Kritik würdevoll annehmen – Resonanz andersherum

Die Frage ist, wie ich mich idealerweise verhalte, wenn ich von anderen Kritik erfahre. Wie kann ich gute Resonanz herstellen und vermeiden, in die typischen uns innewohnenden Abwehrmechanismen zu verfallen? Wie kann ich durch mein Verhalten auf Kritik vielleicht sogar ein Vorbild für andere sein und so positiv mein Umfeld beeinflussen? Wie lasse ich mich selbst durch Kritik positiv bewegen?

Andere zu kritisieren, fällt uns meist leichter, als selbst kritisiert zu werden. Bei anderen (aus der eigenen Perspektive) Fehler zu sehen und diese anzusprechen, ist für viele Menschen angenehmer oder weniger unangenehm, als sich selbst eben solche einzugestehen. Um Kritik selbst überhaupt annehmen zu wollen und zu können, spielt die eigene Haltung und Lebenseinstellung eine zentrale Rolle. Ein egozentrisches Weltbild hilft hier genauso wenig wie der feste Glaube daran, die eigene Wirklichkeit sei die einzig richtige. Wir dürfen uns immer wieder darauf besinnen, dass bei einem auf den anderen gerichteten Zeigefinger bis zu drei Finger der Hand auf einen selbst zurück zeigen. Probiere das gern einmal aus. Daher sollten wir uns beim Kritisieren anderer Menschen immer auch fragen, welchen Anteil wir selbst daran haben, dass eine entsprechende Situation entstanden ist, wie sie entstanden ist. Meist gehören immer zwei dazu.

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Kritik nicht persönlich nehmen

Erhalten wir von anderen Kritik, glauben wir allzu oft, wir seien dadurch als Mensch infrage gestellt. Mir selbst geht es immer einmal wieder so. Kommt nach einem Vortrag ein Zuschauer auf mich zu »Herr Flimm, Ihr Vortrag hat mir grundsätzlich gut gefallen, dennoch hat mich die Präsentationsform persönlich nicht angesprochen«, weiß ich zwar eigentlich, dass das lediglich eine individuelle und bewertungsfreie Wahrnehmung ist und dass wir bei allem, was wir tun, nie alle erreichen können – dennoch fasst es mich innerlich an. Und dabei ist in diesem Beispiel noch nicht einmal wirkliche Kritik, sondern lediglich ein recht neutrales Feedback gegeben worden. Kritik verletzt unsere Grundbedürfnisse nach Anerkennung, Zugehörigkeit und Leistung. Das ist bei jedem so (sicher in unterschiedlichem Umfang) und lässt sich auch nicht schönreden. Die Reaktion des Unterbewussten mit unangenehmen Gefühlen bis hin zu Schmerzen spüren wir meist recht schnell. Je persönlicher wir die Kritik wahrnehmen, um so heftiger die eigene emotionale Reaktion. Natürlich hat der Sender dabei eine große Verantwortung, indem er oder sie versucht, den richtigen Ton zu treffen. Doch damit sollten wir uns nicht rausreden. Auch bei richtigem Ton bleibt eine Kritik eine Kritik. Doch die Verantwortung für unsere Gefühle, aufkommenden Emotionen und deren Folgen für unser Verhalten liegen stets bei uns selbst. Wir können entscheiden, wie wir mit dem Gefühl umgehen und ob und wie wir zu welchem Zeitpunkt darauf reagieren. Das kann anstrengend sein, aber diese Möglichkeit, Freiheit und Wahl haben wir immer.

Einfach mal die Perspektive wechseln

Ebenfalls hilft es, für eine gute Resonanz die Perspektive zu wechseln: Wir selbst dürfen davon ausgehen, dass Kritik in den allermeisten Fällen lediglich darauf aus ist, Dinge auf sachlicher Basis infrage zu stellen, an Absprachen zu erinnern oder Verhalten im Miteinander besser zu gestalten. Nur äußerst selten soll sie uns als Mensch treffen. Ich glaube, neunzig Prozent der Kritik zielt auf eine sachliche Themenstellung ab, aber ebenfalls neunzig Prozent der Kritik wird als persönlich empfunden. Kritik ist im Kern darauf aus, ein unerwünschtes oder gar mangelhaftes Verhalten zu benennen und für die Zukunft Veränderungen herbeizuführen. Doch wie kann eine bessere Regulation der eigenen Gefühle und eine bessere Reaktion auf Kritik gelingen?

Die Sprengkraft liegt in der Beziehungsebene

Wie bereits angesprochen, liegt die große Sprengkraft in Kritikgesprächen auf alledem, was auf der Beziehungsebene zwischen den beiden Interaktionspartner wahrgenommen, ausgetauscht und empfangen wird. Erhalten wir also von unserem Gegenüber Kritik, ist es ratsam, empfundene Beziehungsverletzungen auf sachlicher Ebene zu hinterfragen. Lasse dich daher von deinen Gefühlen nicht überrollen, sondern schaffe dir Bewusstsein und Raum für eine respektvolle und souveräne Reaktion. Besonders gut helfen hier die fünf Schritte um Kritik würdevoller anzunehmen.

