In Mitarbeitergesprächen konstruktiv mit Schwächen umgehen

»Entwicklungspotenzial.« »Delta.« »Noch-nicht-Stärken.« »Förderbereiche.« Und! So! Weiter! Ich finde es lebensfremd und dysfunktional mit welchem Vokabular manchmal um Schwächen herumgeredet wird. Schwächen sind für mich Schwächen. Und jeder hat, finde ich, ein Recht auf ihre oder seine Schwächen. Sie gehören zum Menschsein dazu, genauso wie unsere Stärken. Bestreiten oder verleugnen Sie die Dinge nicht, die Ihnen oder anderen schwer fallen, Energie ziehen und selten zu Erfolg führen. Kein Schönreden von Schwächen bitte!

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Und gleichzeitig: Betrachten Sie Schwächen realistisch und genau, die eigenen und die anderer. Ist der Mangel, das Defizit in allen Bereichen gleich schlimm – oder in manchen Kontexten weniger relevant? Ich etwa, falls Sie das interessiert, bin nicht immer besonders warmherzig und freundlich, man könnte auch sagen: ein Mangel an Empathie ist in manchen Situationen eine Schwäche von mir – vor allem unter Druck und im Stress. Keine gute Eigenschaft für einen Trainer, Coach und Vater, das gebe ich zu. Weniger davon wäre besser. Gleichzeitig weiß ich, dass ich nicht immer gleich unfreundlich und distanziert bin. Und ich kann mich – in besonders guten Momenten – für diese meine Schwäche auch entschuldigen.

Haben und zeigen Sie Verständnis für Schwächen – am besten in drei Schritten:

  • Schritt 1: Schwächen erst mal möglichst bewertungsfrei und genau umschreiben und bewusst machen;
  • Schritt 2: Defizite einordnen, in einen Kontext setzen (»andere haben/machen/sind auch immer wieder …«);
  • Schritt 3: In zugewandter (Selbst-)Freundlichkeit anderen oder sich selbst die Hand auf die Schulter legen, wie wenn man das bei einer angeschlagenen Freundin oder einem Kollegen nach einem dicken Fehler machen würde, und sagen: »Macken und Fehler haben wir alle.«

Das sind die drei Elemente von innerer Komplizenschaft, die Kristin Neff mit ihrem Konzept des »Selbstmitgefühls« (englisch: Self-Compassion) meint. Es wirkt sich erwiesenermaßen günstig auf Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden aus, es ist auch eine funktionalere Haltung als Selbstwert – denn diese Form des Selbstbildes setzt immer einen Vergleich mit anderen, und der kann schnell unglücklich machen.

Aus Schwächen eine Stärke machen wollen? Schwächen auf Star-Niveau bringen, durch Schulungen, Coachings, schlaue Bücher? Verbranntes Geld, verschwendete Energie, vertane Zeit. Und: versaute Stimmung. Wenn allerdings eine Schwäche die Leistungsfähigkeit, das Funktionieren signifikant behindert, wenn andere davon betroffen sind, so wie das Leck in einem Bootsrumpf verhindern kann, dass der stärkste Wind und die größten Segel das Schiff überhaupt noch in Fahrt bringen: Dann sollten Sie eine Schwäche angehen und ansprechen. Aber ebenso, wie man mit einem Leck umgeht: Abdichten, auf ein Passt-schon-Niveau bringen, wie wir in Bayern sagen. Aber auch nicht mehr.

Wenn der Pinguin in den Löwenkäfig gesteckt wird und dort nie zum erfolgreichen Landraubtier wird – ist dann der Pinguin schuld? Oder nicht eher der Zoo-Direktor? Nirgends wird so gelogen wie bei Partnerschaftsanzeigen und bei Stellenbeschreibungen. Machen Sie also Job Crafting, schnitzen Sie bei Stellenbeschreibungen das weg, was die Schwächen zu stark betont, und basteln Sie dazu, was gut, gerne und erfolgreich von der Hand geht, bei sich und anderen! Wir bewegen uns alle auf ein neues hybrides Miteinander zu, mit viel individuelleren Vereinbarkeiten von Job, Familie und Freizeit, da muss eh vieles von links auf rechts gezogen werden. Nutzen Sie diese Veränderungen dafür, Stärken zu stärken und Schwächen irrelevanter zu machen, bei der Zuschreibung von Aufgaben, beim Delegieren et cetera!

Ich (cth) habe zwei dermaßen linke Hände, dass jede klappernde Gangschaltung noch lauter klappert, wenn ich mich nur zur genaueren Betrachtung niederbeuge! Zum Glück habe ich ein, zwei kompetent-freundlich-fix-günstige Radl-Geschäfte um die Ecke für den Fall, dass Stefan keine Zeit hat. Und zum Glück habe ich meinen äußerst schraubbegabten und -motivierten Freund Stefan, der Zeit hat, wenn der Radl-Laden zu hat. Schwächen wegdelegieren, am besten an wen, der in dem betreffenden Bereich seine Stärken hat – für mich ist es ein Erfolgsrezept im Umgang mit meinem Fahrrad. Vielleicht funktioniert es auch in Ihrem Team?

Schwächen mit Stärken kompensieren würde zum Beispiel heißen: Sie sind sehr, sehr schnell, überrollen Ihre Truppe manchmal in Ihren Vorträgen. Wenn Sie aber empathisch sind und das immer mal wieder mitbekommen; und wenn Sie mit Humor über sich selbst lachen können, dann könnten Sie zum Beispiel in einer solchen Situation sagen: »Autsch, jetzt habe ich euch aber auf links ohne Blinker überholt, oder? Entschuldigt, ich mach’s noch mal Schritt für Schritt.« Nur als Beispiel.

Versuchen Sie, Schwächen als überdrehte Stärken zu sehen – die vielleicht in einen Kontext passen und in der anderen Situation zu viel sind. Der eigentlich wertvolle Mut kann zum Leichtsinn werden, die grundsätzlich wichtige Vorsicht zur Zaghaftigkeit, die Empathie zur entmündigenden Übergriffigkeit, der Humor zur verletzenden Taktlosigkeit – und so weiter. Und häufig schauen wir aus unserer eigenen Perspektive auf die Eigenschaften anderer: dem Sparsamen erscheint die Großzügigkeit schnell als Verschwendung, der Großzügigen kommt die Sparsamkeit leicht als Geizhalsigkeit vor. Das ist bei der Wortwahl zu beachten.

Und wenn Sie mit all diesen Schritten erfolgreich sind: Vergessen Sie nicht, den Fortschritt bei den Schwächen festzuhalten! Schriftlich oder mündlich, egal. Wobei: Eigentlich ist es ja dann ein Rückschritt … Aber Sie wissen schon, was ich meine, oder?

Letzter und wichtigster Tipp

Immer wieder bewusst die Optik wechseln! Schauen Sie stärker auf die Stärken als auf die Schwächen. Dann fallen letztere weniger ins Gewicht und kommen erstere mehr zum Vorschein.

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