Kopfstand ist nicht das Problem

Die hier vorgestellte Methode ist eigentlich ein alter Hut. Der Klassiker bei der kreativen Lösungssuche. Doch was immer gerne vergessen wird, ist das diese Methode in Situationen, in denen Menschen auf dem Schlauch stehen, der Lösungsfinder schlechthin ist.

Dabei ist die Vorgehensweise genial einfach, gerade weil die dazu notwendige Perspektive verrückt erscheint. Und genau darum geht es. Nämlich eingefahrene Denkweisen zu ver -rücken. Das bedeutet auch, die Denk-Richtung zu ändern. Und zwar nach dem ähnlichen Prinzip, nach dem ein Esel nicht unbedingt dann in den Stall geht, wenn man ihn gewohnheitsmäßig am Halfter zieht, sondern eher dann, wenn man das gleiche am Schwanz tut.

Die klassische Denkrichtung

Ein Beispiel: Ein Verkaufsteam möchte seine Kunden besser binden und sucht nach Ideen.

Es wird die Frage gestellt und bearbeitet:
„Wie binden wir unsere Kunden intensiver an unser Unternehmen?“

Ein darauf gestartetes Brainstorming ergab u.a. Produktvorschläge, erhöhte Kontaktzahlen, Kundenbefragungen etc. Die üblichen „Verdächtigen“. Nur wenige Moderationskarten mit Antworten landeten auf der Pinwand. Über wenig zufriedenstellende Allgemeinplätze kam man nicht hinaus. Wirklich griffige Lösungen wurden nicht gefunden. Kein Wunder: es wurde am Halfter gezogen, übliche Denkmuster verwendet, die schon oft benutzt wurden.

Die närrische Frage oder Das Ziehen am Eselschwanz

Nun wurde die Fragerichtung geändert, das Problem auf den Kopf gestellt:
„Was müssen wir unbedingt tun, damit uns möglichst alle Kunden weglaufen?“

Erste Reaktion: verwunderte Gesichter! „Genau das wollen wir ja gerade vermeiden“ war schnell der konsensfähige Kommentar. Gleichwohl ist eine starke Energie zu spüren, deutlich intensiver als bei der ersten Fragestellung. Es werden Emotionen sichtbar, die für eine engagierte Lösungssuche gebraucht werden. Die Provokation in der Frage weckt die Geister. Die neue Denkrichtung – das Ziehen am Schwanz des Esels – bringt schnell viele neue Beiträge. Sehr schnell ist die Pinwand voll.

Was ist passiert?

Die Evolution in der Savanne hat uns wachsam werden lassen für alles, was schief gehen bzw. was uns im schlimmsten Falle passieren kann. Das war für das Überleben unserer Spezies wichtig. Erst nachdem ein Kraut sich als wenig bekömmlich oder gar giftig herausgestellt hat, hat man es gemieden oder Gegenmittel erfunden. Gleichzeitig lernen wir in unserer heutigen Gesellschaft früh, dass es darauf ankommt, perfekt, risikoarm, fehlerfrei und anpassungsstark zu sein. Das alles schützt uns einerseits vor Fehlentscheidungen, hindert uns allerdings auch, flexibel und kreativ zu sein, schnell zu denken und zu entscheiden.

Da wir nun mal darauf konditioniert sind, in Mangelkategorien zu denken (in Talkshows werden mindestens 80% der Zeit darauf verwendet, die negativen Seiten eines Themas zu beleuchten) und weil wir dadurch sozusagen zu leidenschaftlichen Experten darin geworden sind, zu erkennen, was nicht funktioniert, macht sich die Kopfstandtechnik diese Erkenntnis mit der närrischen Frage zunutze.

Vom Kopfstand wieder auf die Beine stellen

Die einzelnen Beiträge werden dann als Basis für die Lösungssuche verwendet. Hier helfen Anleitungen wie: „Was ist das Gegenteil davon?“, „Was wollen/machen/brauchen wir stattdessen?“ Eine Antwort auf die oben gestellte närrische Frage könnte lauten: „Reklamationen klein reden“. Hierauf wurden dann Lösungen formuliert:

  • Jede Reklamation ernst nehmen
  • Details nachfragen
  • Interesse bekunden
  • Emotionen der Kunden aufnehmen und rückmelden
  • etc.

Im nächsten Schritt werden dann Maßnahmen zu den gefundenen Lösungen, z.B. in Form einer To-do-Liste erarbeitet.

Die besten Lösungen entstehen in entspannter Unbefangenheit

Ich habe es in meinen Workshops nie anders erlebt, dass auf diese Art und Weise viel mehr Aspekte gesammelt werden als bei einer direkten Lösungsfrage. Wie bei einem physischen Kopfstand, fließt das Blut offenbar stärker in die Ideen-Areale unseres Hirns. Es wird bei der Arbeit aufgrund z.T. für das eigentliche Ziel absurd unerwünschter Antworten oft gelacht, Schabernack provoziert. Es entsteht auch der Eindruck, man könne jetzt „richtig vom Leder ziehen“. Diese ungewohnte Energie fließt dann direkt in die Lösungssuche.

Der Spaßfaktor beim Umwandeln der kuriosen Antworten ist ein Garant für neue Ideen. Bei der klassischen Arbeitsweise stehen die Beteiligten oft eher „auf dem Schlauch“, die Energien können nicht fließen. So entsteht aus einem Mangel – „Das wollen wir nicht- das fehlt uns!“ – eine Vorwärtsbewegung im Denken. Die Weg-von-Bewegung kennen wir aus dem täglichen Leben: Wenn wir darüber nachdenken, was wir einkaufen wollen, schauen wir meistens erst einmal nach oder grübeln wir darüber, was uns fehlt.

Gelegenheiten, den Esel am Schwanz zu ziehen

Du kannst diese Technik in vielen Situationen anwenden. Hier ein paar Fragestellungen zu verschiedenen Themen:

  • Zusammenarbeit: „Wie können wir uns gegenseitig noch mehr ärgern?“, „Was müssen wir tun, um die Teamarbeit optimal zu behindern?“
  • Marketing: „Wie können wir Innovationen erfolgreich verhindern?“, „Wie können unsere Produkte (oder ein neues Produkt, ein bestimmter Artikel) im Markt vollkommen ignoriert werden?“
  • Führung: „Womit können wir unsere Mitarbeitenden am nachhaltigsten demotivieren?“, „Was muss ich tun, damit ein Mitarbeitergespräch vollkommen aus dem Ruder läuft?“
  • Vertrieb: „Wie werden wir am schnellsten alle Kunden los?“, „Wie sorge ich am besten dafür, dass mich der Kunde vor die Tür setzt?“
  • Change-Prozess: „Wie sorgen wir dafür, dass keiner den Prozess mitmacht?“, „Wie können wir noch stärker dafür sorgen, dass alles beim Alten bleibt?“

Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Wichtig ist dabei lediglich, dass allem Spaß beim „Esel-schwanz-Ziehen“ noch der Stall sichtbar bleibt! Wo wollen Sie hin mit den angestrebten Lösungen?

Am besten ist auch hier frei nach Erich Kästner: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! Viel Spaß beim nächsten Brainstorming.

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