Endlich Sicherheit im Umgang mit Konflikten

Allzu oft haben wir Angst in Konflikte zu gehen. Wir nehmen stattdessen eher in Kauf, uns oder unsere Werte zu verraten, als mit der Führungskraft oder einem Kollegen in die Konfrontation zu gehen. Das ist ein Massenphänomen, denn auf sehr viele Menschen wirken Konflikte bedrohlich. Privat wie beruflich.

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Oft haben sie bereits Kommunikationsseminare zu Konfliktmanagement oder Verhandlungsstrategien besucht, merken danach aber, dass ihnen das Methodenwissen wenig weiterhilft. Die Angst vor der Auseinandersetzung ist geblieben und dieser Zustand bestimmt ihr Verhalten: Rückzug.

Warum tun sich viele Menschen so schwer, Streitigkeiten produktiv auszutragen?

Es geht wieder um das Thema Bindung. Wenn jemand unsicher in seinem Bindungsverhalten ist, werden Konflikte von seinem Nervensystem als etwas Gefährliches angesehen. Auf Gefahr reagieren wir mit Flucht, Angriff, Totstellen oder der Anpassung (Fawn Response).

Die Fluchtstrategie: Man geht den Konflikten aus dem Weg und spricht die Dinge nicht an, die einen stören. Da der Verstand immer recht behalten will, dass das eigene Verhalten förderlich ist, reden sich Menschen im Fluchtmodus ein, dass die Punkte, die sie stören, gar nicht so wichtig sind. Oder die Gedanken gehen in die Richtung, dass sich der Konflikt anders auflösen wird – der Arbeitskollege oder man selbst wird beispielsweise die Stelle wechseln. Die Krux dabei ist, dass man nur diesen einen Konfliktfall sieht und nicht das eigene Muster dahinter erkennt. Es wird immer wieder Situationen und Menschen geben, bei denen es wichtig wäre, die eigenen Grenzen aufzuzeigen. Man kommt aus dem eigenen Konfliktfluchtmodus nicht heraus.

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»Konflikte können nur dann gelöst werden, wenn alle Beteiligten sich sicher fühlen. Ansonsten gewinnt das autonome Nervensystem.«

Die Kampfstrategie: Menschen, die bei Konflikten in den Kampfmodus wechseln, bereiten Streitigkeiten ähnlichen Stress wie den Menschen, die mit Flucht reagieren. Sie haben für sich nur einen anderen Umgang damit gefunden. Nach dem Motto »Angriff ist die beste Verteidigung« geht es ihnen darum, den anderen kleinzuhalten, um dadurch die eigene Verletzlichkeit und Angst nicht zu spüren. Die äußere Härte geht oft mit innerer Härte einher.

Über diese Strategie werden auch sie nicht lernen, dass man unterschiedliche Ansichten haben und dabei gemeinsam Lösungen finden kann. Denn auf ihre Härte im Konflikt wird das Gegenüber mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls mit Härte reagieren oder – wenn das Gegenüber eher der Fluchttyp ist – sich zurückziehen. Aber genau diese heilsame Erfahrung bräuchten sie, damit sie merken, dass es auch anders gehen kann und so Lösungen viel wahrscheinlicher sind.

Die Anpassungsstrategie: Wenn man früher gelernt hat, dass man besser das brave Mädchen ist und gefallen sollte, wird man höchstwahrscheinlich auch in Konfliktsituationen auf diese Strategie zurückgreifen. Man schaut dann als Erstes immer (!) auf sich und seine eigenen Fehler, die möglicherweise zu dem Konflikt geführt haben. Die Entschuldigung ist schneller ausgesprochen, als der Neokortex darüber nachdenken und die Situation beurteilen kann.

Bleibt man dabei, wird auch hier keine Lernerfahrung gemacht werden können. Das ist nicht nur für einen selbst ein Nachteil, auch das Umfeld wird sich damit nicht weiterentwickeln können. Denn Weiterentwicklung und Innovation brauchen eine ehrliche Auseinandersetzung.

Die Totstellstrategie: Erinnerst du dich an Angelika, die engagierte IT-Mitarbeiterin, die durch den unterschwelligen und nicht geklärten Konflikt in den Burn-out getrieben wurde? Das ist die absolute Notlösung unseres Nervensystems, wenn alle anderen Strategien (Flucht, Kampf, Anpassung) nicht helfen, um aus der Stresssituation herauszukommen.

