Warum der andere eindeutig falsch liegt

Schemata sind eine tolle Sache! Sie helfen uns, in einer sich immer weiter differenzierenden und immer unübersichtlicheren Welt klar zu kommen. Und sie beruhigen uns auch irgendwie. Wir haben das gute Gefühl zu wissen, woran wir sind.

Ein Schema ist eine Schablone, die wir zum Beispiel über eine Person oder einen Sachverhalt legen können. Das macht das Leben so unfassbar viel leichter.
Und meist liegen wir ja auch richtig damit! Der unfreundliche Kollege, die klar strukturiere und etwas strenge Projektleiterin, der herzliche Chef, … wenn wir Schemata gebildet haben, sind wir besser auf Situationen vorbereitet, erleben weniger Enttäuschungen und müssen nicht immer wieder neu darüber nachdenken, was angemessen ist.
Ist doch eine super Sache!

Sie ahnen schon, dass es hier nicht ausschließlich bei dem positiven bleiben wird…

Worin besteht also die Gefahr dieser praktischen Schemata? In der Psychologie heißt die Gefahr „confirmation bias“ oder zu gut deutsch „Bestätigungsfehler“.

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Konflikte führen
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Was bedeutet das im Klartext?

Wenn wir eine lieb gewonnen Überzeugungen haben, dann neigen wir als Menschen dazu, bevorzugt Informationen wahrzunehmen und als wichtig zu bewerten, die mit diesen Überzeugungen übereinstimmen.
Ist der unfreundliche Kollege mal nett, bringt uns das erst einmal nicht aus der Ruhe. Wer weiß, was mit dem schon wieder los ist! Vielleicht führt er sogar etwas im Schilde?
Und hat die strukturierte Projektleiterin die Sitzung nicht vorbereitet, hat sie halt einen schlechten Tag.
Und feuert der herzige Chef einen Kollegen auf unschöne Weise.. hmm… vielleicht hat er Eheprobleme?
Das sind vielleicht harmlos scheinende Beispiele.

Was ist aber, wenn es um mehr geht?

Was ist, wenn wir in wichtigen Beziehung wie langfristigen gemeinsamen Projekten, mit der Familie oder in relevanten Situationen wie Sicherheit und Gesundheit für die Vereinfachung unseres Lebens teuer bezahlen müssen?
Was ist, wenn Konflikte eskalieren, weil wir so sicher sind, das wir Recht haben und der andere Unrecht, dass es zu Brüchen führt?

Leider ist das nur menschlich. Wir wissen ja, dass wir Informationen, die unsere Haltung bestätigen eher wahrnehmen und als wichtig erachten. Aber wozu führt das?
Unsere „objektive“ Informationsbasis, die unsere Haltung unterstützt, wird immer größer und größer, immer eindeutiger und unumstößlicher. Leider geht das unserem Gegenüber genauso. Auch seine oder ihre Informationsbasis wird immer größer, eindeutiger, unumstößlicher.. und so wird eine gemeinsame Realität immer schwieriger.
Und wenn dann eine Emotion dazu kommt, die unsere Existenz sichern soll, -dieses Jahr sicher ganz konkret die Angst – verhärten sich die Fronten umso leichter. Da ist es auf einmal nicht mehr nur der unfreundliche Kollege, die strenge Projektleiterin oder der herzige Chef… sondern der bedrohende Kollege, die verbündete Projektleiterin, der fragwürdige Chef…

Was können wir aber tun, um uns von diesem kognitiven Fehler zu befreien und ihm nicht unsere menschlichen Verbindungen und Nerven zu opfern?


#1 Wir können uns entscheiden, wieder offener und flexibler zu denken

Wir können uns selber klar machen, dass wir zumindest vielleicht nicht die ganze Realität sehen. Und das der andere zumindest möglicherweise auch eine interessante Perspektive auf die Realität hat. Wir können den anderen fragen, welche Informationsbasis ihn zu seiner Haltung geführt hat. -Aber nicht, um zur nächsten Attacke auszuholen. Sondern um voneinander zu lernen.

