Gestresst? Alles eine Frage der Einstellung

Die meisten Menschen versuchen Stress zu bekämpfen oder zu vermeiden. Doch der immerwährende Versuch, den Stress zu besiegen, führt bestenfalls zu neuem Stress. Ein Weg, der in die Sackgasse führt. Der Stress ist eine Art Mitarbeiter eines jeden von uns. Fest angestellt, unkündbar – ein Leben lang. Den Stress werden Sie einfach nicht los. Es hilft nur das Beste daraus zu machen.

»Stress ist die Würze des Lebens.«
Hans Selye

Eine der am häufigsten zitierten Aussagen über den Stress ist die oben aufgeführte von Hans Selye, dem Vater der Stressforschung. Er meinte damit, dass Stress keinesfalls nur krankmachend wirkt, sondern auch notwendig ist, wenn wir besondere Leistungen erbringen wollen. In seinem berühmtesten Buch, das einfach nur den Titel Stress trägt, schreibt er dazu: »Da Stress mit jeder Betätigung verbunden ist, könnten wir den größten Teil davon vermeiden, indem wir einfach grundsätzlich gar nichts tun. So ein Leben wäre aber einem Schlagballspiel vergleichbar, in dem kein Ball getroffen, kein Lauf begonnen und keine Punkte gewonnen werden – und wer hätte daran wohl noch Spaß?«?

Aber auch sonst gibt es sehr unterschiedliche Meinungen über den Stress. So kam in einer vor kurzem durchgeführten Online-Umfrage unter über 22.000 Teilnehmern aus zweiundzwanzig Ländern heraus, dass weltweit rund 40 Prozent der Menschen den Stress positiv sehen. Eine fast ebenso große Zahl meinte auch, dass sie unter Stress die besten Leistungen erbringen würden.?

Andere sehen vor allem die negative Seite des Stresses. Häufig wird die WHO zitiert, die zu Beginn des Jahrtausends die Meinung kundgetan hat, dass Stress als »die größte Gesundheitsgefahr des 21. Jahrhunderts« anzusehen sei. Und auch dafür gibt es gute Gründe. So wurden im »Stressreport Deutschland 2012« der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin allein für 2011 59 Millionen Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen registriert. Der weitaus überwiegende Teil davon dürfte auf das Konto des zunehmenden Stresses gehen.

Recht haben beide Seiten. Der Stress oder vielmehr die Stresshormone können uns zwar helfen, unsere Kräfte zu bündeln und unsere Ziele zu erreichen. Genauso können sie unter bestimmten Umständen aber auch dafür sorgen, dass unser Immunsystem kaputtgeht und unsere Gesundheit ruiniert wird.

Wenn wir davon sprechen »den Stress im Griff« haben zu wollen, dann geht es dabei aus physiologischer Sicht um drei Punkte:

  • Einschränkung (nicht Stopp!!) der Stresshormonproduktion, um damit eine höhere Souveränität und Gelassenheit zu erreichen.
  • Die Stresshormone, die wir dann immer noch ausschütten (was gut ist), dafür zu nutzen, wofür sie von der Schöpfung gedacht sind: zur Bündelung der Kräfte und zur Meisterung besonderer Herausforderungen.
  • Den erhöhten Stresshormonspiegel jeweils zeitnah wieder abzubauen, um eine Überlastung von Körper und Geist und damit verbundene gesundheitliche Probleme zu verhindern.

Der Stress – ein »Mitarbeiter« mit doppeltem Potenzial

Der Stress ist also ein durchaus zwiespältiger Geselle. Ich vergleiche ihn gerne mit einer Art »Mitarbeiter« eines jeden von uns. Und wie jeder andere Mitarbeiter, so hat auch dieser »Mitarbeiter« ein doppeltes Potenzial. Das Potenzial zum »Flop-Mitarbeiter«, ja. Im besseren Fall lähmt er uns, sodass eine gute Leistung, zum Beispiel bei einer Produktpräsentation, unmöglich wird, im schlechteren Fall ruiniert er unser Immunsystem und lässt die Gesundheit vor die Hunde gehen.

Der Stress hat aber auch das Potenzial zum »Top-Mitarbeiter«. Dann laufen wir zur Hochform auf und er hilft uns, unsere Kräfte zu konzentrieren, unsere Leistungsfähigkeit zu entwickeln und unsere Ziele zu erreichen.

