Psychologisch wird hier also dafür gesorgt, dass tatsächlich die Nachfrage abgebildet wird, also etwas in dieser Hinsicht Sinnvolles produziert werden kann, und nicht nur irgendetwas gemacht wird, weil irgendjemand denkt, es sei gerade erforderlich!

2. Das One-Piece-Flow-Prinzip

Auch hier wurde schon von Toyota der Begriff »Flow« ins Spiel gebracht. In einem wahrhaften One-Piece-Flow wird von jeder operativen Einheit tatsächlich so lange an einem Stück gearbeitet, bis es passgenau fertig ist für die Weiterbearbeitung an der nächsten Station. So wird genau das hergestellt, was die nächste operative Einheit auch tatsächlich benötigt.

Psychologischer Effekt: Eine Überlastung des arbeitenden Teams wird ausgeschlossen und Frustrationen auf Seiten der Abnehmer wird vorgebeugt. Damit sind sehr starke Stimmungskiller schon einmal außen vor, alle können tatsächlich ihr Bestes geben und einen guten Job machen!

3. Das Takt-Prinzip

Mit dem Takt-Prinzip wird die Balance von Arbeitsinhalten, ein kontinuierlicher Flow und flexible Anpassung an Veränderungen möglich. Bei hundertprozentiger Ressourcennutzung geht gar nichts mehr, das kennen Sie vom Stau auf den Straßen oder von einem Rechner mit voller Festplatte oder überlastetem Arbeitsspeicher.

Klassischerweise entstehen bei technischen Projekten häufig Engpässe beim finalen Systemtest, und zwar dann, wenn nicht vorher schon vielfach ausgeliefert und getestet wurde. Wenn jedoch alles gut getaktet ist, bleibt Zeit, um schon früher wichtige Testungen einzusteuern.

Ein Takt-System ist verlässlich und praktisch, wie zum Beispiel aller Unkenrufe zum Trotz das ICE-Netz in Deutschland. Ist so eine Taktung einmal aufgebaut, dann kann sie – wie im Beispiel das System Schiene – auch tatsächlich ihre Stärken ausspielen.

Psychologisch gibt ein Takt Sicherheit und bietet die Gewähr für Zuverlässigkeit: »Wenn mir der Zug vor der Nase wegfährt, kommt in einer Stunde der nächste!« Im Arbeitskontext ist das Daily Stand-up eine Takt-Systematik, die Kontinuität und Regelmäßigkeit im faktischen und menschlichen Austausch gewährleistet und damit zum Beispiel eine flexible Reaktion auf Unvorhergesehenes erlaubt.

4. Das Null-Fehler-Prinzip

Fehler passieren, natürlich auch in Unternehmen, die sich Lean oder Agile auf die Fahnen geschrieben haben. Der Grundgedanke ist hier jedoch, dass diese prinzipiell nicht einfach an die nächste Station weitergegeben werden. Agiles Fehlermanagement beziehungsweise das Null-Fehler-Prinzip bedeutet, dass Fehler sofort abgestellt werden und sich langsam einschleichende Qualitätsprobleme so konsequent verhindert werden.

Bei Toyota hat jeder Arbeiter zu jedem Zeitpunkt das Recht und die Pflicht, das Band anzuhalten, um den Fehler zu finden. Kann der Fehler nicht innerhalb von zehn Minuten gefunden werden, so werden alle Führungskräfte aus ihren Büros gerufen, um mitzuhelfen, den Fehler zu beseitigen.

Im Verwaltungs- oder Dienstleistungsbereich kann man das analog denken: Nichts darf raus an interne oder externe Kunden, was fehlerbehaftet ist.

Wie funktioniert das im Teamprozess? Was passiert, wenn eine psychologische Störung auftritt, zum Beispiel ein dramatischer Stimmungsumschwung in einem Meeting stattfindet, und der Haussegen plötzlich schief hängt?

Aus psychologischer Sicht ist hier dringend zu empfehlen, eine Art spontane Retrospektive oder einen ähnlichen Klärungsprozess einzuleiten, mit dem der Grund für den Stimmungswandel aufgeklärt werden kann (zum Beispiel eine provokante Äußerung, ein Missverständnis et cetera), und zwar, bevor sich die Gräben vertiefen.

Auch in gut geleiteten Seminaren gibt es übrigens dieses Prinzip: Störungen haben Vorrang! Planen Sie am besten immer wieder zusätzliche Boxen-Stopps mit externer Unterstützung für Ihr Team ein, um die Kommunikation im Team zu reflektieren und in der Folge zu verbessern. Ein Null-Fehler-Prinzip für das kollegial-kommunikative Miteinander zu organisieren, erlaubt Ihnen, mit Ihrem Team zu ungeahnten Höhenflügen anzusetzen und irgendwann auch einmal trotz eventueller Turbulenzen absturzfrei miteinander unterwegs sein zu können.