Fünf Schritte zur Resonsnanzfrequenz

#1 Wahrnehmen
Nimm dein Gegenüber aufmerksam wahr, versuche, Blickkontakt zu halten und bleibe ganz bei dir.

#2 Zuhören
Aufkommende Emotionen sorgen oft dafür, dass wir auf den Reiz sofort reagieren wollen, selten ist das gut. Höre interessiert zu, was dein Gegenüber zu sagen hat. Wenn es dir hilft, schaffe dir einen Bewusstseins-Anker dafür (Beispiel dazu kommt gleich).

#3 Erkennen
Insbesondere bei Kritikgesprächen schwingen oft Dinge mit, die dem Gesagten Ausdruck und Intentionen verleihen. Höre hin, was da beim anderen schwingt.

#4 Verstehen
Nun solltest du versuchen, die Kritik auf sachlicher Ebene gut verstehen zu können. Ein Hinterfragen hilft hier wundervoll: Was meinst du damit? Woran genau denkst du dabei? Worauf beziehst du dich?

#5 Bewegen
Erst jetzt sind wir in der Antwortreaktion, in der du dich entweder für konstruktive Kritik bedanken oder alles andere auch erst mal für dich mitnehmen darfst. »Danke für deine Gedanken, ich werde darüber nachdenken.« Je größer dein emotionales Aufkommen und dein Bedürfnis nach Klarstellung oder Rechtfertigung, desto eher solltest du deiner Reaktion etwas Zeit schenken.

Es hilft, sich klarzumachen, dass unangenehme Gefühle bei Kritik normal und erwartbar sind. Indem du bewusst innehältst und deine Reaktion zum Beispiel in die genannten fünf Schritte gliederst, schaffst du dir Raum für eine bessere Reaktion, für eine bessere Resonanzwirkung.

Ein kleiner Trick vom Kommunikationsprofi

Es gibt übrigens hierzu einen kleinen Trick, den ich gerne anwende, welcher von vielen Kommunikationsprofis empfohlen wird: haptische Anker. Kleine oder größere Gegenstände, die wir bei uns tragen und die uns helfen, die Emotionsregulation besser hinzubekommen. Ich hatte mir vor einem drohenden Konfliktgespräch tatsächlich einen kleinen Stein in die Hosentasche getan, der mich daran erinnern sollte, bei mir zu bleiben. Da ich vor dem Gespräch bereits ahnte, was über mich hereinbrechen sollte (genauso war es dann auch), hatte ich mich inhaltlich gut darauf vorbereitet und eben jenen Stein zur Hilfe eingesteckt, was wunderbar funktioniert hat. Mein Gegenüber war in diesem Gespräch sehr emotional geworden und durchaus auch verletzend mir gegenüber. Ich hörte mir alles an, hielt meinen Stein ganz fest und entgegnete irgendwann: »Wenn Sie sich dafür interessieren, was ich zu sagen habe, spreche ich gern mit Ihnen. Aber nicht in diesem Ton und dieser Art und Weise.« Er ließ sich dann zwar kurz darauf ein, legte dann aber wieder los. Ich wiederholte den Satz dann fast genauso wieder, dann kam es deutlich besser bei ihm an und wir führten im Folgenden ein Gespräch auf Augenhöhe.

Wir können unser Gegenüber nicht ändern, schon gar nicht dessen Respektlosigkeiten. Wir können nur selbst versuchen, Augenhöhe herzustellen. Wir können versuchen, einen Resonanzmodus zu finden – zu unserem Gegenüber und zu unserer eigenen innersten Gefühlswelt. Das wird nicht immer klappen, aber sehr oft, wenn wir versuchen, Kritik nicht als persönlich gerichtet zu empfinden. Kritik ist in seltensten Fällen auf eine persönliche Verletzung aus, sondern lediglich ein Ergebnis nicht eingehaltener Absprachen oder Vereinbarungen sowie auch Ausdruck eines anderen Wertesettings, anderer Überzeugungen und einer anderen Haltung zu bestimmten Themen.

Auf den Punkt gebracht

Damit wir Kritik würdevoller annehmen können, hilft uns ein Grundvertrauen darauf, dass sie nur sehr selten darauf ausgerichtet ist, uns als Mensch oder Person infrage zu stellen. Empfinden wir eine Verletzung auf der Beziehungsebene, sollten wir zunächst versuchen, sie sachlich zu verstehen und zu hinterfragen. Eine zeitliche Trennung von Reiz und Reaktion ist meist sehr sinnvoll – ob beim Geben oder Empfangen von Kritik.

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