Erfolg und Misserfolg neu denken

Bevor Unternehmen etwas neues Wagen, sichern sie sich rundum ab. Kohorten von Aktenfräsen, Allroundlaien und Businesskaspern beschreiben den eigenen Markt und geben ihre Expertise. Doch wer durchblickt, wie Studien und Marktforschungen entstehen, erkennt wie naiv dieses Vorgehen ist. Denn diese Repräsentativität – oder das, was dafür »verkauft« wird – ist jedenfalls kein nötiges Qualitätssurrogat.

Wenn es um Neues geht, sind Unternehmen oft erst einmal darauf aus, sich in ihrer aktuellen Marktsicht abzusichern – es »richtig« gemacht zu haben. Mithilfe sogenannter belastbarer Studien und Analysen – insbesondere von renommierten Marktforschungs- oder Beratungsinstituten. Obgleich diese Vorgehensweise oft »putzig« anmutet, da Brancheninsider sich an externe Kohorten von Aktenfräsern, Allroundlaien und Businesskaspern wenden, um den eigenen Markt beschreiben zu lassen. Wenn man zudem durchblickt, wie solche Studien und Marktforschungen hergestellt werden, weiß man auch, warum davon grundsätzlich wenig bis nichts zu erwarten ist; Repräsentativität – oder das, was dafür »verkauft« wird – ist jedenfalls kein nötiges Qualitätssurrogat.

Vielfach ist eine solche Vorgehensweise aber schlichtweg Ausdruck eigener Ohnmacht und/oder Eingeständnis völliger Unkenntnis und Markt-Abgehobenheit. Es fehlt die in vielerlei Hinsicht notwendige (Er)Kenntnis – vor allem auch darauf bezogen, dass gerade Fehler für Neues eine inspirierende Quelle sein können.

Denn aus Fehlern kann man lernen und an ihnen kann man – persönlich wie auch als Organisation – wachsen. Das ist die Message, um die es mir hier, mit dieser Maxime, geht. Sie ist erstens nicht neu; das weiß ich. Sie ist zweitens nicht wirklich originell, sondern entspricht einem gewissen Zeitgeist. Und sie ist drittens, vor allem, sehr viel leichter verkündet als gelebt. Fehler können Konsequenzen haben, das wissen wir alle: wirtschaftlicher Verlust, Verlust an Reputation, Verlust in das Vertrauen in die eigenen Kompetenzen. Und schließlich: Fehler können Schaden anrichten in der Welt; fehlerhafte technische Geräte, fehlerhafte IT, das kann Leben kosten. Ich will hier nichts kleinreden oder beschönigen – das ist nicht der Punkt. Ich weiß: Scheitern ist nicht lustig.

Vielleicht ist es gut, kurz über die Wortwahl nachzudenken. Wenn wir von »Scheitern« sprechen, hat das etwas Endgültiges. Und mein Plädoyer zielt gerade darauf, das Endgültige aus der Gleichung herauszunehmen. Vielleicht sind tatsächlich andere Worte geeigneter: Fehler, Fehlschlag, Irrtum, Misserfolg …

Vor allem im Kontext der digitalen Transformation ist ein Misserfolg in Sachen Innovation zunächst einmal tatsächlich wahrscheinlicher als ein Erfolg. Nicht nur deshalb, sondern auch, weil es tatsächlich Entwicklungskorridore eröffnet, rate ich insofern dringend kurz gesagt, zu einer Geisteshaltung des »Lernens durch Fehlschlag« oder auch: »Aus Fehlern und mit Fehlern lernen«.

Idealiter kommen die Fehlschläge möglichst früh. Für eine erfolgreiche digitale Transformation braucht es ein lernorientiertes Fehlerverständnis – also eine Fehlerkultur –, und ein bewusstes Tempo, quasi eine »Geschwindigkeitskultur«. Für Führungskräfte heißt das: es Mitarbeitern nicht nur ermöglichen, sondern dazu ermutigen: auszuprobieren, zu testen, zu verbessern und neu zu bauen – und das schnell! Denn: Je früher man einen Fehler macht, sich irrt, stolpert, hinfällt, desto besser ist es für den Lernprozess. Ein früher Fehler ist ein guter Fehler (Hartmann/Halecker 2016).

