Zitate kochen leicht gemacht

Zitate sind in Bezug auf ihre Form meist eingedampfte Prosa, vom Autor auf den wesentlichen Kern reduziert. Nachgeborene glauben, dem Zitate-Geber wäre just im Moment des Sprechens der denkwürdige Satz in eben jener geschliffenen Form durchs Hirn geeilt. Manchmal stimmt das, meist jedoch nicht.

„Ich bin ein Berliner!“ – dieser auch wegen seiner einfachen syntaktischen Gestaltung so berühmt gewordene Satz Kennedys stammt aus der Feder seines Redenschreibers Theodore Sorensen. Noch kurz vor der Veranstaltung kritzelte der dem Präsidenten „Ish bin ein Bearleener“ auf einen Zettel.

Wer die gesamte Rede liest, merkt, dass diese vier Wörter wie in einem Brennglas die Rede zusammenfassen. Ohne textlichen, situativen und historischen Zusammenhang wären die wenigen Wörter völlig missverständlich, wie die Geschichte der Rezeption dieses Zitates zeigt. In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts machte in den USA mehrfach die – historisch falsche – Behauptung die Runde, die Folge von Kennedys Berlin-Satz wäre ein großes Gelächter bei den Zuhörern gewesen, denn diese hätten unter dem Begriff Berliner einen Pfannkuchen verstanden. Falsch ist diese Behauptung, weil zum Zeitpunkt der Rede die Berliner einen Pfannkuchen eben Pfannkuchen nannten. Was bleibt, ist das Zitat.

Woher bekommen wir nun zitierfähige Sätze, wenn uns nicht zufällig Heerscharen von Musen knutschen? Wir dampfen sie nach einem bewährten Schema auf kleiner Flamme vorsichtig ein. Bevor Sie nun aber den Herd anwerfen, ein kleiner Test zur Auflockerung der Synapsen. Wer und/oder was fällt Ihnen zu folgenden Äußerungen ein?

  1. „Mr. Gorbatschow, tear down this wall!”
  2. „Ihr Völker der Welt …“
  3. „I have a dream.“
  4. „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen.“

Beachten Sie bitte den Satzbau dieser Zitate, insbesondere das dritte. Martin Luther King hat eben nicht gesagt: „In meiner Funktion als Bürgerrechtler möchte ich vor diesem Auditorium einen Teil meiner Visionen, die sowohl verschiedene Rassen als auch unterschiedliche Religionsgemeinschaften einbezieht, darlegen.“ Nein, er sagte nur vier Wörter: „Ich habe einen Traum.“ Und diese vier Wörter wiederholt er in seiner Rede so oft, dass sie auch dem letzten Zuhörer eingehen mussten. Manch ein Deutschlehrer würde dies als Wiederholungsfehler anstreichen.

Eine Bemerkung noch zum letzten Zitat. Viele Redner in Deutschland hätten ihrem Schreiberling mindestens den „Ruck“ gestrichen. ‚Zu gewöhnlich, zu einfach, meiner nicht würdig.’ Professor Dr. habil. Roman Herzog war das Wort „Ruck“ nicht zu gewöhnlich, denn es ist aufgrund seiner lautmalerischen Herkunft prima geeignet, um genau das auszudrücken, was der Redner sagen möchte. Im Zusammenhang mit nur fünf anderen Wörtern bildet es zudem die Gelegenheit, zitiert zu werden.

