Das Grundmuster allen Problemlösens

Um Probleme, gleich welcher Art, im Unternehmen zu lösen, sind Gruppenveranstaltungen wie Meetings oder Workshops ein beliebtes Mittel. Und es darf gesponnen werden – es ist sogar ausdrücklich gewollt. Doch das erhöht die Varietät (den Möglichkeitsraum). Und mehr Möglichkeiten machen oft das Problem größer als kleiner. Die Kunst besteht darin, die Varietät auf das erforderliche Maß zu reduzieren. Eine kleine Einführung in das Grundmuster des Problemlösens.

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Oftmals wird Ashbys Gesetz insofern missverstanden, dass es nur darum ginge dauernd die Varietät des Systems zu erhöhen. Das Adjektiv »erforderlich« muss natürlich stets im Kontext eines Problemlösungsprozesses betrachtet werden, denn der jeweilige Punkt im Ablauf erfordert eine eigene Interpretation von »erforderlich«. Platt gesagt: Mal braucht man mehr und mal braucht man weniger Varietät – es kommt halt darauf an.

Vielleicht kommt Ihnen in diesem Zusammenhang das folgende Muster aus Meetings, Workshops oder Projektverläufen bekannt vor:

Ein typisches Varietätsmuster in Ideenfindungsworkshops

Die Interaktion startet von einem Ausgangspunkt. Dies kann eine anstehende Entscheidung sein oder ein Treffen, das zum reinen Informationsaustausch dient. Zur Vorbereitung des Treffens gibt es in der Regel mindestens ein »Thema« und manchmal gibt es sogar eine inhaltliche Beschreibung in Form einer Agenda oder Fragenliste. Von diesem Startpunkt ausgehend wird in der Regel die Varietät zunächst erhöht (Erhöhung des Möglichkeitsraums).

Wenn die Informationen zum Kontext vorliegen, geht es nahtlos in die Ideenentwicklung über, der mögliche Möglichkeitsraum formiert sich. Man beginnt das Problem zu verstehen. Danach werden einzelne Teile oder sogar schon die Gesamtlösung skizziert und miteinander kombiniert. Es entstehen Szenarien über die Auswirkungen von Entscheidungen. Diese Wellenphase nenne ich gerne die »Eier-Phase« einer Interaktion. Es entsteht ein Raum in dem nicht klar ist, wie es weitergehen soll – zu viele Möglichkeiten liegen auf dem Tableau und es entsteht beizeiten ein unwohles Gefühl zwischen den Beteiligten. Die erhöhte Varietät schwirrt durch den Raum und mancher Geist ist verwirrt. Aus diesem Dilemma kann sich der Mensch nur befreien, in dem nun Kriterien zur Bewertung der Handlungsoptionen herangezogen werden: Die erforderliche Varietät heißt jetzt, die Anzahl der möglichen Zustände zu reduzieren (beziehungsweise dämpfen). Aus n-Optionen wird jetzt eine Auswahl getroffen – der von Luhmann beschworene Selektionszwang holt uns wieder ein. Wir brauchen einen Entscheidungs-Handlungs-Plan der dann aufzeigt, welche nächsten Schritte (= Kommunikationen) erledigt werden müssen, um das nächste Ziel zu erreichen.

Perfiderweise weisen Menschen im Kontext der Selektion die Tendenz auf, prinzipiell Anschlussfähigkeit herzustellen. Vereinfacht formuliert sind wir darauf ausgerichtet, den sozialen Kontakt dauernd aufrechtzuerhalten. Das kann dann stark filternd auf die Beschluss-Varietät einwirken, sodass die Dinge beschlossen werden, die zwar gut für das soziale Gefüge sind, aber nicht dem eigentlichen Zweck der Sache dienen.

Umso mehr ist der Hinweis von Hans Ulrich bedeutend, dass es maßgeblich von der Qualität der kollektiven Interpretationsprozesse abhängt, ob es einer Organisation gelingt ihren Zweck zu erfüllen. Letztendlich ist es keine Raketenwissenschaft, zu erkennen, dass Teams mit den richtigen Fähigkeiten und einer gemeinsamen Sprache erfolgreicher sind als jene, denen es nicht gelingt ihr Problem und die entsprechenden Ziele, geschweige denn eine Lösung zu beschreiben.

Die viel beschworene Diversität hat eine durchaus solide wissenschaftliche Basis, nur stellt sich neben der Frage nach der Kompetenz auch die Frage nach der Kollaborations- und Kooperationsfähigkeit der unterschiedlichen Persönlichkeiten im Unternehmen. In der Praxis sind zwei dysfunktionale Muster beobachtbar: Zum einen die übliche Zwietracht und Unvereinbarkeit der individuellen Interessen, zum anderen kommt es zum Group-Think-Effekt, der zu einer Gleichschaltung führt, die das kritische Denken be- oder verhindert und damit die erforderliche Varietät senkt. Es muss jedoch darum gehen, die erforderliche Varietät zusammenzustellen, die für das Problem angemessen ist.

Problem-Framing – Verstehen oder Nicht-Verstehen, das ist hier die Frage

Komplexität entsteht meistens dann, wenn die Lage unübersichtlich ist und die Zustandsänderungen der Situation nicht mehr vollständig wahrgenommen werden können. In solchen Situationen ist man oft geneigt schnell etwas zu machen und die erkannten Teilprobleme sofort anzugehen. Der Druck ist groß und »man muss doch etwas tun.« Dies geht zu Lasten einer vernünftigen Analytik, da ja dringend eine Lösung benötigt wird. Jedoch ist es nicht möglich eine passende Lösung zu entwickeln, wenn das zugrunde liegende Problem nicht erkannt und verstanden wurde. Daher beginnt die Bewältigung von Komplexität immer mit einer Problembeschreibung, welche die vielfältigen Perspektiven der Anspruchsgruppen in einem Wirkgefüge integriert.

Daher wundert es auch nicht, das zum Beispiel das populäre Design Thinking, oder die aus den Sechzigerjahren stammende Soft Signals Methodology alle vom Problem ausgehen. Ebenso hat dies Shoemaker in den Neunzigern als die erste Entscheidungsfalle (»Decision Traps«) aufgeführt. Des Weiteren seien an dieser Stelle Gomez/Probst mit der Frage zitiert:

»Warum wird das Problem zum Problem?«

Wer sich gezielt mit dieser Frage auseinandersetzt, hat eine gute Chance, die erforderliche Varietät für eine komplexe Situation zusammen zu bekommen.

Lassen Sie sich bei der Klärung eines Problems nicht von Aussagen aufhalten, dass man »bei uns« nur noch von Herausforderungen spricht und das Wort Problem nicht mehr zum Vokabelsatz gehört. Denn bei aller Dynamik und Veränderung, so hat sich das Grundmuster des Verstehens einer unbekannten Situation nicht verändert: Um das Problem verstehen zu können, muss ich unterscheiden und einzelne Elemente für einen kurzen Moment separieren. Danach geht es darum, die Einzelteile neu vernetzt zusammenzusetzen und dadurch eine Verbesserung bewirkt zu haben. Gerhard Wohland hat dies nuanciert formuliert: »Lerne zu unterscheiden, ohne zu trennen.«

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