„Die sind primär mit sich selbst beschäftigt und verlieren uns Bürger zunehmend aus den Augen.“ Dieses Gefühl haben aktuell viele Menschen bezogen auf die Bundesregierung. Also kehren sie ihr den Rücken zu. Dieselbe Gefahr droht Unternehmen.
In politisch und wirtschaftlich unsicheren Zeiten sehnen sich viele Menschen nach einer „starken Führung“ – genauer gesagt nach einer Führung, die ihnen Halt und Orientierung gibt, sodass sie trotz aller Widrigkeiten ihre Zuversicht nicht verlieren. Dieses Gefühl kann ein Führungsteam Menschen nur vermitteln, wenn es sich nach außen erkennbar
• bei seinem Handeln von einer gemeinsamen Vision leiten lässt und
• sich dabei auf einen gemeinsamen Wertekanon stützt.
Warum Einigkeit in der Führung so wichtig ist
Diesen Teamspirit, der zu einem gemeinsamen Ziehen am selben Strang führt, vermissen aktuell viele Bundesbürger bei unserer Regierung. Stattdessen werden sie permanent Zeugen von Streitigkeiten in der Ampel-Koalition. Und kaum ist ein Zwist scheinbar beigelegt und verkünden die Regierungsvertreter öffentlich „Künftig agieren wir stärker als Team“ folgt bereits der nächste Streit.
Die Regierungsparteien sind sich einig, dieses Gefühl wird den Bürgern hingegen selten vermittelt; stattdessen werden wider alle Willenserklärungen immer wieder neue Differenzen zur Schau gestellt. Dabei entsteht Vertrauen in eine Führung nur, wenn ein Top-Team auch wirklich als Team agiert; also, wenn man bei seinem Handeln trotz aller punktuellen Meinungsunterschiede unter anderem
- eine wechselseitige Wertschätzung und
- das Bestreben, gemeinsam die anstehenden Aufgaben zu lösen, spürt.
Auch bei meiner Arbeit als Managementberaterin und Führungskräftetrainerin registriere ich immer wieder, wie wichtig ein solcher Teamspirit ist, der auf einer gemeinsamen Vision und Wertebasis basiert – und zwar unabhängig davon, wie stark bei den Debatten hinter verschlossenen Türen, wenn das Top-Team tagt, die Fetzen fliegen. Zum Beispiel darüber, wie
- das Unternehmen sich künftig im Markt positionieren sollte,
- wie es mit solchen Themen wie Künstliche Intelligenz umgehen sollte,
- und, und, und…
Sich auf die gemeinsamen Werte und Ziele besinnen
Zum Glück ist dies vielen Unternehmensführern bewusst. So antwortete mir denn auch der CEO eines Konzerns, als ich ihn vor einiger Zeit fragte, wie er trotz der vielen Herausforderungen, vor denen seine Organisation steht, diese zusammen hält: „Indem wir uns im Management-Team bei Konflikten immer wieder darauf besinnen, was unsere gemeinsamen Werte und übergeordneten Ziele sind; außerdem, indem wir darauf achten, dass unsere Werte nicht nur in unserem Führungsteam, sondern auch im Führungsalltag gelebt werden und wir nach außen stets eine solche Einigkeit bewahren, dass zwischen uns scheinbar kein Blatt Papier passt.“
Genau diese Art von Zusammenhalt – getragen von gemeinsamen Werten und Zielvorstellungen – fehlt aktuell unserer politischen Führung. Und das hat Konsequenzen. Die Umfragewerte von Bundeskanzler Olaf Scholz & Co sinken immer weiter in den Keller, während die AfD erstarkt. Und seit Monaten wird darüber debattiert: Bricht die Koalition bald auseinander? Wäre es nicht besser, Neuwahlen durchzuführen? Das heißt, eine wachsende Zahl von Bürgern hat das Gefühl: Unserer Regierung fällt es zunehmend schwer, etwas zu bewegen, selbst wenn sie etwas bewegen möchte und sich intensiv darum bemüht. Keine idealen Voraussetzungen, um eine Zeitenwende zu vollziehen!
Zuversicht und Veränderungswillen ausstrahlen
Studien belegen: Menschen werden von Positivität angezogen. Deshalb wird es, wenn
- Konflikte und Streitereien, die auch zu emotionalen Verletzungen führen, und
- Versuche, sich auf Kosten anderer zu profilieren,
- die Atmosphäre vergiften, für ein Führungsteam extrem schwierig,
- Menschen zu inspirieren,
- sie als Mitstreiter zu gewinnen und
- bei ihnen die nötige Veränderungsenergie zu erzeugen.
