Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich kann das Wort Transformation bald nicht mehr hören. Es wird inflationär gebraucht, von Politikern vor allem, aber auch in Unternehmen, und dort besonders in den Personalabteilungen. Sie alle transformieren: ihre Unternehmen, die Lieferketten, die Gesellschaft, die Menschen. Immer die anderen, nur selten sich selbst. Aber geht das überhaupt? Kann man andere transformieren? Wie funktioniert Transformation eigentlich?
Über Transformation wird geredet, als sei es etwas, was man machen kann, vorgeben, verordnen, anweisen und bestimmen gar. Seien es die Herausforderungen gegen den Klimawandel, die Energiewende, die Einführung künstlicher Intelligenz, Digitalisierung, das bargeldlose Bezahlen mit Handy oder die Einführung einer neuen Software im Unternehmen, alles Transformation! Aber damit beginnt eben das Missverständnis, denn all das, was bei diesen Dingen abläuft sind schlicht und ergreifend wissenschaftliche, technische, geschäftliche und/oder organisatorische Leistungen mit mehr oder weniger Innovationsanteil. Sie mögen schwierig sein, komplex und mitunter unlösbar, aber Transformation sind sie nicht. Sie lösen – eventuell – Transformation aus. Das ist ein wesentlicher Unterschied. All diese Aktivitäten verlaufen „im Vordergrund“, auf mehr oder weniger offener Bühne. Sie sind planbar, steuerbar, können meist exakt beschrieben, gemessen und dokumentiert. Sie lassen sich quantifizieren, kontrollieren und nachverfolgen.
Transformation (dagegen) läuft „im Hintergrund“.
Sie ändert Verhalten, Gewohnheiten, Denken, Werte, Strukturen, Sinnvorstellungen, Ziele, Geschäftsmodelle, Kräfteverhältnisse zwischen Akteuren und viele andere, sehr grundlegende und weitreichende Punkte. Transformation verändert das soziale System, die Menschen in den Unternehmen, die Gesellschaft. Sie zielt auf Beziehungen, auf die Formen des Zusammenlebens und auf das Bewusstsein der Menschen.
In den letzten drei Jahrzehnten habe ich einige wirkliche Transformationsprozesse als Beteiligter, als Akteur und in verantwortlicher Position erlebt. Dabei habe ich Erfahrungen gesammelt und einige Erkenntnisse gewonnen, die ich hier komprimiert darlegen will.
#1 Transformation hat Disruption zur Voraussetzung
Ohne plötzliche, erschütternde, revolutionäre Veränderung der Bedingungen, unter denen „das Leben so dahinläuft“ wird es keine Transformation geben. Wozu auch? Das Trägheitsgesetz gilt nicht nur für unbelebte Materie, sondern auch in sozialen Systemen, in der Gesellschaft, in Unternehmen.
#2 Das konkrete Ergebnis ist nich bestimmbar
Das konkrete Ergebnis der Transformation ist vorher nicht sicher bestimmbar. Die Welt sieht nach der Transformation anders aus als vorher, aber niemand (!) kann wissen, wie die neue Welt wirklich aussehen wird. Es ist vermessen, wenn Politiker oder Wirtschaftsführer uns ihre Visionen oder Mutmaßungen als Zukunft verkaufen.
#3 Transformation geschieht
Transformation kann man nicht „machen“, sie geschieht. Jedes soziale System, und genau und nur darin findet Transformation statt, passt sich an die Bedingungen an, unter denen es existiert, und zwar so schnell und so weit, wie es für die Bedingungen adäquat ist. Da lässt sich nichts vorgeben, da kann man keine Transformationsziele oder Termine setzen. Transformation kann man nicht bestimmen und nicht fordern. (Das heißt, man kann das natürlich alles machen, aber es ist Zeitverschwendung und wirkungslos.)
#4 Man kann Transformation nur begleiten und moderieren
Aber Vorsicht, auch hier ist wieder die Falle der Vermessenheit aufgestellt. Wer Moderation als Richtungsbestimmung versteht, bestimmte Ziele im Kopf hat und diese durchsetzen will, ein ganz konkretes Ergebnis erwartet, der wird scheitern. Transformationsmoderation kann und muss sich auf eine einzige Sache konzentrieren: Sie muss die Kommunikation zwischen allen Beteiligten ermöglichen, in Gang setzen und durch Impulse beleben. Es geht dabei nicht darum, dass der Transformationsmoderator selbst kommuniziert, sondern er muss dafür sorgen, dass die Betroffenen kommunizieren. Das ist sein Job, nicht mehr und nicht weniger.
# 5 Zurückzuhalten, zuzuhören, zu vermitteln
Weil das alles so ist, besteht die Kernkompetenz eines Transformationsmoderators darin, sich zurückzuhalten, zuzuhören, zu vermitteln. Er muss das Wesen und das Funktionieren von Systemen verstehen. Er gestaltet das Kommunikationsfeld innerhalb des Systems und nach außen.
Der Machthaber, also der Eigentümer oder der Vorstand im Unternehmen, die Regierung oder der Minister, sollten sich in die Transformationsprozesse nicht einmengen, weil sie automatisch versuchen werden, sie zu bestimmen. Sie haben stattdessen die Aufgabe, die Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Das allein ist Herausforderung genug.
Wird Transformation in diesem Sinne verstanden und praktiziert?
Nein, natürlich nicht. Was wir täglich bei den eingangs genannten Beispielen gesellschaftlicher Herausforderungen beobachten können, sind Vorgaben, Erwartungen, Appelle, Anweisungen, Gängelei und die Arroganz der Macht, die in dem Glauben besteht, zu wissen, was in Zukunft gut und richtig ist. Damit jedoch wird die zweifellos erforderliche Transformation eher behindert. Es fehlt das Vertrauen in die Kraft und die Veränderungsfähigkeit der Menschen. Stattdessen glauben die Inhaber der Macht, auch die Inhaber des Wissens über die Zukunft zu sein. Weit gefehlt. Stattdessen versäumen sie ihre eigentlichen Pflichten, nämlich die Bedingungen zu gestalten für Bildung und Sicherheit. Den Rest erledigen dann schon die Menschen. So geschieht Transformation zu etwas Neuem, was wir alle heute nicht kennen können.
ist Physiker, Unternehmer und Autor. Er lebt in der Nähe Hannovers und arbeitet als Impulsgeber und Sparringspartner für Unternehmer, Führungskräfte und Politiker.