Manipulation Mindtime

Der Sekundentakt des Gehirns ist ein geniales Einfallstor für so manche Manipulation. Ganz gleich ob Sie durch die Abendunterhaltung Zappen oder einen Film sehen – einundzwanzig, zweiundzwanzig, CUT. Gut zu wissen – Denn diesen Effekt können sie in so manchen Alltagssituationen perfekt für sich arbeiten lassen.

„Guten Tag, dies ist eine automatische Ansage. Ich begrüße Sie auf dem Flug durch Ihr Leben. Sie befinden sich im Moment drei Sekunden hinter der Wirklichkeit. Es können im Laufe dieses Fluges ein paar Turbulenzen auftreten, die diesen Zeitraum etwas verlängern. Bitte bewahren Sie Ruhe. Es kann Ihnen außer ein paar Fehlwahrnehmungen nichts passieren. Fast nichts. Gleichzeitig möchte ich Sie darüber informieren, dass Sie ausgewählt wurden an einem neuen, sehr sicheren Testflug teilzunehmen. Dieser Flug heute wird nicht von einem Piloten gesteuert, sondern ausschließlich von einem technisch völlig ausgereiften Autopiloten. Im Cockpit sitzt niemand. Stewardessen sind gleichfalls nicht an Bord. Aber ich wiederhole es noch einmal ausdrücklich: Bitte seien Sie vollkommen ruhig, es wurde vorher alles genau getestet und es besteht keinerlei Grund zur Besorgnis. Bitte schnallen Sie sich jetzt an und genießen den Flug, Flug, Flug, Flug, Flug …“

Jetzt würden Sie gerne aussteigen. Oder? Geht aber nicht. Die Maschine rollt schon. Pech. Natürlich, das war ein Witz. Nur: Er ist nicht weit von der Wirklichkeit entfernt. Unser Gehirn arbeitet tatsächlich in einem bestimmten, rhythmischen Sekundentakt, der im Durchschnitt etwa drei Sekunden dauert. Wir fliegen ständig drei Sekunden hinter der Wirklichkeit her. Wie kommt das, welche Probleme treten dabei manchmal auf, und wie können wir vermeiden dadurch manipuliert zu werden?

Tick. Tack. Coca. Cola

Zuerst ein Gerücht und seine Widerlegung. Es geistert seit Langem durch die Gazetten – und nichts ist dran. Vance Packard, der Autor des Bestsellers „Die geheimen Verführer“, beschrieb es 1957. Seither wird es ständig kolportiert. Ein gewisser James M. Vicary sollte angeblich in Kinos – während des Hauptfilms – Werbespots eingeblendet haben, die nur drei Millisekunden dauerten, also weit unter der menschlichen Wahrnehmungsschwelle. „Trinkt mehr Coca Cola“ und „Esst mehr Popcorn“. Packard behauptete in seinem Buch, dass diese nicht bewusst wahrnehmbaren Werbeeinblendungen im Foyer des Kinos den Verkauf Coca-Cola um 18,1 Prozent und den Verkauf von Popcorn um 57,7 Prozent gesteigert hätten. Heerscharen von Psychologen haben dann dieses Experiment versucht zu wiederholen. Niemals gelang es aber, diesen Effekt auch nur ansatzweise zu replizieren. Schließlich musste der unglückliche Mister Vicary zugeben, dass die ganze Sache eine komplette Erfindung war – und er damit lediglich neue Kunden für seine Werbeagentur finden wollte. Das war ein Schlag für die Werbeforscher, die noch lange deswegen verspottet wurden.

Was ich hier beschreibe, bezieht sich auf etwas anderes. Neurowissenschaftler haben nachgewiesen, dass unser Gehirn ungefähr im Dreisekundentakt einen „Synchronisationslauf“ durchführt. Die meisten Entscheidungen fallen daher im Dreisekundentakt. Testen Sie sich selbst: Wenn Sie beim Fernsehen zappen, entscheiden Sie sich meist innerhalb von drei Sekunden, ob Sie umschalten oder nicht. In allen Kulturen dauern rhythmisch wiederkehrende Bewegungen nie länger als drei Sekunden. Winken, Kopfnicken, Händeschütteln; die Forschungsstelle für Humanethologie der Max-Planck-Gesellschaft hat es auf 250 Kilometern Film dokumentiert. Ein Starter beim 100-Meter-Lauf ruft: Auf die Plätze – fertig – los. Melodien sind gleichfalls zusammengesetzte Dreisekünder. Das Hauptmotiv eines Musikstückes wird nur dann populär, wenn man es in drei Sekunden pfeifen kann. In allen Sprachen lesen sich Gedichtzeilen innerhalb dieses Zeittaktes. Natürlich gibt es auch Entscheidungen, über die wir länger nachdenken. Aber dann formen sich die einzelnen Gedanken dazu in Dreisekundenabschnitten.

