Die Arbeitszeit-Falle – ein Flaschengeist ohne Flasche

Am 14. Mai 2019 erging das Urteil in der Sache C-55/18 – CCOO des Europäischen Gerichtshofs. Es schreibt vor, dass alle Mitgliedsstaaten dafür sorgen müssen, dass es bei Ihnen ein Gesetzt gibt, wonach ihre Arbeitgeber ein System einrichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit vom Arbeitnehmer gemessen werden kann. Über zwei Jahre später, am 13. September 2022 beschloss das Bundesarbeitsgericht, die Geltung für Deutschland als Initiativrecht des Betriebsrats. Vertreter:innen von Arbeitnehmer:innen feiern den Tag als Durchbruch für die Beschäftigten. Doch Obacht, diese Suppe kann schnell sauer werden.

Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.

Aus Goethes „Der Zauberlehrling“, 1797

Das Ziel ist – wie so oft – ein Heres

Das Arbeits-Schutz-Gesetzt (ArbSchG) will, dass sichergestellt ist, dass Unternehmen ihre Belegschaft nicht über die Maßen ausbeuten. So soll es ausreichend Ruhezeiten geben. Wie viel Ruhe Arbeitnehmenden zusteht, ist im Gesetz ausführlich geregelt. Mit Ausnahmen und allem Drum und Dran. Das ist eine gute Sache. Wir sind hier ja nicht in UK oder den USA. Deshalb entschied der EuGH 2019, dass die Beschäftigten selbst ihre Arbeitszeit systematisch erfassen können müssen. Das System dafür ist von der Firma bereitzustellen. Klingt alles wunderbar. Doch die Zombies sind nur einen Alptraum weit entfernt.

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Zombieapokalypse der Arbeitszeitdokumentation

Mir kommt dazu folgende Pressemitteilung eines Zeitdokumentationsanbieters in den Kopf:
«Heute, zum 01.03.2024 freuen wir uns, unseren Kunden den Schritt in eine neue Arbeitszeitära zu ermöglichen. TimeUp ist online.

TimeUp ist ihr Weg als Arbeitgeber in die Sicherheit. Entdecken Sie, wie viel Arbeitszeit Sie hinzugewinnen können. Unsere Kunden schaffen eine Erhöhung der wirksamen Zeit in produktionsfernen Firmenbereichen von 30% und mehr. Doch was macht TimeUP?

Wir schließen die Zeitinformationslücken von Ihren Mitarbeitenden zur Firma. Unsere KI-basierte Hardware trackt sicher, wann Ihre Angestellten für Ihr Unternehmen tätig sind. Sobald sie sich anderem widmen, grenzen wir diese Erholungszeiten sauber von der Arbeitszeit ab. Die Genauigkeit ist dabei bis zu einer zehntel Sekunde gewährleistet. Hören Sie mit sofortiger Wirkung auf Ihren Arbeitnehmern diese oder änliche Leistungen zu bezahlen:

•       Kaffeepause
•       Zigarettenpause
•       übermäßig lange Toilettengänge
•       Private Mediennutzung (Telefongespräche, Social Media, Einkäufe etc.)
•       Austausch über Privates am Arbeitsplatz
•       Planungen/ Abstimmungen von Freizeitaktivitäten am Abend, am Wochenende oder für den Urlaub
•       Unproduktive (Denk-)Zeiten vor dem Bildschirm


Ihre Beschäftigten erhalten in Echtzeit den Status der damit verbindlich eingehaltenen Pausenzeiten. Sie als Unternehmer:in sehen sofort, wieviel Produktivzeit Ihnen noch zusteht. Sollten sich die Menschen einmal in einem funkfreien Bereich aufhalten, sammelt unsere Hardware die Daten zuverlässig weiter, bis der nächste Datenabgleich möglich ist. Natürlich sehen Sie, wann, wie häufig und wie lange sich die Mitarbeitenden im Off aufhielten. Garantieren Sie ihren Angestellten die Einhaltung des §3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG. Wir stellen sicher, dass Sie keine Sekunde Ihrer zugesagten Arbeitszeit verlieren!»

Meine Wirklichkeit kann falsch sein

Als starker Vertreter der Vetrauensarbeitszeit malte ich dieses Szenario ein paar Bekannten aus. Schnell kamen Einwände:

•       „So kann das natürlich nicht gemeint sein.“
•       „Na wenn die Arbeitgeber das machen, muss der EuGH eben nachlegen.“
•       „Das bekommen die nie hin.“
•       „Du denkst über zu viele Ecken.“
•       „So kann ich meine Arbeit überhaupt nicht machen.“
Es erinnert mich an die Zeit, in der es verpönt war, am Mobiltelefon sprechend, draußen herum zu laufen. Vieles von dem, was ich mir nie vorstellen konnte, war irgendwann einfach normal. Und ich bin mir ganz sicher, dass Firmen auf keine Minute Arbeit verzichten werden, nur weil der EuGH festlegt, dass die Angestellten ihre Ruhenzeiten sauber dokumentieren dürfen. Natürlich kannst Du Dich jetzt dennoch fragen:

Was ist eigentlich das Problem vom Borck und wie sähe eine Lösung aus?

Mein Problem ist, dass wir uns so einfach auf die falsche Fährte locken lassen. Zeit ist die denkbar ungünstigste Messgröße, wenn es um das Wertpotential menschlicher Arbeit geht. Wer sich nach Zeit bezahlten lässt, hat schon verloren. Es gibt deshalb auch keinen Millionär und keine Milliardärin, die ihr Einkommen auf Zeiteinheiten herunterbricht.

Das bedeutet, dass sich der EuGH, das Bundesarbeitsgericht, die Gewerkschaften, die Arbeitnehmervertreter und wen es da sonst noch geben mag, am Ring durch die Manege ziehen lassen. Und wir, die Kühe, applaudieren. Es kann sinnvoll nur um die Teilhabe an den Ergebnissen gehen.

Wir werden uns vielleicht über Folgendes einig. Es ist für Dich deutlich angenehmer, in zwei Stunden pro Woche Dein gesamtes benötigtes Einkommen für einen Monat zu verdienen. Noch besser, wenn Du dann selbst entscheiden kannst, was Du mit dem Rest Deiner Zeit anfängst. Das EuGH-Szenario verstandardisiert, abhängigen Arbeitsverträgen nach zu hecheln, die Dir ansagen, dass Du soundsoviel Zeit schuldest. Egal, wie viel Wert Du bereits erbracht hast.

Ich frage Dich deshalb: „Wie lange willst Du Dich noch mit der Bedarfslüge abspeisen lassen?“ Ich weiß: „Wohlstand für viele, vielleicht sogar alle, erhalten wir nur, wenn wir aufhören, uns im Sinne einer Zeittaktung zu verkaufen und anfangen, die geschaffenen Werte offen zu verteilen.“

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