Echte Wertschätzung zeigen, wenn es darauf ankommt

Fachkräftemangel: Die Stapel neuer Bewerbungen wird bei jeder neu veröffentlichten Stelle kleiner, ein Mitarbeiter nach dem anderen reicht die Kündigung ein. Die demografische Entwicklung, der Strukturwandel und globale Krisen verschärfen die Situation. Gute Talente zu gewinnen wird immer schwieriger. Die Krise bei der Mitarbeitersuche umfasst mittlerweile fast alle Profile und trifft alle Organisationen. Wirklich alle? Nein. Es gibt gallische Dörfer unter den Unternehmen. Diese haben keine Probleme bei der Mitarbeitergewinnung und treue Mitarbeiter. Gaststätten, bei denen auch nach der Coronakrise alle Stellen besetzt sind, Pflegedienstleister, bei denen gute Bewerber Schlange stehen. Was kann man von diesen lernen?

Standortbestimmung

Bevor auf andere geschaut wird, hilft es, den ersten Blick auf sich selbst zu richten: Unternehmen, die etwas ändern wollen, sollten sich zunächst eine brisante Frage beantworten:

Was ist die einzige Konstante der steigenden Fluktuation und der sinkenden Bewerbungen bei Ihrem Unternehmen?

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Die Antwort: Sie und Ihr Betrieb. Und damit verbunden der Ruf, ein attraktiver oder unattraktiver Arbeitgeber zu sein. Was entscheidet darüber, ob ein Unternehmen bei den besten Talenten auf der Wunschliste steht oder nicht? Letztlich die Unternehmenskultur und die Führung, die diese prägt. Hygienefaktoren wie konkurrenzfähige Gehälter und ordentliche Arbeitsmaterialen einmal außen vorgelassen, belegen Studien von McKinsey, der Boston Consulting Group und anderen, dass vor allem der Faktor Wertschätzung entscheidet, ob Mitarbeiter kommen und bleiben oder gehen.

Wertschätzung: Wirkung und nicht Absicht

Einem geflügelten Wort zufolge ist nichts so fair verteilt, wie Intelligenz – jeder ist der Meinung, irgendwie schon genug davon zu haben. Ähnlich verhält es sich auch in Bezug auf Wertschätzung. In unserer humanistisch geprägten Gesellschaft möchte sich kaum jemand nachsagen lassen, er sei kein Menschenfreund: Bei einer Studie der Initiative Kraftwerk Anerkennung waren 81 Prozent der Führungskräfte der Meinung, häufig Anerkennung und Wertschätzung zu erweisen. Das klingt erst einmal gut. Das Problem dabei: in der gleichen Umfrage beurteilten 60 Prozent der Geführten die Wertschätzung ihrer Führungskraft als sehr mäßig.

So positiv das Selbstbild der Führungskräfte auch ist: Letztlich entscheidet das Empfinden der Mitarbeiter. Nur wenn diese sich wertschätzend geführt fühlen, empfehlen sie das Unternehmen weiter, halten ihm die Treue, blühen auf und fühlen sich für den gemeinsamen Erfolg auf einer tieferen Ebene mitverantwortlich. Wo im Verkauf gilt, dass der Köder dem Fisch schmecken muss, gilt im Betrieb, dass die wertschätzende Qualität der Führung vom Mitarbeiter definiert wird. Gut gemeint ist also beileibe nicht gut gemacht. Entscheidend ist, was beim Mitarbeiter ankommt.

Drei Schritte zu mehr Wertschätzung

Wie stelle ich als Führungskraft sicher, dass meine wertschätzenden Absichten auch vom anderen so wahrgenommen werden? Hierzu sollte zunächst ein differenziertes Verständnis des Begriffs entwickelt und dann erkannt werden, wo die eigenen Engpässe liegen. Werden diese anschließend behoben, dann gelingt es auch, die Wertschätzungs-PS auf die Straße und ins Team zu bringen. Die Herausforderung dabei: So verbreitet und oft genutzt der Begriff ist, so schwammig ist er auch: Jeder hat eine eigene Vorstellung darüber, die beispielsweise stark davon abhängt, ob er gerade selbst Wertschätzung erweisen soll oder sie von anderen vermisst. Verfeinern wir also zunächst unser Verständnis darüber, worum es eigentlich geht, bevor wir uns auf einen typischen Engpass konzentrieren und eine Micro Habit kennenlernen, mit der sich dieser auflösen lässt.

Wertschätzung ist der Boden auf dem Vertrauen gedeiht

Der renommierte Psychiater und Bestsellerautor Reinhard K. Haller beschreibt Wertschätzung als die fünfte Stufe einer siebenstufigen Treppe. Damit Wertschätzung entstehen kann, müssen zunächst 1. Aufmerksamkeit; 2. Achtsamkeit; 3. Respekt und 4. Anerkennung gegeben sein. Nach 5. Wertschätzung folgen 6. Vertrauen und schließlich 7. Liebe.