Wo laufen Sie denn? Ja wo laufen Sie denn?

Drei Sekunden lang sind also die Takteinheiten, in denen unser Bewusstsein die Gegenwart, unsere Realität, erlebt. Unser Gehirn ist dazu gezwungen, sich die Welt alle drei Sekunden neu zu konstruieren, da es in einem kürzeren Zeitraum nicht alle Informationen, die das Gehirn erreichen, zusammenfassen und entschlüsseln kann. Unmittelbar nach diesen drei Sekunden greift das Bewusstsein auf seine Erfahrungen zu und versucht die konstruierte Realität zu bewerten beziehungsweise einzuordnen. Eigene Fantasie und Imagination stellen sich ein und helfen dem Bewusstsein, seine Informationen als Realität zu begreifen. Am Rande: achten Sie einmal bei dem nächsten Hollywood-Film auf die Schnittsequenzen. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. CUT. Nächste Einstellung, Schuss oder Gegenschuss. Anderer Sprecher, anderer Schusswinkel, andere Szene. Trotzdem haben Sie nie das Gefühl, permanent in Ihrer Wahrnehmung unterbrochen zu werden. Das Gehirn fügt diese Bilder zu einem verwobenen Ganzen zusammen. Ob Hollywood-Regisseure etwas von Hirnforschung verstehen, weiß ich nicht. Aber nur in seltenen Fällen dauern Filmsequenzen länger als drei Sekunden.

Manipuliert uns das?

Nur wenn die Werbeagentur etwas von Psychologie und Neurowissenschaften versteht. Dann kann man Ihnen jeden Unsinn zeigen – solange er innerhalb von drei Sekunden getaktet ist. Also – auch zehn Mal drei Sekunden. Wichtig ist nur, dass eine Informationseinheit und das dazugehörige Bild in drei Sekunden abgeschlossen ist. Dann nehmen Sie den Werbespot im Unbewussten quasi automatisch auf. Mit diesem Wissen könnte man eigentlich alle Creativ-Directors in die Wüste schicken. Es kommt eben nicht darauf an, wie witzig oder bildgewaltig ein Spot daherkommt. Wichtig ist nur, dass man sich an ihn erinnert – und natürlich – dass er häufig genug gezeigt wird. Erinnert wird aber alles deutlich besser, was innerhalb dieser „Mindtime“ abläuft. Jetzt fragen Sie natürlich, ob dieser Effekt von Ihnen willentlich beeinflussbar ist. Leider nicht – an dieser Stelle kann ich Sie nur darauf aufmerksam machen, dass es dieses Phänomen gibt. Abstellen können Sie ihn nicht. Unmöglich. Forscher vermuten, dass der Dreisekundentakt notwendig ist, um so etwas wie Empathie aufzubauen, also einen gemeinsamen zwischenmenschlichen Nenner. Die meisten Menschen lassen sich bei jeder Handlungseinheit ziemlich genau drei Sekunden Zeit. Allen andersartigen rhythmischen Strukturen gibt unser Gehirn eine interne eigene Struktur, die nur innerhalb eines Intervalls von drei Sekunden Gültigkeit besitzt.

Stoppuhr raus!

Können Sie diesen Effekt denn wenigstens für sich arbeiten lassen? Ja – und das klappt ganz gut. In jeder Diskussion – vor allem wenn Emotionen im Spiel sind – wird man Ihnen erheblich mehr Aufmerksamkeit widmen, wenn Sie im Dreisekundentakt sprechen. Probieren Sie es mal. Man bekommt in „einundzwanzig/zweiundzwanzig/dreiundzwanzig“ ziemlich viele Wörter hineingepackt. Danach muss eine klitzekleine Pause kommen. Maximal eine Sekunde. (Haben Sie keine Angst, dass man Sie dabei für einen Sprachroboter hält.) Sie benutzen diesen Effekt auch nur, wenn Sie eine Aussage machen, die wirklich sehr wichtig ist und von der Sie möchten, dass sie quasi einen Meilenstein Ihrer Kommunikation bildet. Es ist erstaunlich, dass Menschen plötzlich ruhiger und aufmerksamer sind, wenn man Ihnen gelegentlich einen ganz wichtigen Punkt innerhalb dieser „Mindtime“ mitteilt. Wenige Menschen können sich diesem Effekt entziehen. Bei Autisten – oder umgekehrt bei den bedauernswerten Zeitgenossen, die unter der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) leiden – klappt das nicht. Warum, weiß niemand. Probieren Sie es. Der Erfolg ist wirklich durchschlagend.

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