Die Leinwand meiner Mängel bist du!

Projektionen im Alltag oder wie wir uns selbst vor Konflikten schützen.

Immer mehr rücken innere Projektionen ins Rampenlicht der Business-Öffentlichkeit. Diese Phänomene sind Ausdruck unserer eigenen Befindlichkeiten, in erster Linie Mängel, Zweifel, meist unerwünschte Eigenschaften, die wir anderen Personen „andichten“. So nutzen wir andere Menschen als Projektionsfläche unserer eigenen Widersprüche. Wir ärgern uns dann über sie und ersparen uns so, uns mit uns selbst zu beschäftigen. Scham und Schuld, Selbstzweifel und erlebte Minderwertigkeiten können so abgeschoben werden.

Projektionen im Alltag

Ein Vorgesetzter, der seine Verantwortung nicht übernimmt und ständig Entscheidungen auf andere abwälzt, könnte seine Unfähigkeit, Druck auszuhalten, auf seine Mitarbeiter projizieren, indem er sie beschuldigt, nicht genug zu leisten oder Fehler zu machen.

Ein Mitarbeiter, der Schwierigkeiten hat, mit Kritik umzugehen, könnte seinen eigenen Mangel an Selbstbewusstsein auf seinen Vorgesetzten projizieren und sie als besonders kritisch oder unfair wahrnehmen. Dieser Mitarbeiter könnte auch selbst sein mangelndes Selbstvertrauen durch unangemessene Kritik an andere ausgleichen. Empfängt er dann selbst Kritik, empfindet er diese als ungerecht und verletzend.

Eine Vertriebsmitarbeiterin, die Schwierigkeiten hat, ihre Verkaufsziele zu erreichen, könnte ihre eigene Angst vor Ablehnung und Versagen auf ihre Kunden projizieren und sie als besonders schwierig oder uninteressiert wahrnehmen. Sie könnte den Druck, den sie seitens der Vertriebsleitung empfindet, auch auf die Kunden übertragen. Im Ergebnis erhält sie Gegenwind, den sie dann als Widerstand gegen sich bzw. ihre Produkte empfindet und entsprechend reagiert.

 Die Leinwand wurde früh von uns aufgestellt.

Wenn wir als Kinder zu wenig geliebt und beschützt worden sind, haben wir Strategien entwickelt, uns selbst zu schützen. Vor Verletzungen, Lieblosigkeit, vielleicht sogar vor direkter oder indirekter Gewalt. Wir haben uns angepasst, damit wir ein Maximum an Liebe bekamen. Das war für unser seelisches Überleben in einem Umfeld notwendig, von dem wir abhängig waren. Also ein ganz „normales“ Verhalten in unserer Gesellschaft. Was dabei weniger „normal“ ist: wir haben Verhaltensmuster entwickeln müssen, welche nicht unserem natürlichen Wesen entsprechen, mit dem wir auf diese Welt kamen. Wir mussten es unterdrücken, ins Unbewusste abschieben. Und dort treibt es sozusagen ein Parallelleben. Es klopft immer wieder bei unserem Bewusstsein an. Da wir gelernt haben, dass diese Anteile nicht sein durften, lassen wir sie nicht direkt in unser Leben. Um sie nicht direkt abweisen zu müssen, entscheiden wir uns unbewusst dafür, sie bei unseren Mitmenschen zu erkennen und auch dort zu bekämpfen. Wir regen uns über sie auf und stecken diese Energie in Auseinandersetzungen, die wenig Chancen haben, gelöst zu werden. Denn die Ursachen liegen ja nicht im Außen. Wir geben dann gerne die Schuld an der Situation den anderen. Auch das haben wir erfolgreich als Strategie gelernt. So befreien wir uns von der Selbstverantwortung und einer unangenehmen Nabelschau. Allerdings wirkt dieser Selbstbetrug nur kurze Zeit. Genau bis zum nächsten Aufreger. Und das eigentliche Problem bleibt ungelöst.

Hoppla, jetzt bin ich dran… Woran wir Projektionen erkennen.

