Tierische Mitarbeiter

Wer kennt sie nicht, die Schweine, Affen und Nilpferde unter den Kollegen oder seinen Mitarbeitern. Solche recht humorvollen Zuschreibungen sorgen immer für Heiterkeit, sofern sie andere (Mitarbeiter) treffen. Doch welches Tier charakterisiert wohl den Chef? Die Antwort sollte man besser für sich behalten.

Lange Zeit sah ich bei einigen meiner Kunden aufwendige Kupferstiche neben Eingangstüren zu Konferenzräumen. Eine Dreingabe zu einem Seminar mutmaßte ich. Man musste herantreten, um zu erfassen, was da dargestellt war: Angeordnet um einen Tisch saßen karikierte Tiere. Schwein, Fuchs, Giraffe, Löwe, Affe, Nilpferd und so weiter. Darüber fanden sich Beschreibungen. Das Schwein beispielsweise war der Ablehnende, der Affe der Streitsüchtige, das Nilpferd der Uninteressierte und so fort. Bei erster Gelegenheit fragte ich einen Vorgesetzten, mit dem ich mich schon öfter unterhalten hatte, was das zu bedeuten hätte. »Na ja«, gab er zurück, »Sie kennen das ja. Man findet diese Rollen in jedem Meeting wieder.« Da wir uns schon länger kannten, erlaubte ich mir die Frage: »Und welches Tier sind Sie?« Wir haben noch recht angeregt über die Steuerung von Meetings diskutiert, aber ein Hauch von Kränkung war nach meiner Frage doch auf seinem Gesicht zu sehen gewesen. Bei anderen mögen solche humorvollen Zuschreibungen lustig sein, bei uns selbst aber spüren wir deutliche Abwehr. Das liegt nicht nur am Vergleich mit Tieren, sondern auch an der absurden Festlegung auf genau eine Haltung. Die Ente (der Redselige) kann aber gleichzeitig der kreativste Teilnehmer sein, der schon mehrmals das Team aus emotionalen Sackgassen retten konnte, und er mag sich in anderem Kontext sehr vorsichtig und zurückhaltend geben. Ein einziges Etikett für einen Menschen! Das ist zu wenig, daher falsch, und es ist verletzend! Das lag zwei Jahrzehnte zurück, und die Karikatur war mir in letzter Zeit nicht mehr begegnet, was aber noch lange nicht heißt, dass die Verlockung, Menschen mit fragwürdigen oder gar tierischen Etiketten zu versehen, verschwunden wäre. Ganz im Gegenteil, Bücher die das tun, befinden sich häufig unter den Bestsellern! Euphemistisch auch als Business-Fabeln bezeichnet.

Nur zwei Beispiele möchte ich nennen: Die Mäuse-Strategie für Manager (Johnson 2000). Zwei Mäuse, Grübel und Knobel, bemerken, dass ihnen der Käse ausgeht. Das hatten sie nicht erwartet, denn sie hielten den Käsevorrat für selbstverständlich. Knobel läuft los, und Grübel grübelt. Knobel sinniert: »Je eher du den alten Käse sausen lässt, desto eher findest du neuen«. Alexander Jung (2001) rezensiert im SPIEGEL ONLINE: »Das also ist der Stoff, der das Denken der Top-Entscheider aus Politik und Wirtschaft bestimmt und ihr Handeln leitet. Nicht etwa die messerscharfe Studie eines McKinsey-Eierkopfs, sondern eine schlichte Fabel« und nennt das Buch albern. Und weil sich das alles so grandios verkauft (inklusive T-Shirts, Videos, Aufklebern und so fort) textet Jung: »Käse bringt Mäuse«.