… im Sandkasten

Wie kann sich ein Unternehmen Entwicklungs- und Lernräume schaffen? Also: Bereiche, in denen Experimente erwünscht und Fehler möglich sind, ohne dass daraus – eventuell existenzbedrohende – Risiken erwachsen?

Schwierig wird das innerhalb bestehender Organisationsstrukturen, etwa eingebunden in eine übliche Unternehmenshierarchie. Denn das läuft auf »Kreativität nach Vorschrift« hinaus, das Ausbremsen von Experimentierfreude und Innovationskraft. Außerdem steht vielleicht tatsächlich auch zu viel auf dem Spiel: Wo Fehler gravierende Auswirkungen haben können, etwa wirtschaftlicher Art, ist wenig Platz für Fehlertoleranz und Experimente. Das heißt: Eine Haltung wie »Aus Fehlern und mit Fehlern lernen« braucht auch ein bestimmtes Setting, ein entsprechendes Umfeld. Wenn die Richtlinie beziehungsweise der Qualitätsanspruch lautet: »Null Fehler«, dann ist das eine paradigmatische Ausrichtung, die durchaus ihre Richtigkeit und Existenzberechtigung haben kann – und tatsächlich sehr oft auch hat –, die sich indes mit Lernen, Entwicklung, Innovation nicht wirklich verträgt.

Innovationsträchtiges Experimentieren, Trial and Error, braucht, kurz gesagt, seinen Raum: Einen in gewisser Hinsicht geschützten Raum, der andererseits auch das Umfeld schützt – der dafür sorgt, dass das Experimentieren mit seinen Fehlschlägen et cetera nicht direkt aufs Unternehmenswohl durchschlägt, nicht zur Existenzbedrohung wird. Einen solchen Schutzraum im doppelten Sinne bietet beispielsweise die sogenannte Sandbox. Das Konzept ist ein Import beziehungsweise Transfer aus der Informatik: Programme starten beziehungsweise laufen in einer Sandbox, einem »Sandkasten«, wenn eine gewisse Isolierung vom laufenden Betriebssystem zweckmäßig ist. Dieses Prinzip findet sich auf organisationaler Ebene in der Etablierung sogenannter Sandbox-Innovation-Teams wieder: Arbeitseinheiten mit Sonderstatus, außerhalb der üblichen Unternehmenshierarchie. Man richtet quasi ein Labor ein, etwa ein »digital lab«, mit genügend Finanzmitteln und Zeit, um innovativen Impulsen nachzugehen, Produkte zu entwickeln, sie reifen zu lassen – ein Vorgehen, das als Innovationsinkubator gilt.

Oder, eine Alternative zur Sandbox: Man bleibt mit der Innovationsinitiative innerhalb der Unternehmensorganisation, etabliert also keine isolierte Sonderstruktur, sondern macht stattdessen sehr kleine Schritte – the importance of starting small … Auch das ist eine Möglichkeit, das aus experimentellen Fehlschlägen drohende Risiko gering zu halten: immer wieder kleinere Initiativen, etwa Digitalinitiativen, zu starten; dabei beharrlich zu prüfen, was funktioniert (und was nicht). Erfolgreiche Initiativen können schließlich ausgeweitet, mit den entsprechenden Ressourcen ausgestattet, und schließlich, bestenfalls, ins Kerngeschäft integriert werden (Reeves et al. 2015).

Lernen können und dürfen …

Der einzelne Mitarbeiter, die Führungsetage, und das gesamte Unternehmen brauchen, um aus und mit Fehlern zu lernen, vor allem die Bereitschaft und die Möglichkeit dazu. Auf der Ebene der Unternehmensorganisation bedeutet das: lernaffine Strukturen.

Lernen ist ein aktives Geschehen. Es lässt sich kaum von oben anordnen; es lässt sich anstoßen, ermöglichen. Unternehmensseitig gilt vor allem: die Bedingungen dafür zu schaffen. Eine Form des Projektmanagements, die in diese Richtung geht, ist etwa Scrum. Diese aus der Softwareentwicklung kommende Methode baut wie schon erläutert auf Selbstorganisation in Teams, auf iterative Schleifen von »build – measure – lern«, statt etwa auf abstrakte, vorgelagerte Klärungsphasen.

