Der Widerspruch zwischen Agilität und Konfliktlösung

Agilität stehen in einem Zusammenhang mit Schnelligkeit, Flexibilität und dem kreativen Umgang mit sich rasch ändernden Rahmenbedingungen. Agilität ist aber keineswegs „Friede, Freude, Eierkuchen“. Sie bietet auch jede Menge Konfliktsituationen. Und diese wollen eher ruhig und besonnen gelöst werden. Doch wie gelingt die Balance zwischen diesen zwei sich diametral gegenüberstehenden Ansätzen? Wie gelangen wir zu Konfliktlösungen die die Leistungsenergie der Beteiligten erhält und sogar steigert?

In vielen Unternehmen wird das Prinzip der Agilität, bei Herausforderungen dynamisch und möglichst in Echtzeit zu reagieren, auf die Lösung von Konflikten übertragen – und das führt zum Scheitern. Es ist oft kontraproduktiv, bei der Konfliktlösung agil zu agieren.

Konfliktbewältigung verträgt keinen zeitlichen Druck

In meiner Beratungstätigkeit als Coach und Trainer begegne ich in den Unternehmen oft konfliktären und komplexen Situationen, deren Lösung ein gemeinsames Durchatmen und Innehalten erfordert. Gewiss kennen Sie die Vielfalt der Konfliktursachen und Konflikttypen, die von Zielkonflikten und Beurteilungskonflikten über Machtkonflikte und Ressourcenkonflikte bis hin zu Beurteilungskonflikten und Strategiekonflikten reichen. Professionelle Konfliktmanager erforschen den Konflikttyp und bestimmen die Eskalationsstufe, auf der sich ein Konflikt befindet. Entscheidend ist es, die Interessen und die Positionen aller (!) Konfliktbeteiligten zu analysieren, um einen Kompromiss, einen Konsens oder, allgemein gesprochen, eine Lösung zu finden, durch die die Leistungsfähigkeit der Beteiligten und des Teams – oder gar der Abteilung und des gesamten Unternehmens – erhalten bleibt.

Das Buch zum Thema


» Mehr Infos

Konflikte haben oft sogar eine positive und belebende Wirkung. Voraussetzung ist, die Konfliktenergie zu Leistungsenergie umzuwandeln. Dies gelingt, wenn der Konflikt als Möglichkeit erkannt und genutzt wird, die Beziehungen zwischen Menschen neu zu ordnen. Wenn die Ursachen des Konflikts identifiziert und ausgeräumt werden können und sich die Beziehung zwischen den Konfliktbeteiligten klärt lassen, wirkt der Konflikt belebend auf die Teamarbeit

Mit Supervision und Mediation die Konflikthistorie erkennen

Sowohl bei der Supervision als auch bei der Mediation kann diese Aufgabe von einer Führungspersönlichkeit übernommen werden. Sie sollte dann allerdings in der Lage sein, als vermittelnde und neutrale Person zu agieren – was natürlich keine leichte Aufgabe ist, weil es die Trennung von der Rolle als Führungsakteur voraussetzt. Wer jedoch eine Ausbildung zum Supervisor oder zum Mediator absolviert hat, kann dies durchaus leisten. Die effektivere und erfolgversprechendere Vorgehensweise besteht darin, diese Aufgabe einem Supervisor oder Mediator, der von außen kommt, zu übertragen.

Konfliktlösungen ohne agilen Zeitdruck angehen

Hier ist nicht der Platz, den komplexen Supervisionsprozess mit all seinen Einzelinterviews, Klärungsgesprächen und Workshops im Detail auszubreiten. Zum Ergebnis der Supervision sei nur so viel gesagt: Aus einer unsicheren und orientierungslos dahintreibenden Ansammlung von Führungskräften und Mitarbeitern ist mittlerweile ein in vielen Bereichen stabiles Gefüge mit Mitgliedern entstanden, die ein Wirgefühl verbindet. Die einzelnen Teammitglieder gehen die Herausforderungen, die durch die Fusion entstanden sind, in ihren jeweiligen Teams gemeinsam an. Sie kämpfen für ihr Unternehmen, mit dem sie sich nun zu hundert Prozent identifizieren.

Ein rasches Vorgehen bei der Konfliktlösung ist geradezu Gift für den Teamentwicklungsprozess und die Teamarbeit.

