Die Besprechungskultur in Deutschlands Unternehmen lässt zu wünschen übrig. Und das ist noch gelinde ausgedrückt. Sie ist eine Katastrophe. In Meetings wird 16 Mal mehr lamentiert als konstruktiv an Lösungen und Entscheidungen gearbeitet. Das ergab eine Studie der Organisationspsychologin Simone Kauffeld.
Deutsche haben den Ruf, Bedenkenträger zu sein. „Das haben wir noch nie so gemacht“, „Das geht doch sowieso nicht“ und „wo kämen wir hin, wenn wir das jetzt ändern würden“, gehören zu den häufigsten Floskeln in deutschen Besprechungszimmern. Wir sind Weltmeister im Betrachten von Problemen und hören damit nicht auf, bis die Besprechung zu Ende ist. „Na, wenigstens schön, dass wir einmal darüber gesprochen haben.“ Output? Keiner. Es scheint so zu sein, dass kollektives Lamentieren und Leiden uns ein gewisses Maß an wohligem Gemeinschaftsgefühl verschafft. Gruselig. Irgendwie sind wir doch alle Opfer und die Lösung liegt in weiter Ferne. Jedenfalls liegt sie nicht in unsere Hand. Es sind die Umstände, das Management, der Kunde, die Rechtslage oder der Markt.
Kein Wunder, dass da so manche das Chatten und Checken von Emails während des Meetings Vorziehen. Oder den Büroschlaf. Dazu kommt die Kultur der ständigen Erreichbarkeit in einigen Unternehmen. „Ja, das muss so sein, denn das Tagesgeschäft läuft ja weiter.“ Auf meine Frage, was derartige Meetings das Unternehmen an Kosten verursacht, reagieren die meisten Manager erst einmal nachdenklich. Es sind unter Umständen einige Tausend Euro. Dafür könnte man locker einem Mitarbeiter den nächsten Transatlantikflug auf die Business Class upgraden.
Spurensuche. Was treibt uns dazu, zu lamentieren? Meine Hypothese: Es ist neuronales Fastfood, sozusagen das schnelle Futter für unser Gehirn. Es erspart uns die unter Umständen schwer verdauliche Nahrung: die möglicherweise anstrengende Arbeit an Lösungen. Was uns bewegt, sind die Dinge die uns emotional berühren. Und gemeinsames Leiden schafft eine gewisse emotionale Nähe, die ein Team innerlich zusammenschweißt. Die Beteiligten schwelgen dann in einer kollektiven Problemtrance, die einen starken Sog entfalten kann. „Ja, wenn wir nur könnten, dann würden wir das alles ändern. Aber man lässt uns ja nicht. Die Umstände sind gegen uns.“ Die Folge: Vermeidungsstrategien. Man tut alles, um ja nicht in die Aktivierung von Annäherungsstrategien zu kommen. Die versprechen zwar nachhaltig Besserung, aber dafür müssen wir ja die bittere Medizin der Veränderung schlucken. Auf Deutsch: Jammern ist einfacher als den Hintern hochzukriegen.
So, genug lamentiert! Wie kann es besser gehen? Hier einige Vorschläge für eine bessere Meetingkultur:
- Legen Sie vorab eine klare Agenda für das Meeting fest und kommunizieren Sie das Ziel jedes einzelnen Besprechungsteils. Sprache ist oft schon verräterisch. So ist es wenig hilfreich, ein Thema einzuleiten mit „Wir haben hier ein Problem mit XY. Darüber sollten wir mal reden.“ Und schwupps findet sich mindestens ein Teilnehmer, der sich hier zum Lamentieren aufgefordert sieht. Besser wäre z.B.: „Wir haben hier ein Problem mit XY und ich würde gern gemeinsam mit Ihnen eine Lösung finden.“ Daraus folgt:
- Verordnen Sie sich eine Kultur der Lösungen. Stoppen Sie den Teufelskreis des Lamentierens. Das heißt für den Moderator: Unterbrechen Sie Lamentierer und lenken das Gespräch in Richtung von Lösungen. Stellen Sie Fragen wie: „Was wäre denn Ihr Lösungsvorschlag?“ „Welchen Zustand, welches Ziel sollten wir denn anstreben?“ „Was müsste denn geschehen, dass das Problem verschwindet?“ Oder systemische Fragen wie: „Nun stellen wir uns mal vor, Steve Jobs würde wiederauferstehen und hier zur Tür hereinkommen. Was würde er uns raten?“ Es gibt Unternehmen, in denen Lamentieren verboten ist. Die Leipziger Nutzwerk GmbH zum Beispiel hat dies sogar in den Arbeitsverträgen geregelt, auch wenn das arbeitsrechtlich wahrscheinlich kaum wirksam sein wird. Dennoch eine großartige Idee, finde ich.
- Führen Sie das Besprechungsprotokoll Lösungs- und Entscheidungsorientiert. Schließen Sie kein Thema ab, bevor nicht Entscheidungen getroffen und das weitere Vorgehen festgelegt ist. Legen Sie einen Verantwortlichen fest. Im angelsächsischen Bereich spricht man interessanterweise von „owner“, dem Besitzer. Das finde ich eine sehr schöne Metapher. Denn wer etwas besitzt, fühlt sich auch eher verantwortlich für seinen Besitz.
- Stoppen Sie Emailer und Chatter. Legen Sie klare Regeln fest: Handys und Notebooks aus. Lautlos ist nicht akzeptabel, denn das lenkt kaum weniger ab. Wer im Meeting ist, sollte auch konstruktiv zum Gelingen beitragen. Ansonsten ist seine Anwesenheit entbehrlich. Tipp: Sobald jemand diese Regel durchbricht, unterbrechen Sie das Meeting und warten Sie, bis derjenige mit dem Chatten oder Emailen fertig ist. Die dabei entstehende Stille hält kaum jemand aus. Aber Sie als Moderator sollten die aushalten.
- Steuern Sie als Moderator das Meeting durch zielgerichtete Fragen (s.o). Beziehen Sie dabei auch die eher stillen Teilnehmer mit ein. Nicht jeder, der sich nicht beteiligt, hat nichts zu sagen.
- Resümieren Sie von Zeit zu Zeit und drängen Sie dann, wenn das Thema „reif“ ist, zu Entscheidungen. Seien Sie dabei hartnäckig – nicht in Bezug auf eine bestimmte Richtung, sondern seien Sie hartnäckig, dass überhaupt entschieden wird. Denn nichts ist schlimmer, als ein Entscheidungsvakuum.
Organisationen und Unternehmen beziehen ihre Existenzberechtigung letztlich daraus, dass sie Komplexität auf ein handhabbares Maß reduzieren. Das unterscheidet sie u.a. vom Stammtisch.
Dr. Constantin Sander hatte eine mehrjährige Karriere in der naturwissenschaftlichen Forschung hinter sich, als er in die Wirtschaft wechselte und dann in einem mittelständischen Unternehmen die Marketingleitung übernahm. Kommunikative Prozesse faszinierten ihn schon lange und so absolvierte er neben dem Job zunächst eine Ausbildung zum NLP-Master und später zum Integrativen Coach. Er betreibt in Heidelberg eine Coachingpraxis und berät Firmen im Marketing. Am liebsten geht er mit seinen Klienten in den Wald: „Dort gibt’s keine Wände, sondern Bäume, die fast in den Himmel wachsen. Und daher auch genug Inspiration für die manchmal eingeschränkte Wahrnehmung.“