Lernen ist nicht trennbar von der Unternehmens- oder zumindest, bei größeren Unternehmen, der Abteilungskultur. Berührt werden Fragen des Umgangs mit Verantwortung, etwa Ergebnisverantwortung: Wenn Mitarbeiter beispielsweise nur tun, was Vorgesetzte von ihnen verlangen oder Kollegen ebenfalls tun, so versuchen sie sich auf diese Weise einer Verantwortung für eine Kostenexplosion oder ein Scheitern zu entziehen. Sie sind nur an der Beschränkung eigener Risiken oder, im besten Falle, deren Outsourcing interessiert … – doch solch ein Verhalten ist in Bezug auf Lernen kontraproduktiv.

Lernen ist ein Geschehen, das im Normalfall ein gewisses, lernfreundliches Milieu braucht. Denn werden Fehler nicht totgeschwiegen, ignoriert, unter den Teppich gekehrt, sondern betrachtet und benannt – weil sich nur so aus ihnen lernen lässt –, kann das für einzelne Mitarbeiter oder Abteilungen bedrohlich sein; Reputationsverluste werden gefürchtet und Ähnliches. Dynamiken wie diese können Lernbereitschaft signifikant unterminieren.

Die Washington Post hat solche Lernbereitschaft in Bezug auf ihren »Output« bereits zum Prinzip gemacht. Als Zeitung gebiert sie jeden Tag Neues: neue Artikel, neue Essays, neue Geschichten. Lernbereitschaft bedeutet hier, nicht den eigenen Text oder die eigene Überschrift für ausgezeichnet halten, sondern den Leser entscheiden lassen. So muss bei der Washington Post jeder Redakteur für seine Story mindestens vier verschiedene Überschriften liefern. Automatisiert wird dann diejenige ausgewählt, die auf der Internet-Plattform der Zeitung die meisten Klicks auf sich vereinen konnte. Außerdem testen freiwillige Leser anonymisierte Texte, Videos und Audiodateien – sowohl der eigenen Webseite als auch der Konkurrenz. Daraus werden Rückschlüsse gezogen, wie Geschichten noch attraktiver verkauft werden können (Jensen 2016). Solches split-testing eines schnellen und vielfältigen Variierens ist in digitalen Angeboten besonders leicht umsetzbar; daher sollte es dort auch verwendet werden. Dennoch ist es auch – insbesondere für alteingesessene Redakteure – eine deutliche Neuerung. Und nicht nur die Älteren stimmen vermutlich mit mir überein, dass es durchaus fraglich ist, inwieweit ein Popularitätswettbewerb vorschreiben darf, was zu denken oder zu schreiben ist.

Im Grundsatz gilt wohl: Eine gute Lern- und Fehlerkultur ist schwerlich unabhängig von einer guten Unternehmenskultur zu haben.

Und das Positive?

Kuschelkohorten von Trainern und Beratern lobpreisen es: das positive Denken. Man solle, heißt es, nicht auf die Fehler schauen, sondern auf das Gelungene. Im Positiven seien größere Lerneffekte verborgen als im Negativen, und so weiter … Grundsätzlich ist dieser Ansatz sicherlich naheliegend – gerade als Gegenmoment zu all jenen Lebensbereichen, in denen Fehlerorientierung der Standard ist, wie beispielsweise die Schule. Da kann ein wohliger Kuschelkurs durchaus sinnhafter Ausgleich sein. Aber: Der Wert, den unsere Fehler für uns haben, ist enorm. Wer schon mal Radfahren gelernt hat, weiß: Aus einem Sturz hat er mehr begriffen als aus fünfzig Stunden sturzfreiem Fahren. Und denken wir beispielsweise ans Laufenlernen des Kleinkindes, dann wird eine Pointe deutlich: Das Wesentliche ist nicht zuletzt die elementare und in dieser Phase häufige und existenzielle Erfahrung: Hinfallen ist nicht wirklich tragisch … Aufstehen, Krone richten, weiterlaufen – das geht!

Resümee: Neues ist nicht perfekt – und das ist auch gut so. Build, measure, learn – bauen, messen, lernen. Oder: Lean-Start-up. Oder: Sandbox und Digital labs. Oder Scrum. Bloß einige wenige von unendlich vielen Optionen, sich und seinem Unternehmen das Lernen leicht zu machen. Und darum geht es.

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