Herr Strohmann stört Meetings

Wir haben viel gelernt, nicht aber, wie man argumentiert. Wer darüber nichts weiß, kann schnell zum Opfer billiger Manipulationen werden oder selbst Diskussionen führen, deren Ergebnis nicht durch kluges Argumentieren, sondern durch fragwürdige psychologisch-emotionale Mechanismen zustande kommt. Entscheidungen werden dann durch Macht, Lautstärke, Bauchgefühl, Sympathie, rhetorisches Blendwerk oder akute gruppendynamische Effekte beeinflusst, anstatt durch kluges und logisch haltbares Abwägen. Wir spüren oft: Irgendetwas stimmt hier nicht, können aber nicht greifen, was schiefläuft.

Bedenkt man, dass persönliche, politische oder ökonomische Entwicklungen die Folge von Entscheidungsketten sind, dann macht es schon Sinn, begründet recht zu haben, statt sich nur durchzusetzen. Das könnte nicht nur vor nervig-sinnlosen Diskussionen bewahren, sondern uns vor gefährlichen Entscheidungen schützen.

Zu meinen beruflichen Aufgaben gehört es, an Meetings teilzunehmen und den Teilnehmern Rückmeldung zu Ablauf, Kommunikation und Entscheidungsfindung zu geben (= Konferenzsupervision). Immer öfter fällt mir auf: Es hapert nicht selten schlicht und einfach an der Logik. Eine Schlussfolgerung, die sich nicht logisch aus den getroffenen oder geteilten Voraussetzungen herleiten lässt, kann keine gute Schlussfolgerung sein. Während die „Macht“-Spielchen oder positiv ausgedrückt die Dringlichkeit, mit der die einzelnen Teilnehmer ihre Positionen durchsetzen wollen, für jedermann leicht zu durchschauen sind, gehen Unsauberkeiten in der Argumentation oft unter, weil sie schwer zu entschlüsseln sind.

Ich will mich hier beispielshalber mit „Herrn Strohmann“ beschäftigen, der an sehr vielen Meetings teilnimmt, Nerven kostet und Entscheidungen erschwert oder verschlechtert.

Um „Herrn Strohmann“ zu entlarven, sehen wir uns zunächst einmal an, was ein Argument ausmacht. Offensichtlich wollen wir aus dem, was wir vorfinden, Schlüsse ziehen. Es gibt also Fakten oder Hypothesen, aus denen wir Konsequenzen ableiten sollen, wollen oder müssen. In der Logik spricht man auch von Prämissen und der Konklusion, der Schlussfolgerung.

1. Prämisse    Viele erfolgreiche Außendienstmitarbeiter sind extravertiert.

2. Prämisse    Unsere Bewerberin ist extravertiert.

Schlussfolgerung    Also sollten wir sie einstellen.

(Die erste Prämisse findet sich übrigens tatsächlich in vielen Studien als Ergebnis.)

Die Runde entschließt sich also für die Bewerberin. Gut. Aber ist die Schlussfolgerung richtig? Plausibel klingt das ja, aber es handelt sich um einen falschen Schluss. Zur Veranschaulichung machen wir noch aus dem „Viele“ ein „Alle“, nehmen also an, dass gilt: „Alle erfolgreichen Außendienstmitarbeiter sind extravertiert.“ (Für diese Tendenz gibt es übrigens seriöse empirische Befunde.) Für die Analyse solcher Schlussfolgerungen sind kleine Diagramme oft sehr hilfreich: Es gibt die Menge aller extravertierten Menschen und die Menge der erfolgreichen Außendienstmitarbeiter. Als Grafik:

Zur Probe: Wenn jemand erfolgreicher Außendienstmitarbeiter ist, dann befindet er sich tatsächlich auch in der Menge der extravertierten Menschen. (Das war ja die Behauptung.) Die Grafik stimmt also. Wir wissen von der Bewerberin aber nur, dass sie extravertiert ist. Damit kann sie aber irgendwo in der großen Ellipse „sitzen“. Ja, sie kann sogar extravertiert sein und komplett als Außendienstmitarbeiterin versagen.

Was plausibel klingt, kann also völlig falsch sein. Die klassische Logik lehrt, man darf nicht von dem Nachsatz „… ist / sind extravertiert“ auf den Fordersatz „Erfolgreicher Außendienstmitarbeiter“ schließen. Alleine dieser Art zu schlussfolgern beobachte ich fast bei jedem Meeting. Auch in der großen Politik finden sich Beispiele.

1. Prämisse    George W. Bush: „Wenn Saddam Hussein seine Waffen raffiniert versteckt, dann finden wir sie nicht.“

2. Prämisse    „Nun finden wir sie nicht.“

Schlussfolgerung    Also hat er sie raffiniert versteckt.

(Die erste Prämisse findet sich übrigens tatsächlich in vielen Studien als Ergebnis.)

Man kann also auf der Basis einer falschen Schlussfolgerung Kriege beginnen. Nun zu Herrn Strohmann: Die Strohmann-Argumentation beruht ebenfalls auf einem logischen Fehler, dazukommt aber, dass sie meistens „nervt“ und die Stimmung verschlechtert:

Bei folgender Diskussion war ich jüngst Zuhörer:

A: Bei Wahlen sollte man jüngeren Leuten mehr Stimmgewicht geben, denn sie haben schließlich über mehr Zukunft zu entscheiden.

B: Wenn Sie für jede soziale Gruppe Sonderreglungen einführen wollen, dann führt das direkt ins bürokratische Chaos.

Für sich genommen hat B mit seiner Aussage vermutlich recht, aber er argumentiert gegen etwas, das A nicht gesagt hat. Diese unterstellten Aussagen nennt man Strohmänner.

Strohmann-Diskussionen erlebe ich recht häufig. Vielleicht besteht keine schlechte Absicht, und meist wird in der Diskussion gar nicht bewusst, was genau da nicht stimmt. Die Grundstruktur: Es wird gegen eine Aussage argumentiert, die gar nicht zur Debatte stand. Der „Trick“: Die Aussage wird verdreht, verfälscht, überhöht, selektiv aufgenommen und argumentiert wird dann gegen das erfundene, nicht aber gegen das vorgebrachte Argument. Das Körnchen Wahrheit, das in der verzerrten Aussage bestehen bleibt, macht eine schlagfertige Reaktion oft schwer.

Herr Strohmann nimmt also an vielen Meetings teil. Man kann ihm am besten dadurch begegnen, dass man sich

a.    darin übt, ihn schnell zu erkennen und ihn

b.    entschlossen und beherzt zurückweist: „Entschuldigung, das habe ich so weder gesagt noch gemeint.“

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