Knapp vorbei ist auch daneben

In meiner Arbeit, für Kunden, in Kooperationen und für mich selbst, ist es überlebenswichtig. Doch regelmäßig missverstehen wir es. Es ist die Antwort auf die Frage: Wie verstehen wir Erfolg? Augenscheinlich stellt sich in Katalysen der Erfolg dann ein, wenn wir beispielsweise die Weisungshierarchie überwinden. Stimmt das wirklich? Seit Jahren suche ich hier nach den richtigen Worten. Den stimmigen Metaphern. Den passenden Erklärungen. Letztlich wurde ich im Buch Accelerate fündig. Dort unterscheiden die Autor:innen zwischen Befähigungs- und Reifegradsystemen. Die Krux liegt bei uns. Wir wollen wissen, sind wir korrekt oder falsch unterwegs. Doch wie soll das in unserer komplexen Welt überhaupt gehen? Worauf können wir achten? In jedem Fall auf eines, auf Schafe im Wolfspelz.

Tarnen und täuschen

Schau mal, ob eine der folgenden Aussagen bei Dir Schwingungen auslöst oder Dir bekannt vorkommt:

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Die selbstwirksame Organisation
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  • „Wir müssen uns divers aufstellen.“
  • „Alles fußt darauf, dass unsere Firmen gerechter werden.“
  • „Der Schlüssel liegt in Kooperation anstatt von Wettbewerb.“
  • Am Ende des Tages muss einer entscheiden und ansagen, wo es langgeht.“
  • „Die Lösung finden wir in Dezentralisierung.“

All diese Feststellungen drehen sich um Merkmale. Ihre Einhaltung können wir messbar machen. So sind wir in der Lage Zustände zu vergleichen. Über eine Frauenquote – oder eine LSBTI-Quote – lässt sich ermitteln, wie vielfältig eine Organisation aufgestellt ist. Du kannst dann abgrenzen, ob Dir das ausreicht, um sie gut oder schlecht zu finden. Es spiegelt deine Identität. Es ist geeignet, um herauszufinden, wie tolerant die Organisation in Sachen sexuelle Orientierung ist.

Leider entsteht aus der Erkenntnis allein keine notwendige Entwicklung. Die Vermessung kommt wie ein aggressiv leistungsfähiger Wolf daher. Dabei ist sie nur ein harmloses Schaf. Denn Reifegradsysteme zeigen Momentaufnahmen. Sie ermöglichen Unterscheidung. Sie geben Rückmeldung. Sie sind in sich starr. Dafür nutzen sie bestimmte Konzepte und Methoden. Beispielsweise (Vergleichs-)Messungen. Oder Verläufe. Oder Maßstäbe. Sie machen unsere Welt sicht- und begreifbar. So wie das Urmeter. Dazu benötigen wir sie. Reifegrade sind die Grundlage für Erkenntnisgewinne. Doch was passiert, wenn wir davon genug haben? Gibt es eine Grenze des Nutzens von Wissen? Ich schaue auf meine Umwelt und komme zu einem eindeutigen Ergebnis: „Ja!“. Unsere Kenntnisse machen uns oft sogar ohnmächtig.

Die Ohnmacht der Gewissheit

Wenn wir vornehmlich zurückgemeldet bekommen, dass unser System schlecht ist, kommen wir auf eine Abwärtsspirale, die im Kollaps endet. Ich verdeutliche das Mal an Beispielen aus dem Leben. Je mehr du über deinen ökologischen Fußabdruck weißt, umso hilfloser lässt es dich zurück. Klar, nur noch bio kaufen. Doch ändert das tatsächlich das Verhalten von industriellen Großproduzenten? Verdrängt dein Unverpacktladen das Oligopol der Supermarktketten? Eher nicht. Was für deine Einkaufsbewusstheit gilt, lässt sich problemlos auf deine Mobilität, dein Modekonsum und dein Streamingverhalten etc. übertragen. Dabei ist eines klar. Unser gemeinschaftliches Verhalten als Menschheit räumt den Planeten praktisch genauso konsequent um, wie ein markanter Meteoriteneinschlag. Das Fatale ist: „Wir wissen es!“ Doch das ist offenbar zu wenig, um wirksam etwas zu verändern. Übrigens in Firmen oft geradeso wie im Leben. Was also braucht es zusätzlich?