#2 Wir können unseren Tunnelblick bewusst erweitern

Konflikte können schnell zu verhärteten Fronten führen. Und dann verfallen wir schnell in die Fehlannahme, dass es nur diese zwei Fronten, diese zwei Möglichkeiten gibt, die von den Konfliktparteien verteidigt werden.

Was wäre aber, wenn wir gemeinsam nach weiteren Lösungen suchen würden? Und nicht nur einereinzigen weiteren Lösung, sondern mehreren? Zusammen erst einmal überhaupt neue Lösungen zu entwickeln und dann zu schauen, was für alle stimmig ist, löst meist nachhaltig das zuvor aufgebaute Misstrauen. Denn niemand muss sich mehr der anderen Perspektive unterwerfen. Alle Bedürfnisse, Ideen und Bedenken werden ernst genommen und für alle Seiten stimmige Lösungen gesucht und gefunden. Das darf auch ruhig etwas Zeit in Anspruch nehmen. Das Ergebnis sind dafür auch eine echte Lösungen. -Und sei es für diesen konkreten Kontext oder die jetzt aktuelle Fragestellung.

#3 Jeder handelt auf Grundlage seiner Informationsbasis (inklusive Wissen und Lebenserfahrungen) immer vernünftig

Das klingt vielleicht erst einmal absurd gegeben den Zustand unserer Welt. Aber ich kann Ihnen versichern: wann immer ich in Konfliktlösungen, Team- oder Einzelcoachings mit Menschen tief genug arbeite, finden sich valide Beweggründe für die oberflächlich vielleicht schwer nachvollziehbaren Worte und Taten.

In Beziehung sein bedeutet

auch zuzuhören!


Hören wir einander wieder zu, um einander wirklich zu verstehen! Mit Respekt!

Erkennen wir, dass auch wir eine beschränkte Sicht der Welt haben. Denn das kann auch gar nicht anders sein. Wir sind kognitiv gar nicht dazu in der Lage, Realität als Ganzes zu erfassen.
Das klingt vielleicht etwas provokativ.

Das bedeutet nicht, dass Entscheidungen und Haltungen für uns persönlich nicht „richtig“ sein können. Natürlich können sie das!

Aber wir sollten nicht dem Irrtum unterliegen, dass wir uns kognitiv zu sicher fühlen. Wir sollten uns nicht zu erhaben über den Zweifel der anderen fühlen.
Und wir sollten uns fragen, wie viel wir bereit sind, unserer kognitiven Sicherheit zu opfern.

Es gibt eben auch das Phänomen des „kollektiven Irrtums“. Nur weil viele Menschen die eine oder andere Haltung haben, macht es das (vielleicht auch nach vielen Jahren oder Jahrzehnten rückwirkend betrachtet) nicht notwendigerweise richtig.

Das klingt vielleicht wie eine Lektion in Demut. Und ja, das ist es auch. Demut davor, dass unser Gehirn zwar ein wundervolles Instrument ist, aber zu unkritisch eingeschätzt uns unnötigen Stress und Schmerz bereiten kann.

Positiv gesprochen: Wenn unterschiedliche Haltungen nebeneinander existieren dürfen und einander mit Respekt zugehört wird, haben wir eine größere Chance mehr von der Realität zu sehen. Und dann laufen wir weniger wahrscheinlich in die Gefahr einander unnötig zu verletzen. Dann können wir echte Lösungen finden, die auf alle Sorgen und Beweggründe eingeht. Lösungen, die unsere Beziehungen nicht gefährden, sondern stärken.

Und den konstruktiven Umgang mit unterschiedlichen Realitäten, unterschiedlichen Bedürfnissen und Beweggründen kann man lernen. Und für uns alle scheint es mir dafür höchste Zeit zu sein!

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