Die vier wichtigsten Kanban-Praktiken

In Kanban gibt es vier Praktiken, welche die beschriebenen Lean-Prinzipien aufgreifen und diese ganz pragmatisch in klar beschreibbare und psychologisch stimmige Handlungsweisen übersetzen.

Kanban-Praktik # 1: Mache die Arbeit sichtbar

Nur ein Narr glaubt, jederzeit alles im Blick zu haben, zum Beispiel, was die Teammitglieder den ganzen Tag tun beziehungsweise nicht tun. Stellen Sie sich vor, Sie verkaufen ausschließlich frische und ökologisch-biologisch korrekte Radieschen-Pflänzlinge und haben Ihre Abnehmer im gesamten Bundesgebiet verstreut. Ihr Service besteht darin, diese im Garten des Kunden anzupflanzen und in die Gartenarchitektur anzupassen. Wo sind Ihre Kunden? Eine Karte mit roten Stecknadeln hilft. Welche Planungen sind notwendig? Welche Einzelaufgaben ergeben sich daraus? Wer nimmt die Kundentermine wahr et cetera?

Spätestens wenn Sie als Gründer nicht mehr alle Jobs selbst abarbeiten können, geht es darum, erst einmal ein klares Bild davon zu bekommen, was zu tun ist (und zwar noch bevor Sie darüber nachdenken, wer das dann machen kann). Eine erste To-Do-Liste für Ihr Kanban-Board entsteht.

Das verschafft Ihnen eine Übersicht und stärkt psychologisch Ihre Zuversicht, dass die Arbeit grundsätzlich delegierbar ist und auch von anderen geleistet werden kann.

Kanban-Praktik # 2: Limitiere die Anzahl paralleler Tätigkeiten

Das sogenannte WIP-Limit (WIP steht für Work in Progress) sollte auf ein geeignetes Maß reduziert werden, so dass Sie oder auch Ihre Mitarbeiter eine reale Chance haben, einzelne Aufgaben oder Aufträge abzuarbeiten. Damit ist gemeint, dass jede Person zum Beispiel maximal zwei Arbeiten zu einem Zeitpunkt ausführt.

Eine Arbeit, die zu hundert Prozent fertig ist, ist mehr wert als zehn Arbeiten, die zu zehn Prozent fertig sind. Sie macht nämlich diesen einen Kunden glücklich und kann zudem abgerechnet werden. Zehn nur angefangene Aufträge bringen auch psychologisch Unruhe rein, denn Sie haben in einem solchen Fall das (berechtigte!) Gefühl, sich zu verzetteln. Zudem haben Sie zu wenige Erfolgserlebnisse.

»Stop starting, start finishing« ist hierzu der geflügelte Spruch, der auf Deutsch soviel heißt wie »Beenden Sie das Beginnen, beginnen Sie das Beenden«. Auch in Zukunft wird es vermutlich immer noch rund neun Monate brauchen, bis eine Frau ein Kind zur Welt bringt. Machen Sie sich nichts vor: Es bringt nichts, dies mit neun Frauen in einem Monat schaffen zu wollen!

Kanban-Praktik # 3: Mache die Prozess-Regeln explizit

Diese Kanban-Praktik legt nahe, die Prozess-Regeln explizit zu machen und sich dann auch penibel dran zu halten. Also zum Beispiel: »Jeder neue Arbeitsauftrag wird zuerst in ein Ticketing-System geschrieben, dort mit einer laufenden Nummer versehen, zusammen mit einer aussagekräftigen Titelzeile auf einem farbigen Kärtchen ausgedruckt und dann links oben für jeden sichtbar in die To-do-Spalte gehängt.«

Die Festlegung der Prozessregeln ist übrigens als Team-Prozess zu verstehen. Psychologisch ist das sinnvoll, denn die allermeisten Menschen sind bereit, vor allem diejenigen Regelungen einzuhalten, die sie sich selbst ausgedacht haben.

Kanban-Praktik # 4: Stoße gemeinsam Verbesserungen an

Ein Kanban-Team hat die Aufgabe zum Beispiel in Retrospektiven oder in einem Review-Meeting über mögliche Prozess-Verbesserungen nachzudenken und diese dann auch umzusetzen.

Egal ob Erfahrungen, wissenschaftliche Modelle und neue Gestaltungsideen, ein Kanban-Team tut gut daran, alles zu nutzen, das es kriegen kann. Getreu dem alten REWE-Motto von 2006 bis 2012: »Jeden Tag ein bisschen besser!«

Das psychologische Versprechen: Wenn ich mich an jedem Tag ein bisschen verändere, dann habe ich im Jahr eine deutliche und positive Veränderungskurve nach oben! Das Wort TEAM lässt sich dann wie folgt buchstabieren: Together Everyone Achieves More.

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