Der Schweizer auch für viele Unternehmen tätige Psychologe Max Lüscher prägte den für mich und meine Projektionen immer wieder hilfreichen Reflexions-Satz:
„ Der Mensch dort drüben ist so  XY… wie ich!“ Mit XY ist eine beliebige, von uns wahrgenommene und be-/verurteilte Eigenschaft, ein von uns kritisch beäugtes Verhalten, das wir in dem Moment auf diese andere Person projizieren. Der zweite Satzteil …“wie ich.“ soll uns zur Selbstbetrachtung anregen: was davon ist zu welchem Grad in bestimmten Situationen auch mein Anteil?

Ein wichtiger, fast untrüglicher erster Indikator ist unsere Erregung, unser Ärger, unsere Wut auf jemanden oder auch den Umständen. Wir beschuldigen andere, werten sie ab, fühlen uns als Opfer.

Roll’ die Leinwand auf

Wie kommen wir aus dieser energiefressenden Strategie der unangemessenen und lösungsfeindlichen Strategie heraus?

  • Zunächst gilt es, Verantwortung für uns selbst zu übernehmen. Wir müssen erkennen, dass die Schuldzuweisungen anderen gegenüber unserer eigenen Opferrolle entspringen. Wir sind verantwortlich für unsere Gedanken und Reaktionen.
  • Wir identifizieren selbst-wertschätzend und -ehrlich unsere eigenen Anteile, wenn wir andere für XY verantwortlich machen.
        – Was von dem, was mich gerade aufregt, kann ich an bzw. in mir erkennen?
        – Wie lange kenne ich diesen Teil, diese Eigenschaften und Verhaltensweisen in mir schon?
        – Was habe ich damals von meinen Bezugspersonen gebraucht?
        – Wie kann ich diese unterdrückten Wesenszüge wieder in mein Leben holen, um mich
          wieder so anzunehmen, wie ich bin?
  • Andere Menschen immer wieder als Lernerfahrung nutzen.

Projektionsflächen nutzen

Du können in den obigen Beispielen nach entsprechendem Vorgehen

  • der Vorgesetzte seine vielleicht bisher verdrängte Unzufriedenheit mit sich selbst reflektieren. Daraus kann er erkennen, dass er selbst mehr Selbstsicherheit benötigt und sich dazu an Zeiten oder/und Situationen erinnern, in denen er diese hatte. Darauf kann er aufbauen und sukzessiv immer mehr Selbstvertrauen und dadurch Vertrauen für andere sowie Gelassenheit für Fehler entwickeln.
  • der Mitarbeiter die Ursachen seiner Unsicherheiten erforschen. Er kann im Alltag mehr und mehr Kompetenzen aufbauen, um selbstwirksamer zu handeln. Immer dann, wenn er sich über andere ärgert, kann er diese Momente nutzen, um seine Anteile darauf zu überprüfen, ob sie wirklich der Wahrheit über den anderen entsprechen. Wie würde er reagieren, wenn er die stressigen Gedanken nicht hätte? So kann er vielleicht Kritik als „die Meinung des anderen“ verstehen und annehmen und Streit und Eskalationen vermeiden.
  • die Vertriebsmitarbeiterin erkennen, dass ihre Angst vor Versagen annehmen. Sie sozusagen umarmen, um sie für entsprechende Entwicklungen zu nutzen. Erst dann kann sie Maßnahmen erarbeiten und umsetzen, z.B. Produktschulungen und Argumentationshilfen, die sei selbstsicherer auftreten lassen. Sie könnte dann erkennen, dass sie sich den Druck in erster Linie selbst auferlegt und Verantwortung für ihre Reaktionen übernehmen. Das ist der Weeg, auch Kunden einfühlsamer und bedarfsorientiert zu bedienen.

Leichter leben

Diese Vorschläge klingen erst einmal sehr einfach. Das ist es nicht für jeden, zumal die Projektionen, wie anfangs erwähnt, eine frühkindlich erworbene Überlebensstrategie darstellen und das Verhalten schon lange bestimmen. Ein Anfang kann allerdings schon schnell viele Situationen entschärfen bzw. erleichtern. Denn wir können die Energie, welche wir dafür aufwenden, Scham und Schuld zu verdrängen und dadurch selbst verursachte destruktive Auseinandersetzungen zu provozieren, viel besser für eine erfolgreiche und zielorientierte Zusammenarbeit nutzen.

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