Empfehlungsmarketing gilt als Turbo für volle Auftragsbücher. Viele Freiberufler und Unternemehr sitzen diesem Narrativ auf. Doch Auftragsbücher mit Mundpropaganda zu füllen, ist eine Utopie. Davon ist der Marketingberater Bernhard Kuntz überzeugt.
Wie wichtig sind Empfehlungen für den Erfolg von Unternehmen?
Bernhard Kuntz: Empfehlungen sind Gold wert. Denn wenn ein Kunde einem Noch-nicht-Kunden ein Unternehmen oder einen Dienstleister empfiehlt, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass aus der Empfehlung ein Auftrag wird. Wer sich als Unternehmer beim Gewinnen von Neukunden aber rein auf Empfehlungen verlässt, ist in der Regel verlassen.
Warum?
Kuntz: Kunden sind mit dem Aussprechen von Empfehlungen meist zögerlich – gerade bei komplexen Produkten und Dienstleistungen. Denn sie wissen, wenn ich einer Person zum Beispiel einen Dienstleister empfehle und bei der Zusammenarbeit treten Probleme auf, dann ist der Empfehlungsnehmer verärgert und denkt: Wie konnte mir mein Bekannter diesen Unterstützer empfehlen? Eine Empfehlung ist für den Empfehlungsgeber also stets mit einem Risiko verbunden. Entsprechend zurückhaltend sind Kunden meist mit dem aktiven Aussprechen von Empfehlungen – speziell bei Dienstleistungen, die anders als Gebrauchsgüter nicht zurückgegeben und umgetauscht werden können. Deshalb können zumindest Unternehmen, die wachsen möchten, rein mit Empfehlungen ihre Ziele meist nicht erreichen. Bei ihnen können Empfehlungen nur eine Säule im Marketing- und Vertriebskonzept sein. Das gilt auch für Newcomer im Markt.
Weshalb?
Kuntz: Sie haben noch eine überschaubare Zahl von Kunden. Also ist auch die Zahl der Personen und Organisationen klein, die sie überhaupt empfehlen können. Deshalb müssen sie ein aktiveres Marketing betreiben.
Eine Top-Leistung ist das A und O
Sind Empfehlungen Glücksache?
Kuntz: Nein. Empfehlungen sind zunächst einmal das Resultat einer aus Kundensicht Top-Leistung. Denn nur wenn ein Kunde mit einem Produkt oder einem Unternehmen rundum zufrieden ist, empfiehlt er dieses. Doch selbst hoch zufriedene Kunden sind mit dem Aussprechen von Empfehlungen meist eher zurückhaltend. Also müssen sie gezielt akquiriert werden. Zum Beispiel, indem man zu dem Kunden bei passender Gelegenheit sagt: „Haben Sie einen Kollegen, der …. “ Oder: „Kennen Sie ein Unternehmen, das sich für unsere Leistungen auch interessieren könnte?“ Doch Vorsicht! Wichtig beim Akquirieren von Empfehlungen ist, dass man auf die Kunden nie Druck ausübt – und sei es nur subtil. Denn dies belastet die Kundenbeziehung. Zögert ein Kunde mit dem Geben einer Empfehlung, sollte man sich vielmehr fragen: Warum? Ist er mit unserer Leistung doch nicht so zufrieden wie gedacht? Ist ihm das Risiko zu groß? Oder …?
Wovon hängt die Wirksamkeit von Empfehlungen ab?
Kuntz: Empfehlungen sind umso wirksamer, je inniger die Beziehung zwischen dem Empfehlungsgeber und dem Empfehlungsnehmer ist. Hierfür ein Beispiel: Angenommen zwei Unternehmer kennen sich persönlich gut. Zum Beispiel, weil sie regelmäßig zusammen Golf spielen. Dann besteht zwischen ihnen eine persönliche Beziehung und sie können den jeweils anderen und dessen Meinung einschätzen. Folglich hören sie in der Regel auch gerne auf die Empfehlungen des jeweils anderen. Anders ist dies, wenn zwischen ihnen keine Beziehung besteht. Dann sind Empfehlungen meist relativ wirkungslos. Deshalb gilt es beim Empfehlungsmarketing zunächst zu analysieren, in welche persönlichen Netzwerke ein Kunde eingebunden ist, um hieraus abzuleiten, bei welchen Personen oder Organisationen er als Empfehlungsgeber dienen könnte.
Wen man nicht kennt, dem vertraut man nicht
Kann man auch solche Social Media wie LinkedIn, Instagram und Facebook für das Empfehlungsmarketing nutzen?