Disstress und Eustress nicht dasselbe wie produktiver und unproduktiver Stress

Ich werde oft gefragt, ob meine Metapher vom »Top-« beziehungsweise vom »Flop-Mitarbeiter-Stress« nicht dasselbe sei wie das, was Hans Selye mit seiner Unterscheidung in »Disstress« und »Eustress« ausgedrückt hat. Das ist nicht der Fall.
Selye ging beim Stress von einer »unspezifischen Anpassungsreaktion«? des Körpers auf jegliche (!) Anforderung aus. In einer Bilderfolge zeigte er in dem erwähnten Buch Stress? unter anderem neuseeländische Arbeitslose (Stress der Entbehrung), die in einer Schlange auf eine Mahlzeit warteten, russische Arbeiterinnen in einer Moskauer Uhrenfabrik (Stress der Monotonie), ein altes Geschwisterpaar, das nach neununddreißig Jahren der Trennung wieder zusammengeführt wurde (Stress überwältigender Freude), und einen Sportler, der gerade einen Weltrekord aufgestellt hatte (Stress des Sieges). In allen Situationen wurden Stresshormone ausgeschüttet. Um diese nun besser differenzieren zu können, nannte er negativen, belastenden Stress »Disstress« (von lateinisch dis = schlecht) und positiven, mit freudiger Erregung verbundenen Stress »Eustress« (von griechisch eu = gut).

Die Unterscheidung »Top-Mitarbeiter-Stress« beziehungsweise »Flop-Mitarbeiter-Stress« ist nicht ganz dasselbe, wenngleich es durchaus Überschneidungen gibt. Unterschieden wird mit dieser Metapher eher zwischen produktivem und unproduktivem Stress. Auch Disstress kann zuweilen produktiv sein. Das kann man ganz gut am Beispiel erklären, wenn jemand das Autofahren erlernt.

Zu Beginn muss der Fahrschüler lernen, mit ganz neuen Gefahrensituationen umzugehen und in der Regel käme er wohl kaum auf die Idee, diesen Lernprozess als Eustress, also positiven Stress, zu bezeichnen. Wenn er zum Beispiel nach einigen Stunden in verkehrsberuhigten Bereichen zum ersten Mal zur Rushhour in einer Großstadt fahren muss, empfinden dies zunächst wohl die meisten als hochgradigen Disstress. Ich erinnere mich noch gut, dass ich zu Beginn nach so mancher Fahrt jeweils ganz froh war, wenn sie vorbei war, bevor ich mit zunehmender Routine entspannter wurde und die Fahrstunden zum Schluss sogar genießen konnte.

Eine besondere Art der »Mitarbeiterführung«

Was machen wir nun mit dieser Erkenntnis? Was müssen wir tun, damit wir einerseits von dem »Top-Mitarbeiter-Stress« profitieren können, aber ohne ihn auch als »Flop-Mitarbeiter« erleben zu müssen, der unsere Gesundheit beeinträchtigt? Wie können wir lernen, produktiven Stress, der unsere Konzentration unterstützt, zu nutzen und gleichzeitig lähmenden, unproduktiven Stress in seine Schranken zu weisen?

Ganz klar, wir müssen lernen, diesen »Mitarbeiter« richtig zu führen. Schon diese simple Entscheidung, den Stress führen zu wollen, macht dabei einen großen Unterschied aus. Es ist die Entscheidung, sein Leben nicht mehr fremdbestimmt erleiden, sondern selbstbestimmt gestalten zu wollen. Solange wir zulassen, dass andere Menschen nicht nur über unseren Tagesablauf, sondern auch über unsere Gefühlswelt bestimmen, fühlen wir uns wenig glücklich und ausgeliefert. Doch allen Zwängen, die es geben mag, zum Trotz: in der modernen Industriegesellschaft des 21. Jahrhunderts zwingt der Wohlfahrtsstaat niemanden zu Arbeit, Karriere. Letztlich ist es immer unsere ureigene Entscheidung, welche Arbeit wir ausüben, wie wir arbeiten und mit welchen Menschen wir uns umgeben.

Und selbst wenn wir – aus welchen Gründen auch immer – genötigt sind, in einem uns nicht genehmen Hamsterrad unser Dasein zu fristen, so bleibt uns immer noch eine Freiheit: die Freiheit, uns auf unsere ganz persönliche Weise auf die Situation einzustellen, mit der wir gerade konfrontiert sind. Ich zitiere hier Viktor E. Frankl, der auch in allen erlebten Erfahrungen von Unmenschlichkeit in den Konzentrationslagern seinen Glauben an die Menschlichkeit nicht verlor:
Das ist zwar, wie so vieles im Leben, einfacher gesagt als getan. Aber ein bisschen Gewusst-wie mit einem Schuss Umsetzungswillen wird Ihnen helfen, dieses Ziel zu erreichen.
Den Umsetzungswillen müssen Sie mitbringen.

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