Es geht aber um mehr als um die Frage des Niveaus. Vergleicht man das Menschenbild der großen Fabel-Autoren Äsop und La Fontaine mit dem Johnson’schen Werk, so findet man sofort den Unterschied: Die klassischen Fabeln (bei Äsop drei oder vier Absätze lang) entlarven das Menschliche im Menschen. Wir fühlen uns erkannt und ertappt. Wir alle! Das Despektierliche findet bei den großen Autoren zu Recht keinen Platz. Die »Mäuse-Strategie für Manager« – für Manager(!) – trennt aber. Als die Chefs können wir aus den luftigen Höhen des Olymp herab beobachten, wie sich unsere Mitarbeiter-Mäuse abmühen, die doofen und die rödelnden. Trotz platter Holzhammer-Metaphorik, die uns an der Oberfläche eine Verantwortungsgeschichte einbläut, dient sie sich uns unterschwellig als Schuldzuweisungsplattform an: Die Mäuse sind schuld, wenn’s nicht klappt. Führungskräfte, die diesem Menschenbild folgen, werden (hoffentlich) nicht zu weit kommen.

Das zweite Beispiel: Das Hirten-Prinzip. Sieben Erfolgsrezepte guter Menschenführung (Leman/Pentak 2005). Der Vorstand eines großen Unternehmens erinnert sich, wie ein Professor ihn als jungen Mann in die Geheimnisse der Führung eingeweiht hat. Von da an geht es um Hirten (Vorgesetzte) und Schafe (Mitarbeiter). Wir kennen das Bild auch aus der Bibel (vielleicht ist das so gewollt), aber da war von Gottes Sohn und von Gläubigen die Rede. Das Buch ist ohne Frage deutlich differenzierter verfasst als sein Mäuse-Pendant. Es finden sich auch Haltungen, die mit Empathie, Hinsehen, Motivation und Identifikation beschrieben werden. Und doch gerinnt das sicher auch in vivo vorzufindende hierarchische Gefälle zur gönnerhaften Attitüde. Das Herz des Hirten gilt der Herde. Es gibt den, der es besser weiß, dessen Güte die Sicherheit des Weideplatzes gewährleistet. Hier die Prinzipien im Original:

  1. Kenne immer genau den Zustand deiner Herde
  2. Entdecke das Format deiner Schafe
  3. Hilf deinen Schafen, sich mit dir zu identifizieren
  4. Gewährleiste die Sicherheit deines Weideplatzes
  5. Dein Stab, mit dem du führst
  6. Dein Stecken, mit dem du korrigierst
  7. Das Herz des Hirten

»Jetzt müssen Sie ihm eine Marke verpassen!« Unser Führungszögling schreckt zurück, als er das kalte Eisen der Lochzange spürt, mit der er das Ohr des Schafes perforieren soll. »Man braucht das dazu, um das Schaf als zu dieser Herde gehörig zu markieren.« Ein paar Absätze später: »Reden wir jetzt über die Herde, die Sie bei General Technologies werden hüten müssen.« Und wieder ein paar Seiten später: »Bei Schafen ist es so, dass sie dazu neigen, sich immer nur auf das Gras zu konzentrieren, das sie direkt vor dem Maul haben.« Dann führt der Professor seinen Schüler in den Gebrauch des Stabes und des Steckens ein; mit dem gebogenen Stab zieht man das Schaf am Hals wieder zurück zur Herde, wenn das nicht reicht, braucht man den Stecken. Und so weiter und so fort. Selbst wenn die Erkenntnisse richtig wären, die Leman und Pentak verkünden, so bleibt mein klarer Vorwurf an die Geschichte: Sie biedert sich subtil (?) durch die Suggestion an, der Vorgesetzte sei besser und weitblickender als die Herde seine eingepferchten Mitarbeiter. Dies halte ich für eine unlautere, weil in ihrer Substanz menschenverachtende Form der Argumentation. Wen wundert es da noch, dass das Cover des Buches eine Schafherde ziert.

Um ein fragwürdiges Menschenbild zu pflegen, braucht man allerdings nicht immer Tiermetaphern. Es geht auch ohne. Immer dann, wenn Mitarbeiter so oder so behandelt werden sollen, wenn Führung wie ein Kuchenrezept oder ein Chemie-Experiment beschrieben wird, man also so tut, als entstammten Chef und Mitarbeiter verschiedener Seins-Welten oder gar Spezies, dann liegt etwas im Argen. Als Mitarbeiter brauche ich keine Behandlung, sondern ich will ernst genommen werden!

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