Kuntz: Für solche Konsumgüter wie Schminke und Klamotten gewiss ja. Für Produkte und Dienstleistungen im B2B-Bereich aus meiner Warte nur sehr bedingt. Denn zwischen den dort aktiven Personen besteht meist keine persönliche, sondern nur eine virtuelle Beziehung. Deshalb können sie auch die Meinung oder das Urteil des jeweils anderen nur bedingt bewerten. Das setzt dem Empfehlungsmarketing in solchen Plattformen enge Grenzen – zumindest wenn es um den Vertrieb komplexer Produkte und Dienstleistungen geht. Menschen vertrauen virtuellen Kontakten weniger als persönlichen.
Empfehlungen senken die Unsicherheit
Bei welchen Produkten und Dienstleistungen sind Empfehlungen besonders wichtig?
Kuntz: Generell gilt: Empfehlungen sind umso wichtiger je risikobehafteter aus Kundensicht eine Kaufentscheidung ist. Oder anders formuliert: Kunden messen Empfehlungen umso mehr Bedeutung bei, je höher aus ihrer Sicht das Risiko einer Fehlentscheidung ist und je gravierender deren mögliche Konsequenzen wären. Ein Beispiel: Angenommen eine Person möchte einen PC kaufen und sie hat von der IT-Technik keine Ahnung. Dann hört sie gerne auf die Empfehlungen von Freunden, von denen sie weiß: Die kennen sich mit PCs usw. gur aus. Anders ist dies, wenn die Person selbst ein IT-Freak ist. Dann fühlt sie sich meist alleine entscheidungsfähig. Also sind Empfehlungen für sie relativ irrelevant. Ähnlich ist es, wenn ein Produkt aus Kundensicht wenig kostet. Auch dann sind den Kunden Empfehlungen nicht so wichtig, weil sie denken: „Selbst wenn ich eine falsche Entscheidung treffe, ist dies nicht schlimm. Denn dann verliere ich nur ein, zwei Euro.“ Anders ist es, wenn sie für ein Produkt tief ins Portemonnaie greifen müssen. Oder wenn sich ein Unternehmen mit einer Kaufentscheidung langfristig zum Beispiel technisch bindet.
Wie beim Kauf einer Computer- oder Maschinenanlage?
Kuntz: Ja. Dann sichern die Kunde ihre Kaufentscheidung gerne mit Empfehlungen ab. Das heißt, wie wichtig Empfehlungen sind, hängt stark vom Charakter und Preis eines Produkts oder einer Dienstleistung sowie vom Wissen und der Vorerfahrung der Kunden ab – und zwar branchenübergreifend.
Zaubermittel gibt es bei der Auftragsakquise nicht
Wie realistisch ist die Hoffnung mancher Unternehmer, ihre Auftragsbücher rein mit Empfehlungen zu füllen?
Kuntz: Aus meiner Warte ist und bleibt dies meist ein Tagtraum. Er geht in der Regel nur bei Unternehmen in Erfüllung, die schon lange existieren – zum Beispiel fünf, zehn oder gar 20 Jahre – und bereits einen sehr festen Kundenstamm haben. Sie können zuweilen die noch bestehenden Auftragslücken mit Empfehlungen füllen. Anders sieht dies bei allen Unternehmen aus, die sich noch in der Aufbau- oder Wachstumsphase befinden. Sie müssen sich das Gros ihrer Aufträge durch eine konsequente Marktbearbeitung erarbeiten.
Das ist ein mühsames Geschäft. Oder?
Kuntz: Na klar! Doch jeder Marketingberater, der Unternehmern etwas anders verspricht, ist aus meiner Warte ein Scharlatan, denn er suggeriert seinen Kunden: Wenn du es richtig anpackst, fliegen dir die „gebratenen Tauben“ wie von selbst in den Mund.
Eine Vorstellung, die gewiss vielen Freiberuflern und Unternehmern gefällt.
Kuntz: Ja. Entsprechend schnell greifen sie oft nach „Zaubermitteln“, die ihnen manche Marketingberater offerieren. Dabei führt an den Aufgaben Neukunden- und Auftragsakquise zumindest im B2B-Bereich meist kein Weg vorbei. Deshalb lautet die zentrale Frage beim Erstellen einer Marketing- und Vertriebsstrategie nicht „Wie erspare ich mir diese Arbeit?“, sondern „Wie gestalte ich sie möglichst effektiv?“.
Bernhard Kuntz, Darmstadt, arbeitete nach seinem Dipl.-Pädagogikstudium und seiner Redakteursausbildung für Tageszeitungen und Fachzeitschriften. Dann war er als Objektleiter der Zeitschrift „wirtschaft & weiterbildung“ auch für deren Marketing und Vertrieb verantwortlich. Seit 1994 unterstützt er Dienstleitungsunternehmen beim Entwickeln und Vermarkten ihrer Produkte und bei der Pressearbeit. Er ist Autor mehrerer Fachbücher – unter anderem des Buchs „Die Katze im Sack verkaufen“, das zu den Standardwerken im Bereich Bildungs- und Beratungsmarketing zählt.