Befähigung für das Überleben in einer feindlichen Umwelt

Wenn du etwas weißt, ist das schön und gut, doch dann brauchst du noch immer das Verhalten, um aus deinen Erkenntnissen etwas Sinnvolles zu machen. Wir haben uns über das letzte Jahrhundert befähigt, in dem zu arbeiten, was wir moderne Wirtschaft nennen. Sie baut auf das Prinzip Anweisung, Kontrolle und daraus abgeleitet Belohnung oder Bestrafung. Dabei kommt die Ansage von ausgewählten Menschen im System. Die Wahl fällt zuerst auf die Eigentümer:innen und nachfolgend auf die Weisungsträger:innen, die diese dazu ermächtigen. Dieses doch eher starre Führungssystem beschert uns heute Nachteile. Denn die Umwelt der Firmen hat sich verändert. Bis vor dreißig Jahren ging es darum, lange genug zu überleben, um ein Teil des Oligopols zu werden. Oder eine Nische jenseits der Oligopole zu finden, in der wir mit Spezialwissen für ein gutes Auskommen sorgen. Die Aufgaben umreißt der Dreisprung: Innovation, Wachstum, Beharrung. Heute garantiert das keineswegs mehr den Erfolg. Ja selbst, ein Big Player zu sein, stellt den eigenen Fortbestand nur unzureichend sicher. Dazu braucht es neben den Reifegraden vor allem Befähigungsmodelle wie die Betriebskatalyse. Du solltest die beiden Kategorien auseinanderhalten können, um damit deinen Erfolg zu sichern.

Reifegrad von Befähigung unterscheiden:

 ReifegradBefähigung
ZustandErreichung eines «ausgereiften» Zustands in einer trägen Umgebung.Kontinuierliches Vorankommen bei einer sich technologisch, geschäftlich und gesellschaftlich dynamisch verändernden Umgebung.
Umsetzung«Lock-Step»-Formel. Reifegrad 2 wird in Folge von Reifegrad 1 aufgrund der immerselben Anwendungsreihenfolge von Methoden sowie Inhalten bspw. in einer Ausbildung erreicht.Multidimensionales, dynamisches Vorgehen. Ermöglichen verschiedenen Breichen/Menschen einen individuellen Aus-/ Fortbildungsansatz mit Bezug auf den Kontext.
FokusMessung technischer oder dokumentierter Kompetenz (Budgets, Zertifikate, Zeugnisse). Keine direkte Ergebnisbindung.Konzentration auf Ergebnisse und Fähigkeiten, die als Hebel die Verbesserung der Ergebnisse vorantreiben.

Augen auf beim Eierkauf

Jede Form von Wissensvermittlung ohne Ergebnisbezug kann unsere Reife erhöhen. Allerdings bleibt unklar, inwieweit sie uns befähigt, ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen. Deshalb wirkt die Betriebskatalyse, anstatt bloßes Wissen zu vermitteln. Sie steigert die Fähigkeit der Firma zur Selbststeuerung. Sie eröffnet fundierte Handlungsalternativen in Situationen, die in der gängigen Wirtschaftslehre allein vom Glück der Chefetage abhängen, Recht zu behalten. Eine Folge davon ist, dass der Ansatz jede Organisation für sich weiterentwickelt. So gibt es kein klares Zielbild. Es kann dabei das herauskommen, was du unter evolutionär, Beta, Teal, adaptiv, humoanokratisch oder kollegial geführt kennst. Natürlich ebenso etwas Ureigenes, dem ihr Euren Namen gebt. Solltest du nach Unterstützung bei der Umsetzung suchen, achte darauf, dass du dir keinen Reifegrad einkaufst, wo du tatsächlich Befähigung brauchst. Denn die Folge davon ist mehr Bewusstsein, woran du scheiterst bei nahezu gleichbleibender Unfähigkeit im Tun. Dann lieber Finger weg von Zertifikaten, betriebsfremden Trainings, fertigen Konzepten und dergleichen. Daran verdienen nur Wissensvermittler:innen, die schon längst woanders sind, wenn sich in Deiner Firma herausstellt, dass sie fähiger sein sollte.

Gefällt Dir dieser Lichtblick, dann steig über meine anderen Lichtblicke tiefer in die Themen rund um eine Wir-Wirtschaft ein.

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