Mehr Mut zum Risiko und zur radikalen Innovation

Unternehmen müssen anfangen, wirklich neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und nicht nur das Bestehende verbessern. Das fordert Jens-Uwe Meyer, einer der innovativsten Wirtschaftsvordenker in seinem neuen Buch „Radikale Innovation“. Dazu müssten sie Mitarbeitern mehr Freiräume geben, um Neues auszuprobieren, ihre verkrusteten Strukturen aufsprengen und es auch einmal riskieren, zu scheitern. Jens Grübner sprach mit dem Autor.

Wie kamen Sie auf die Idee, ein – wie Sie es nennen – Handbuch für Marktrevolutionäre zu schreiben?

Ich habe in den letzten Jahren drei Dinge beobachtet. Zum einen, dass viele Unternehmen trotz immenser Innovationsbemühungen immer nur eine Variante des Bestehenden bekommen. Zweitens, dass viele Unternehmen die Kreativität ihrer Mitarbeiter erdrücken statt sie zu fördern und drittens, dass viele Geschäftsführer und Vorstände genau damit unzufrieden sind. Der ausschlaggebende Punkt war, dass ich in einer Woche dreimal das gleiche Gespräch mit Vorständen verschiedener Unternehmen geführt habe. Alle sagten mir: „Wir müssen weiterdenken. Wir schaffen es aber nicht.“

Das Buch zum Thema


» Mehr Infos

Wie genau können Unternehmen weiterdenken?

Im Buch beschreibe ich einen Weg, der sich in zahlreichen Projekten bewährt hat, vor dem viele Unternehmen aber momentan zurückschrecken. Visionäre Ziele formulieren, von denen noch nicht klar ist, ob sie wirklich erreicht werden können, kleine entschlossene Teams voller Leidenschaft an diesen Zielen arbeiten lassen, die eigenen Prozesse sprengen und es zulassen, dass Innovationsteams eigene Wege gehen, mehr Mut zum Experimentieren und das eigene Scheitern – wenn es nicht zu vermeiden ist – feiern statt bestrafen.

Das Buch zum Thema


» Mehr Infos

Ist das nicht weit weg von der Realität?

Ganz und gar nicht. Wir schauen heute immer wieder erstaunt auf Unternehmen wie Google und fragen uns: „Wie machen die das?“ Genau so. Als Google Wave – eines der großen teuren Entwicklungsprojekte von Google – scheiterte, gab es eine Abschiedsparty. In anderen Unternehmen wären Köpfe gerollt. Der indische Tata-Konzern zeichnet sogar gescheiterte Innovationen aus: als Belohnung dafür, dass die Mitarbeiter versucht haben weiterzudenken.

Warum fehlt dieser Mut in Unternehmen?

Weil wir eine Managergeneration haben, die mit Methoden der Achtziger- und Neunzigerjahre ausgebildet wurden. Ich selbst gehöre zu dieser Generation. Mein MBA-Studium bestand zu 90% aus Prozessen. Die meisten Prozesse dienen dazu, Dinge besser zu organisieren und Fehler zu vermeiden. Diese Kultur der Fehlervermeidung ist in vielen Bereichen sehr gut – nur eben nicht im Bereich von wirklich Neuem. Dort gehören Fehler zum Lernprozess dazu.

Beginnt ein neues Zeitalter im Management?

Zumindestens ein vielfältigeres. Die alten Methoden haben weiterhin ihre Berechtigung, doch ich kenne viele Unternehmen, die zurzeit radikal umdenken und sich für Neues öffnen. Man muss nur einmal sehen, wie DHL die Packstationen entwickelt hat. Das war ein Guerilla-Team von vier Personen am Anfang, die konsequent sämtliche Regeln gebrochen haben. Solche Ansätze werden wir in Unternehmen künftig häufiger finden.

In Ihrem Buch haben Sie eine besondere Spezies Unternehmen entwickelt: Innosaurier. Was sind das für Unternehmen?

Innosaurier sind vor allem eines: behäbig. Sie haben sich durch eine teilweise ausufernde Bürokratie selbst gelähmt. Vor allem dort, wo es darum geht, kreative neue Lösungen zu finden, haben sie Verwaltungsprozesse etabliert, statt ihre Mitarbeiter zu inspirieren. Bei Innosauriern wird Neues systematisch zerredet. Es wird solange analysiert, bis von der ursprünglichen Idee fast nichts mehr übrig ist. Am Ende geht das Unternehmen nur kleine Schritte. Anders gesagt: am Anfang will man zum Mond fliegen, am Ende reicht es gerade für eine Pauschalreise nach Mallorca.

Sie haben im Buch auch das Beispiel von Saturn und Media Markt genannt. Es sind noch beides eigentlich innovative Unternehmen, oder nicht?

Ja, beide Unternehmen sind hochinnovativ innerhalb des Bereichs, in dem sie stark sind: Einzelhandel mit Filialen vor Ort. Media Markt und Saturn wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in 10 Jahren noch geben, aber das große Wachstum findet derzeit woanders statt. Im Internet. Diesen Trend haben beide Unternehmen jahrelang systematisch verpasst. Seit Mitte letzten bzw. Anfang dieses Jahres haben sie zwar Onlineshops, doch Hauptkonkurrenten wie Amazon haben mehr als 15 Jahre Vorsprung. Im Internet sind Saturn und Media Markt fast auf dem Niveau eines kleinen Handwerkers mit Onlineshop stehengeblieben. Die beiden Märkte sind ein gutes Beispiel dafür, wie Unternehmen gleichzeitig hochinnovativ sein können und trotzdem den Anschluss verpassen.

Das Buch zum Thema


» Mehr Infos

Wie kommt dieser Widerspruch zustande?

Es passiert dann, wenn sich Unternehmen ausschließlich auf eine Art von Innovation konzentrieren: inkrementelle. Die grundsätzliche Geschäftsidee wird nicht in Frage gestellt, sondern immer nur weiterentwickelt. Es werden keine neuen Märkte entwickelt, sondern nur die alten mit immer besseren Methoden bedient.

Sie sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Innovationsfalle“. Wie viele Unternehmen stecken dort drin?

Wir haben im letzten Jahr eine Studie unter 200 Innovationsverantwortlichen durchgeführt. Grob kann man sagen: drei von vier Unternehmen konzentrieren sich ausschließlich auf inkrementelle Innovation. Damit stecken sie nicht automatisch in der Falle, aber sie sollten überprüfen, ob sie nicht wertvolle Chancen verpassen oder sogar langfristig ihre Existenz aufs Spiel setzen.

Woran erkenne ich als Unternehmen, ob ich radikale Innovationen brauche?

Im Wesentlichen sind es drei Faktoren: Wenn Sie als Unternehmen nicht weiter wachsen wollen, ihre bestehenden Produkte und Geschäftsmodelle noch lange für sichere Einkünfte sorgen und die Märkte stabil sind, brauchen Sie über radikale Innovation gar nicht nachzudenken. Wenn Sie aber wachsen wollen, ihre Märkte gesättigt sind und sie das Gefühl haben, dass sich in Zukunft dramatisch etwas ändern könnte, ist radikale Innovation fast schon der einzige Weg.

Vielen Dank für dieses Gespräch.

Teilen

Dieser Artikel kann nicht kommentiert werden.