Wenn Sie der Selbstüberschätzung zum Opfer fallen

Wir treffen sehr viele Entscheidungen an einem Tag. Kleine Entscheidungen und manchmal große Entscheidungen. An Informatinen für eine Entscheidung mangelt es uns nicht. Doch was ist eine Information eigentlich wert? Und genau hier beginnt das Problem. Erlebtes, Erfahrungen und die Situation im “Jetzt und Hier” verleiten uns, Dinge sehr subjektiv zu beurteilen. Und diese Selbstüberschätzung können Manipulatoren gezielt ausnutzen …

Wir treffen sehr viele Entscheidungen an einem Tag. Kleine Entscheidungen. Aber immerhin. Großartige Gedanken machen wir uns dabei nicht. Ob wir heute Abend „Tatort“ schauen oder lieber eine andere Sendung (unter den 50 verfügbaren), ist nicht weltbewegend. Was essen wir heute? Telefonieren wir mit dem Handy oder lieber übers Festnetz? Spielen wir noch eine Runde World of Warcraft oder hören wir lieber Musik? Haben wir schon alle E-Mails gecheckt? Wasche ich mir die Haare heute oder lieber morgen? Lasse ich die Flasche Wein diesen Abend einmal weg? Das könnte man noch endlos weiter ausführen. Unsere Entscheidungsmatrix ist ganz sicher deutlich komplexer geworden, schneller, undifferenzierter und auch oberflächlicher. Die Anzahl der möglichen Alternativen endlos. Unsere Großeltern müssen ein völlig uninformiertes Leben geführt haben. Wir sind aber informiert. Besser als zu jedem Zeitpunkt in der Geschichte der Menschheit. Treffen wir deswegen auch bessere Entscheidungen? Das darf kräftig bezweifelt werden. Entscheidungen kann ich aber nur treffen, wenn ich meine Erfahrungen aus der Vergangenheit, meine Erwartungen an die Zukunft und mein Erleben im „Jetzt und Hier“ in einen einigermaßen sinnvollen Zusammenhang stelle. Was Ihnen wie eine Selbstverständlichkeit erscheint – es ist ja ein permanent erlebter Automatismus – ist überhaupt nicht trivial. Wir waten dabei durch eine ungeheure Datenflut. Wenig davon verarbeiten wir ganz bewusst. Weil wir aber zigtausend Mal mehr Informationen verarbeiten müssen als unsere Großeltern, müssen wir diese Flut ständig einer Art von „Wahrscheinlichkeitsrechnung“ unterwerfen. Sequenziell abarbeiten können wir die Informationen nicht mehr. In Echtzeit nach Wichtigkeit und Wertigkeit ordnen auch nicht. Berechnen schon gar nicht. Was machen wir also? Wir vertrauen unserer Intuition, in der Hoffnung, sie würde alle unbewussten und bewusst aufgenommenen Informationen richtig ordnen. Dieser Vorgang wird nicht „gedacht“ – er „passiert“ irgendwie. Ist er aber auch von Manipulatoren beeinflussbar? Selbstverständlich. Sehr einfach sogar. Ein Arbeitsloser wird sicher anders über die Arbeitslosenstatistik nachdenken als jemand, der Arbeit hat. Wer sich gerade an der Börse verzockt hat, sieht die Zukunft des Aktienmarktes sicher negativ. Das unmittelbare Erleben verführt uns dazu, Dinge sehr subjektiv zu beurteilen. Wir neigen dazu, die Vielzahl von Informationen dann äußerst selektiv zu ordnen und zu verbiegen, so, dass sie im Zusammenhang zu einer zufälligen Lebenssituation in einer einigermaßen sinnvollen Beziehung stehen. Wenn diese subjektive Beurteilung von einem Manipulator erst erkannt und dann noch bestätigt wird, dann kann er sie deutlich verstärken und für seine Zwecke einsetzen.

Perception is Reality

„Das Leben ist ungerecht – alle denken nur an sich – die Reichen schröpfen die Armen – Zufriedenheit ist ein sehr ungleich verteilter Wert – Glück haben nur die anderen.“ Vorsicht vor Manipulatoren, die Sie in einer momentanen Lebenskrise erwischen. „Ja – da haben Sie völlig recht“ ist der Einstiegssatz für eine handfeste Manipulation. Wenn ich gerade (aus purem Zufall) eine Pechsträhne habe, dann bin ich solchen Bestätigungen meiner momentan negativen Weltsicht gegenüber sehr viel anfälliger.