Die Konfliktlösung durch Supervision und Mediation braucht Ruhe, Muße und Selbstreflexion. Aus der agilen Perspektive heißt das aber leider oft: Sie kostet Zeit. Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass in Unternehmen mit agilen Strukturen und agilen Teams oft die Tendenz vorherrscht, Konflikte unter den berühmt-berüchtigten Teppich zu kehren oder unprofessionell anzugehen, weil die nachhaltige Konfliktlösung nur Zeit kostet, mithin Zeit verschwendet wird. Die dahinterstehende Einstellung lässt sich in dem folgenden Ausruf zusammenfassen: »Die Konfliktlösung geht zu Lasten der Agilität und Schnelligkeit. Wir müssen aber rasch zu einem Ergebnis gelangen, damit wir weiterkommen«! Der Konflikt wird verdrängt, um den Schein zu wahren und um sich in vermeintlich friedlicher Stimmung wieder der Aufgabe widmen zu können. Eine konstruktive Streitkultur, in der Dissens ausgehalten werden kann, entsteht so nicht. Was jedoch dabei entsteht, ist eine trügerische Friedhofsruhe.

Um dies zu verhindern, müssen Sie dafür Sorge tragen, dass im agilen Team die Bewältigung von Konflikten ohne Zeitdruck erfolgen kann, selbst wenn dies auf Kosten eines agilen und schnellen Handelns geht. Es gilt:
Wenn Sie es mit der Konfliktlösung eilig haben, um rasch wieder ins agile Fahrwasser zu gelangen, sollten Sie langsam und behutsam agieren und sich die notwendige Zeit dafür nehmen.
Sie kennen gewiss den Spruch: »Wenn du es eilig hast, gehe langsam«. In Analogie dazu könnten wir sagen: »Wenn du Konflikte agil und trotzdem nachhaltig lösen willst, agiere langsam«. Aber Achtung: Trotzdem sollen und müssen Sie als coachende Führungspersönlichkeit nach Möglichkeiten suchen, die Bewältigung und Lösung von Konflikten wo immer möglich zu agilisieren. Entscheidend allerdings ist: Die Agilität darf nie zu Lasten der Qualität und der Nachhaltigkeit der Konfliktbewältigung gehen!

Mittelweg zwischen nachhaltiger Konfliktlösung und Agilität finden

Vielleicht rufen Sie jetzt aus: »Was denn nun, Herr Polz? Sollen wir uns Zeit lassen bei der Konfliktlösung? Oder sollen wir die Konfliktlösung agilisieren und nach Möglichkeiten suchen, auch Prozesse wie Supervision und Mediation zu beschleunigen und agile Elemente in sie hineinzutragen?« Ich möchte Ihnen dann antworten: Beides ist notwendig. Letztendlich geht es um die Versöhnung zwischen agilen und eher traditionellen Methoden. Die Vorgehensweisen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Warum sollte es nicht möglich sein, aus beiden Welten das Beste zu übernehmen und von einem Entweder-oder-Denken zu einem Sowohl-als-auch-Denken zu gelangen?

Welche weiteren Möglichkeiten gibt es für Sie, Nachhaltigkeit und Schnelligkeit beziehungsweise Agilität im Konfliktlösungsprozess zu realisieren? Prüfen Sie, welche der folgenden Überlegungen für Sie von Bedeutung sind.

Überlegung 1: Einstellungen und Überzeugungen durch Selbstreflexion agil justieren

Sie sollten zur ständigen Selbstreflexion in der Lage sein. Im Konfliktlösungsprozess – bleiben wir bei dem Beispiel – fragen Sie sich ständig, inwiefern Ihnen bei Supervision und Mediation agile Techniken helfen, die Konfliktbeteiligten aktiv zu beteiligen. Hilft etwa ein Daily Meeting oder Tagesgespräch dabei, alle Beteiligten auf den neuesten Stand der Konfliktlösung zu bringen? Welche Visualisierungstechniken unterstützen Sie dabei, alle Teammitglieder beziehungsweise alle vom Konflikt Betroffenen rechtzeitig und umfassend zu informieren?

Überlegung 2: Die Perspektive wechseln und Widersprüche aushalten

Dazu müssen Sie sich von persönlichen Bezügen zu dem Konfliktgegenstand und den Konfliktparteien so weit wie möglich freimachen, um neutral und unvoreingenommen zu agieren. Dazu gehört die Kompetenz, Widersprüche und Gegensätze aushalten zu können. Komplexe Konflikte zeichnen sich dadurch aus, dass zwei oder mehrere der Konfliktparteien aus ihrer jeweiligen subjektiven Sicht »Recht« haben, es mithin keine objektive Wahrheit und kein eindeutiges »Richtig« und »Falsch« gibt.