Vertrauen stellt im Geschäftsleben eine wichtige Größe für Geschwindigkeit und nachhaltigen Erfolg dar. Hier zeigt sich die kritische Qualität der Wertschätzung, denn sie bildet die Grundlage, auf der sich Vertrauen überhaupt erst bilden kann. Wertschätzung selbst basiert auf einem erhöhten Maß an Aufmerksamkeit und Achtsamkeit, grundlegendem Respekt und Anerkennung in der Art, dass sie die Bedürfnisse und Erwartungen der Mitarbeiter trifft.

Die kritischen Momente entscheiden

Während die anderen drei Begriffe (Aufmerksamkeit, Respekt und Anerkennung) vielen Führungskräften bewusst sind, stellt Achtsamkeit einen häufig übersehenen Engpass auf dem Weg zu mehr Wertschätzung dar. Damit sich Mitarbeiter nämlich wirklich wertgeschätzt fühlen, entscheiden nicht die 90 – 95 Prozent der Fälle, in denen die Kommunikation im „grünen“ oder „gelben“ Bereich verläuft, sondern die Ausnahmezustände, wenn es einmal „richtig kracht“.

Diese Krisenmomente markieren das Ende des Intensitäts-Spektrums der Kommunikation und damit das Damoklesschwert, das jederzeit über der gemeinsamen Beziehung schwebt. Fast jeder kennt es aus der persönlichen Erfahrung: Wenn ich erlebt habe, wie ein Partner, Freund oder eine andere wichtige Bezugsperson sich in kritischen Situationen wie „das Letzte“ verhält, kann ich mich auch in guten Situationen nur eingeschränkt entspannen und zurücklehnen. Die Angst vor einem Stimmungswechsel und dem, was dann kommen könnte, schwingt einfach mit und verhindert zukünftig, dass die Beziehung über einen bestimmten Grad an Tiefe und Stärke hinausgeht. Natürlich differenzieren wir und verstehen, wenn eine einmalige oder seltene harsche Kommunikation nachvollziehbar begründet ist. Erleben wir aber wiederholt unerwartete und unverhältnismäßige Übertritte, lassen wir uns nach und nach weniger auf den anderen ein. Wenn es an grundlegendem Respekt mangelt, bekommt die Beziehung einen Knacks. Merke: Je schlimmer es auf der negativen Seite einmal wird, umso weniger schön kann es auf der positiven Seite zukünftig noch werden.

Achtsamkeit als Grundlage für einen respektvollen Umgang

Die Kernfrage lautet also: Was kann Führung tun, um in kritischen Situationen weiterhin respektvoll zu kommunizieren? Eine entmutigende, aber ehrliche Antwort lautet leider: Wenn wir emotional getroffen wurden, gelingt ist kaum, sonst gut funktionierende Gesprächstechniken einzusetzen, um sauber und wertschätzend zu kommunizieren. Wenn die Emotionen kommen, geht der Verstand: Techniken wie die Ich-Botschaft oder die gewaltfreie Kommunikation sind gut, solange wir emotional entspannt und Herr der Lage sind. Drückt ein Gesprächspartner unbewusst, aber zielsicher unsere wunden Knöpfe, sprudeln die Du-Botschaften und Anklagen dann aber irgendwann doch aus uns raus und gießen Öl ins Beziehungsfeuer. Ein Blick auf die sieben Stufen der Wertschätzung zeigt, dass genau in diesen Situationen der Respekt verloren geht. Was also tun?

Die Lösung liegt darin, eine Ebene tiefer anzusetzen. Achtsamkeit ermöglicht uns, den Spalt zwischen Reiz und emotionaler Reaktion zu erfassen, zu weiten und eine bewusste Entscheidung zu treffen, wie wir weiter kommunizieren wollen. Auf neuronaler Ebene geht es dabei um die Frage, ob unser rationales Top-Down System die aufsteigenden Impulse unseres triebgesteuerten Button-Up Systems unter Kontrolle halten kann, oder nicht. Wie gut das gelingt, hängt davon ab, wie stark der Präfrontale Cortex (PFC) in unserem Großhirn ist. Achtsamkeit ist also wie ein Muskel, der sich trainieren lässt und findige Forscher haben hierzu sogar Trainingstools entwickelt, mit denen sich der PFC stärken lässt. Mit sogenannten N-Back Trainings können wir genau jene Bereiche unseres Gehirns trainieren, die in Krisensituationen darüber entscheiden, ob wir die Kontrolle verlieren, oder nicht. In Studien zeigte sich, dass tägliche 20minütige Trainings mit einer N-Back-App nach sechs Wochen dazu führten, dass die exekutiven Fähigkeiten (Arbeitsgedächtnis, Inhibition und kognitive Flexibilität) der Probanden um bis zu 20% stiegen.

Nachhaltiger als ein einmaliger sechswöchiger Tropfen auf den Gewohnheitsstein dürfte ein längeres Training sein. Ich persönlich habe mit der „Brain N-Back“ App aus dem Playstore gute Erfahrungen gemacht. Eine Trainingsrunde dauert bei dieser ca. zwei Minuten und man kann den Schwierigkeitsgrad nach und nach den eigenen Fähigkeiten anpassen. Mit ein paar Runden täglichem Training lässt sich der PFC nachhaltig stärken, um zukünftig in kritischen Situationen achtsamer zu bleiben und wertschätzender zu kommunizieren.

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