Das Burn-out übernimmt hier die Funktion des FI-Schalters in einem Haus. Bevor es anfängt zu brennen und damit Lebensgefahr droht, fliegt er raus.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass ein Burn-out bei Menschen gerade dann droht, wenn sie nicht das Gefühl haben, gesehen zu werden. In einer Umgebung, in der es viel um Leistung geht, kaum Verletzlichkeit gezeigt und nicht offen über Bedenken oder Ängste gesprochen wird, nehmen sich Menschen automatisch zurück und sprechen nicht über das, was sie beschäftigt. Der Kontext ist wie bereits erwähnt immer ein entscheidender Faktor für unser Verhalten.

Schauen wir uns an, was es braucht, um Konflikte konstruktiv lösen zu können, sodass die Verbindung bestehen bleibt und man am Ende gemeinsam zu einem guten Ergebnis kommt: Ich habe lange Zeit im Finanzbereich und Projektmanagement gearbeitet. Fast täglich wird man dort mit Problemen konfrontiert, die man möglichst schnell lösen soll. Wenn beispielsweise im Monatsabschlussprozess etwas schiefgelaufen ist, bin ich strukturiert und analytisch vorgegangen, um zu schauen, woran es gelegen hat und was getan werden muss, damit es wieder funktioniert. Das funktioniert ganz großartig auf der Sachebene: vom Problem direkt zur Lösung.

Beispiel: Es gibt nicht nur die Sachebene

Zwischen Menschen gibt es aber nie nur die Sachebene. Auch bei Menschen, die im Finanzbereich arbeiten und sich von ihrer Selbstwahrnehmung oft als sehr logisch, strukturiert und vernunftorientiert einstufen, läuft das nicht so. Das musste ich an der Stelle lernen, als ich in der Rolle der Projektleiterin mit zwei Führungskräften an einem Tisch saß, die sich anbrüllten und der daneben sitzende Mitarbeiter sehr still wurde. Von Sachebene war da nichts zu sehen und zu spüren. Eine Bemerkung wie »Bleibt doch bitte sachlich« hätte den Unmut beider Führungskräfte auf mich gezogen. Du kennst es vielleicht von dir selber, wenn du wütend bist. Ein Gegenüber, das besonders beruhigend auf dich einredet, kann dich noch mehr zur Weißglut führen. Die Emotionen müssen raus, bevor Sachlichkeit wieder reindarf.

Das bedeutet, wir müssen eine Ebene tiefer gehen. Auf die Ebene der Bedürfnisse und Gefühle. Denn wenn es emotional wird, ist das ein Zeichen dafür, dass auf dieser Ebene auch das eigentliche Problem liegt.

Der Weg über die Bedürfnisse zur Lösung

Damals war ich mit der obigen Situation völlig überfordert, was maßgeblich dazu geführt hat, eine Ausbildung zur Wirtschaftsmediatorin zu machen.

Dort lernte ich einen Prozess kennen, den es braucht, um andere Menschen in ihrer Konfliktlösung konstruktiv zu begleiten. Was mir meine damalige Ausbilderin und spätere Mentorin noch mitgab, war der Satz »Ihr müsst einen Raum von Sicherheit aufmachen, damit die Menschen sich öffnen und mitteilen«. Acht Jahre später sitze ich nun hier und schreibe das Buch dazu.

Den sicheren Raum, den Konfliktlösung braucht, damit Menschen bereit sind, offen über ihre Bedenken und Wünsche zu sprechen und dabei nicht in den Angriff zu gehen, benötigen wir überall dort, wo Menschen miteinander leben, lernen und arbeiten.

Damit erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen, die sich ansonsten in Flucht-, Angriffs- oder Anpassungsstrategien begeben, sich trauen, in der Verbindung zu sich zu bleiben und für die eigene Meinung einzustehen. Zeitgleich machen sie die Erfahrung, dass das Gegenüber nicht geht und in Kontakt bleibt.

Mit psychologischer Sicherheit können neue Konfliktlösungswege bei jedem Menschen gebaut werden. Das allein sollte schon Grund genug sein, um in unseren Systemen etwas zu verändern. Dafür benötigen wir Menschen, die die Skills und die Haltung haben, um ein bestehendes Umfeld psychologisch sicherer zu gestalten.

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