Die Vorgehensweise verlangt allen Beteiligten ein Höchstmaß an Konfliktkompetenz ab. Aber es sind nun einmal Situationen denkbar, in denen Konflikte einfach nicht zu lösen sind, sodass es erforderlich ist, dass das Team dies akzeptieren muss, um handlungsfähig zu bleiben. Der Konflikt wird nicht verdrängt, sondern in seinen Konsequenzen mit bedacht.

Überlegung 3: Berührungspunkte zwischen Agilität und Konfliktlösungsprozessen nutzen

Zielführend ist es zudem, wenn Sie Berührungspunkte zwischen Konfliktlösungsprozessen und agilen Methoden, die zweifelsohne vorliegen, nutzen. Konkret: Agile Teamführung setzt voraus, dass die Teammitglieder zur Selbstorganisation und zum eigenverantwortlichen Handeln befugt sind und dies auch leisten können – diese Fähigkeit können Sie nun bei der Bearbeitung von Konflikten durch Supervision und Mediation nutzen. Insbesondere bei der Mediation besteht eine wichtige Intention darin, dass die Teilnehmer die Konfliktlösung zwar mithilfe eines unterstützenden Mediators, aber letztendlich doch selbst herbeiführen sollen. Die Tatsache, dass die Menschen im agilen Team eine hohe Selbstorganisationskompetenz aufweisen, lässt sich im Mediationsprozess nutzen. Denn wer im Mediationsprozess steht, muss sich zuallererst mit sich selbst auseinandersetzen, eigene Widersprüche erkennen, Glaubenssätze überprüfen und eigenverantwortlich Entscheidungen treffen – für all das sind agile Teammitglieder prädestiniert. Die Teammitglieder erhalten auf der Prozessebene Hilfestellung, finden im Mediationsprozess jedoch selbstorganisiert und selbstorganisierend Lösungen – das ist eine zutiefst agile Vorgehensweise.

Überlegung 4: Die individuelle Ausgangslage beachten

Für eine coachende Führungspersönlichkeit ist es wichtig zu berücksichtigen, mit wem sie zu tun hat – mit welchem Team und mit welchem Teammitglied. Was bedeutet das konkret?   Emotionen und Gefühle können hohe Wellen schlagen. Das ist bei Konflikten so gut wie immer der Fall und könnten selbst agil-holokratische Teammitglieder damit überfordeern, einen komplexen und von heftigen Emotionen begleiteten Konflikt selbstständig zu bewältigen. Wahrscheinlich verfügen sie über die fachlichen Qualifikationen und auch die erforderliche Einstellung, einen Konflikt zum Beispiel im Konsens zu bewältigen. Gelingt es ihnen aber auch, in einer aufwühlenden und emotional belastenden Situation ihre Gefühle in den Griff zu bekommen?

Prüfen Sie von Fall zu Fall, ob Sie (im klassisch-traditionellen Team) Teammitgliedern bei der Konfliktlösung eher Freiraum zur Mitwirkung geben und sie ermutigen müssen, sich aktiv einzubringen, oder ob Sie im hoch entwickelten agilen Team moderierend und coachend und sogar lenkend eingreifen können.

Denkanstöße für die Teamführung

Denkanstoß 1: Wenn die coachende Führungspersönlichkeit es eilig hat mit der Konfliktlösung, um rasch wieder ins agile Fahrwasser zu gelangen, sollte sie langsam und behutsam agieren und sich die notwendige Zeit dafür nehmen. Denn ein agiles (rasches) Vorgehen in Konflikten ist meistens kontraproduktiv.

Denkanstoß 2: Auf der anderen Seite sollte sie überlegen, welche agilen Methoden und Vorgehensweisen sie nutzen kann, um bei der Konfliktlösung nicht unnötig Zeit zu verlieren.

Denkanstoß 3: Die Verknüpfung von Denkanstoß 1 und 2 gleicht der Quadratur des Kreises, ist aber möglich, wenn sich die Führungspersönlichkeit von einem Entweder-oder-Denken verabschiedet und ein Sowohl-als-auch-Denken aufbaut.

Denkanstoß 4: Dazu prüft sie, ob sie im klassisch-traditionellen Team Mitgliedern bei der Konfliktlösung Freiraum zur Mitwirkung geben und sie ermutigen muss, sich aktiv einzubringen. Im hoch entwickelten agilen Team hingegen greift sie notfalls moderierend, coachend oder sogar lenkend ein.

Ähnlich wie bei der Konfliktlösung gibt es weitere Situationen in der Teamarbeit, bei der ein Ausgleich gefunden werden muss zwischen einem agil-flexiblen Vorgehen und einem gemäßigteren Innehalten. Das gilt insbesondere für das Changemanagement und das Entscheidungsmanagement.

Teilen

Dieser Artikel kann nicht kommentiert werden.