Das Buch zum Thema


» Mehr Infos

Egal, was ich an konkreten Informationen dazu eigentlich zur Verfügung hätte. Wir bewerten sie eben anders. Oder ignorieren sie schlicht. Ihre Antwort auf das harmlose: „Na – wie geht‘s Ihnen heute?“ gibt dem aufmerksamen Manipulator erste Hinweise auf Ihre momentanen Befindlichkeiten. Er kann daraus ziemlich einfach heraushören, wie Sie Ihre momentane Leistungsfähigkeit einschätzen. Oder Ihre Leistung relativ zu anderen Menschen. Er weiß auch: Jemand, der ziemlich arrogant – oder hochmütig – daherkommt, leidet oft unter Selbstüberschätzung, weil er damit seine Unkenntnis oder Schwäche kompensieren muss. Jetzt wird der Manipulator keinesfalls objektiv überprüfbare Fakten besprechen wollen. Zum Beispiel durch Sachlichkeit versuchen nachzuweisen, dass die momentane Lebenssituation nicht der eigenen Unfähigkeit geschuldet ist – sondern eher zufällig eingetretenen Faktoren, die überhaupt nicht von mir beeinflussbar waren.

Der Fall der Mauer hat Hunderttausende in die Arbeitslosigkeit geführt und war sicher zu diesem Zeitpunkt nicht vorhersagbar. Trotzdem fühlten sich viele nicht als Opfer der Umstände, sondern stellten ihre eigenen Fähigkeiten infrage.

Nein – der Manipulator wird uns in unserer völligen Fehleinschätzung einer Situation noch bestätigen. In aller Unsachlichkeit. Damit er sein Ziel erreicht. Ihnen zum Beispiel einen Lehrgang „zur Persönlichkeitsentwicklung“ zu verkaufen oder (schlimmer noch) Ihnen einen wertlosen „Selbsterfahrungs-Kursus“ aufzuschwatzen. Kaum ein Mensch ist in der Lage, eine realistische Einschätzung seiner Lebenssituation abzugeben. (Vielleicht ist das manchmal auch ganz gut so …) Wir sind aber unerschütterlich fest davon überzeugt, dass unsere Einschätzung völlig richtig ist und wir aufgrund dieser Einschätzung hinlänglich genug Informationen verarbeitet haben, um eine rationale Entscheidung zu treffen. Ein anderer Ausdruck für die Manipulation durch Selbstüberschätzung ist Overconfidence Bias. Vermessenheitsverzerrung.

Nervöse Frösche

Wir rechnen uns ja sogar ganz simple physikalische Gegebenheit so zurecht wie es unserem Erfahrungsschatz entspricht. Erscheint ein Gegenstand vor unseren Augen zum Beispiel scharf, dann schließen wir daraus, dass er näher ist als ein Gegenstand, der unscharf erscheint. Dass es auch einfach schlechte Sicht sein könnte, ignorieren wir. Wir suchen nach einfachen Regeln. Einfache Regeln sind schnell zu verarbeiten, führen aber oft zu kompletten Fehleinschätzungen. Für den Steinzeitmenschen mag das ganz anders gewesen sein. Einfache Regeln haben vermutlich täglich sein Leben zwei Mal gerettet. Heute? Wenn wir nicht in kompletter Verwirrung erstarren wollen, dann müssen wir die Datenfluten geordnet kriegen. Wir gehen sonst unter.

Vorsicht also vor Manipulatoren, die Sie in einer momentanen Lebenskrise erwischen (das Leben ist sowieso eine einzige Krise). „Ja – da haben Sie völlig recht“ ist der Einstiegssatz für eine handfeste Manipulation. Er weiß ja ganz genau: „Wer nicht tanzen kann, schimpft auf die Musik.“

Wir sind viel zu schnell im Abgeben von Werturteilen. Diese Unfähigkeit, Realitäten vorurteilsfrei zu erkennen, geht einher mit der Überschätzung unserer Prognosefähigkeit. Können wir Fehlentscheidungen erkennen, auf die wir zusteuern? Sicher können wir das. Dann, wenn es meistens zu spät ist und die Realität uns mit der Nase in einen Haufen Sch… drückt. Das überzogene Konto zum Beispiel. Dann neigen wir wie nervöse Frösche dazu gegenzusteuern. Und natürlich führt das zu Ausschlägen, die genauso irreal sind. Es gibt tatsächlich eine Theorie der „nervösen Frösche“ in der Verhaltensökonomie. Sie beschreibt exakt die Phänomene, von denen Sie hier lesen: Pendelartige Überreaktionen, die sich hochschaukeln und mit den Ursachen nur noch wenig zu tun haben.

„Nein – Peterchen – heute gibt es kein Eis!“

Fassen wir zusammen:

  • Wir verfügen heute über erheblich mehr Informationen als uns manchmal gut tut.
  • Wir neigen stark dazu, diese Informationen so zu ordnen, wie es unserer momentanen Lebenssituation oder sogar Stimmung entspricht.
  • Wir überschätzen unsere Prognosefähigkeit völlig, weil wir die Wahrscheinlichkeiten des Eintretens von bestimmten Ereignissen so „berechnen“, wie es uns in den Kram passt.
Teilen

Dieser Artikel kann nicht kommentiert werden.