Gegenbeispiel: Ein strammer preußischer Feldherr würde nach einer Schlacht, geflissentlich unter tunlichster Verwendung des bürokratischen Schreibstuben-Nominalstils (wie in diesem Satz) mit zusammengeknallten Hacken und ebenso militärischem Ton, melden: „Nach Erreichung der hiesigen Örtlichkeiten und Besichtigung derselben war mir die Erringung des Sieges möglich.“ Cäsar brauchte dafür weniger Worte: „Ich kam, sah, siegte.“

Welche Worte riefen die Montags-Demonstranten in Leipzig? ‚Die Menschen, welche sich nunmehr auf die Straße begeben haben, stellen in ihrer Gesamtheit jene Gruppe dar, die durch eine gemeinsame Geschichte entstanden ist und durch ideelle, kulturelle und andere Gemeinsamkeiten gekennzeichnet wird.’ Nein, sie riefen: „Wir sind das Volk.“

 

Es folgt, meine geneigten Leser, nunmehr das Rezept:
Man nehme einen Satz mit dem gewünschten Inhalt und achte darauf, dass er die Botschaft der Rede enthält oder zuspitzt. Zur Geschmacksverstärkung werden neutrale Wörter durch ausdrucksstarke Synonyme ersetzt (der lautmalerische Ruck für die lahmarschige Bewegung). Anschließend entferne man mit einem spitzen Messer all jene Wörter, die nicht unbedingt notwendig sind. Das Ganze lasse man auf kleiner Flamme langsam köcheln, um die einzelnen Wörter miteinander zu verbinden. Zum Schluss das Konzentrat abseihen und mindestens eine Nacht stehen lassen. Vor dem Genuss prüfen, ob die Konsistenz des Jung-Zitates ausreicht, um sowohl in der Rede als auch mutterseelenallein im Presse-Dschungel bestehen zu können. Entscheidend: Hilft es, das Image des Redners zu stärken?

 

Woher aber bekomme ich den Ausgangs-Satz zum Eindampfen? Viele Zitate sind ihrem Wesen nach einfach abgespeckte Behauptungen. Andere hingegen sind Vergleiche, Metaphern und rhetorische Figuren, wie zum Beispiel Antithesen:

  • „Die Natur macht keine Sprünge.“ (Behauptung, Linné)
  • „Flüchtig ist das Menschenleben wie der Schatten eines Vogels im Flug.“ (Vergleich, Talmud)
  • „Die Macht soll handeln und nicht reden.“(Personifikation und Antithese, Goethe)
  • „Das höchste Recht ist das höchste Unrecht.“ (Paradoxon, Cicero) (Pelzer o. J.)

Beispiel 1
Schritt eins – Behauptung aufstellen: Kritiker können selbst nicht schreiben, würden aber gern. Weil sie nicht können, be- und verurteilen sie die, die schreiben können.

Schritt zwei – in einen Vergleich oder eine Metapher umformen: Kritiker sind Päpste der Literatur. Sie verurteilen jene, die schreiben können, weil sie es selbst nicht können.

Schritt drei – eindampfen: Kritiker sind Päpste der Literatur. Sie verurteilen, weil sie selber nicht können.

Beispiel 2
Schritt eins – Behauptung aufstellen: Wenn man vertraut, hofft man, dass sich ein Ereignis, das noch stattfinden wird, wie gewünscht ereignen wird.

Schritt zwei – in einen Vergleich oder eine Metapher umformen: Vertrauen ist der positiv gefärbte Blick in die Zukunft auf ein Ereignis, das noch stattfinden wird.

Schritt drei – eindampfen: Vertrauen ist der positiv gefärbte Blick in die Zukunft.

Zitate im Text

Manchmal haben Zeit, eigene Kreativität oder Lust und Laune (Laune und Lust) etwas gegen das Suchen und Finden eines eigenen zitierfähigen Satzes. Manchmal gefallen dem Redner die Sätze aus fremder Feder einfach so gut, dass er sie zitieren muss. In diesen Fällen sollte er Folgendes beachten. Weil der Hörer die typografische Kennzeichnung der Zitate nicht sehen kann, muss der Redner andere Mittel wählen. Das in der Wissenschaft übliche „Ich zitiere …“ und „Zitat Ende“ kann man für Vorträge und Vorlesungen verwenden, wobei es auch hier ratsam ist, zu variieren. In jedem anders gearteten Text allerdings stört diese Zitierweise, weil sie einer anderen Stilebene angehört. Der Redner hat die Möglichkeit, die Hinweise auf das Zitat zu umschreiben:

  • Der olle Geheimrat Goethe wusste dies jedoch besser. Er behauptete: …
  • was Nietzsche dazu veranlasste, das Gegenteil zu konstatieren: …
  • Hören wir, wie Seneca dies rechtfertigt: …
  • Einstein, der Hobby-Geiger, musste dem zustimmen: …

Unmittelbar vor dem Zitat nennt der Redner hier das Verb, welches seine Haltung zum Zitat ausdrückt. In unseren Beispielen sind dies behaupten, konstatieren, rechtfertigen, zustimmen. Behaupten impliziert, dass es auch andere Meinungen neben der folgenden gibt; konstatieren impliziert im Zusammenhang mit Gegenteil auch: fest davon überzeugt sein; rechtfertigen setzt eine Auseinandersetzung, also pro und contra, voraus, zustimmen jedoch eine gemeinsam vertretene Auffassung. Das oben beispielhaft vorgestellte Vorgehen integriert das entsprechende Zitat in den fortlaufenden Redetext, sowohl inhaltlich als auch formal. Zugleich bietet es dem Redner die Möglichkeit, Stellung zu beziehen und seine persönlichen Ansichten darzulegen.

Das Ende des Zitats kann man ebenso kennzeichnen, ohne die Formel „Zitat Ende“ zu verwenden. Es kann sich der eigene Kommentar anschließen, eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt oder die Aufforderung an die Zuhörer, sich weiter damit zu beschäftigen:

  • Goethe meinte damit vielleicht …
  • Sie und ich, liebe Zuhörer, ahnen: …
  • Der römische Philosoph, übrigens ein Zeitgenosse Jesu, konnte damals natürlich nicht wissen …
  • Dieser Satz ist für mich …

Zitierfähige Sätze bieten die Chance, die Meinung des Redners in den Medien unterzubringen. Voraussetzung dafür ist, dass die Journalisten auch genau den gewünschten Satz aufgreifen. Das Zitat muss also in möglichst knapper Form das Gemeinte verdichten, etwas zuspitzen, den Redner im Sinne seines Zielimages klar positionieren (eventuell im Gegensatz zur herrschenden Meinung) und nach Möglichkeit zweimal oder mehrfach im Text auftauchen.

Ein Beispiel aus dem Präsidentschaftswahlkampf in den USA (2008) zeigt, wie ständige Wiederholung wirkt. Der Satz Obamas „Yes we can“ wird nicht nur zum (eigentlich inhaltsleeren) Slogan im Sinne einer Werbekampagne, er wird sogar von verschiedenen Künstlern aufgegriffen und zum Beispiel zu einem Rap-Song der „Black Eyed Peas“ verarbeitet, der im Internet kursiert. Interessant ist auch, dass Obama mit diesem Satz prosodisch an Martin Luther King anknüpft, indem er seine Stimme jener des Kirchenmannes anpasst.

Abschließend noch ein gelungenes Beispiel, wie man ein bekanntes Zitat in veränderter Form in den laufenden Text integrieren und auch den Abschluss des modifizierten Zitates kennzeichnen kann. Das Original-Zitat lautet:

„Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben!
Doch der Segen kommt von oben. […]
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Im häuslichen Kreise […]“.

Kulturstaatsministerin Weiss, 09.05.2005 zum Schillerjahr: „[…] Denn ich bin Politikerin, und Schiller ist gerade von der Politik in grotesker Weise vereinnahmt worden. Schon im 19. Jahrhundert nahm sich jeder aus dem Werk, was er brauchte: Die 48er-Demokraten verschworen sich in seinem Namen wie ihre Vorbilder auf dem Rütli. Und die braven Bürger wollten, dass das Werk den Meister lobt, der Schweiß heiß von der Stirn rinnt und drinnen die züchtigte Hausfrau waltet. 1859 war Schiller Hoffnungsfigur für alle, die auf die nationale Einigung drängten. […]“ (www.bundesregierung.de)

 

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