Wenn ein Führungsteam selbst kein solidarisches Verhalten, bei dem jeder dem anderen auch mal Zugeständnisse macht, zeigt, dann kann es ein solches Verhalten auch nicht vom „Fußvolk“ erwarten. Wenn es selbst nicht die Zuversicht ausstrahlt „Wir erreichen unser Ziel, wenn …“, dann kann es auch nicht erwarten, dass das „Fußvolk“ seine Ängste beiseite schiebt und die Schaufel in die Hand nimmt, um die nötigen Veränderungen zu vollziehen. Sowohl für die Politik als auch Wirtschaft gilt: Im Verhalten der Bürger bzw. Mitarbeiter spiegelt sich weitgehend das Verhalten der Führungsmannschaft wider.
Sich Zeit für die Menschen nehmen
Hinzu kommt: Haben die Betroffenen – seien dies Mitarbeiter oder Bürger – das Gefühl „Unsere Führung ist primär mit sich selbst beschäftigt“, dann entsteht bei ihnen auch fast automatisch das Gefühl
- „die da oben interessieren sich nicht mehr für uns“ bzw.
- „die da oben nehmen unsere Bedürfnisse nicht mehr“ wahr,
und zwar unabhängig davon, wie oft die Verantwortlichen abends zum Beispiel als Politiker (nach einem gewiss anstrengenden Arbeitstag) in Talkshows sitzen und dort versuchen, den Bürgern ihre Entscheidungen und Handlungen zu erläutern.
Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Wird in einem Führungsteam, weil eine gemeinsame Wertebasis und Vision (und eventuell auch das nötige wechselseitige Vertrauen) fehlen, auch das Treffen von Entscheidungen schwierig, dann entsteht automatisch ein Drang zum Durchreagieren, also Entscheiden ohne Einbezug der Betroffenen. Das heißt, es wird weitgehend nur noch mit Vorgaben regiert bzw. geführt bzw. gemäß der Maxime: „So haben wir es nun mal entschieden, also machen wir es auch so – Punkt. Aus. Basta.“
Keine unnötigen Widerstände produzieren
Das erzeugt bei allen Betroffenen, denen ihre persönliche Autonomie wichtig ist, das Gefühl: Hilfe, meine (Entscheidungs- und Handlungs-)Freiheit und Selbstbestimmung werden verletzt bzw. sind bedroht. Also reagieren sie mit Ablehnung oder gar Widerstand. Dieses Phänomen, das in der Sozialpsychologe als Reaktanz bezeichnet wird, konnte man in den zurückliegenden Jahren außer in der Corona-Zeit, auch in der Debatte um den Einbau von Wärmepumpen gut beachten. Bei ihr hatten nicht wenige Bürger das Gefühl: „Die Politiker mischen sich zu stark in unser Leben ein; sie schränken unsere Freiheit ein.“ Also zeigten sie Widerstand.
Ähnliche Probleme drohen aktuell vielen Unternehmen, zum Beispiel, wenn es um die Frage geht, wie nutzen wir die Künstliche Intelligenz in unserer Organisation – ebenfalls ein Thema, bei dem sich viel Mitarbeitende nicht nur in ihrem Recht auf Selbstbestimmung, sondern sogar existenziell bedroht fühlen. Deshalb besteht auch hier die Gefahr, dass die Unternehmen auf erhebliche Widerstände bzw. Akzeptanzprobleme stoßen, sofern ihre Führungskräfte
- kein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Mitarbeitenden haben,
- sie nicht ausreichend in ihre Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse einbinden, so dass die Betroffenen das Gefühl haben „Ich werde gehört“ und
- sie nicht angemessen über ihre Entscheidungen und Vorhaben informieren.
Dies gilt es zu vermeiden.
„Wie der Herr, so’s Gescherr“
Generell gilt: Wie offen Menschen für Veränderungen sind und wieviel Bereitschaft sie zur Veränderung zeigen, hängt weitgehend von der Qualität ihrer Führung ab. Haben sie das Gefühl, meine Wünsche und Bedürfnisse werden wahr- und ernstgenommen und fließen in die Entscheidungen ein, entwickeln sie auch Vertrauen in ihre Führung sowie deren Ideen und Vorhaben.
Entsprechend wichtig ist ein Führungsstil, der
- gezíelt den Dialog bzw. Diskurs mit den Betroffenen sucht,
- sich erkennbar an gemeinsamen übergeordneten Werten orientiert,
- die Mitarbeitenden bzw. Menschen zu Beteiligten macht und ihnen einen konkreten Weg zum Ziel aufweist und
- sie beim Erwerb neuer Kompetenzen und Einüben neuer Verhaltensweisen unterstützt.
- Denn nur mit ihm können die Betroffenen – seien dies Mitarbeitende oder Bürger – als Mitstreiter gewonnen und die Herausforderungen unserer Zeit wirklich gemeistert werden; unter anderem, weil bei ihnen dann das Gefühl entsteht „Wir sitzen alle im selben Boot“ und sind ein Team bzw. eine Schicksalsgemeinschaft.
Barbara Liebermeister ist Leiterin des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt, das u.a. im Frühjahr die Studie „Alpha Collaboration – Führung im Umbruch; Perspektiven für die Zusammenarbeit der Zukunft“ veröffentlicht hat.