Denk positiv und träume weiter

„Wer Erfolg erwartet, der bekommt ihn, wer Unglück erwartet, bekommt es auch!“ So und ähnlich lauten die Botschaften der Vertreter des positiven Denkens. Dahinter steckt ein naives Bild von der Funktionsweise des Denkens auf unser Verhalten. Die Psychologie hat es längst entzaubert.

Dabei ist zunächst gegen positives Denken gar nichts einzuwenden. Natürlich ist es hilfreicher, das Wasserglas als halbvoll denn als halbleer zu sehen. „Pessimisten küsst man nicht“ ist der Titel eines netten Buches von Martin Seligmann. Da ist was dran. Menschen mit negativer Erwatungshaltung verfallen oft genug dem Automatismus einer Self-Fullfilling Prophecy. Wer erwartet zu scheitern, läuft Gefahr, genau das zu tun, was ihn letztlich zum Scheitern führt: Unsicher auftreten, zielorientiertes Handeln vermeiden, bei kleinsten Hindernissen aufgeben. Das kann ja nicht gut gehen.

Es ist aber ein Trugschluss, zu meinen, man brauche nur positiv denken und alles läuft wie von selbst. Im Film „The Secret“ wird das sogar mit populär-quantenphysikalischen Ideen scheinbar wissenschaftlich untermauert: Man müsse nur daran glauben, reich zu werden – und man wird es. Wenn’s dann doch nicht klappt, war’s der Mangel an positivem Denken. Aber halb so schlimm, mit weniger Reichtum geht’s ja auch.

Denken ist nur die Spitze des Eisbergs

Schlimmer wird’s, wenn es um massive psychische Belastungen geht. Ängste und Stress lassen sich nicht einfach positiv wegdenken. „Denk doch einfach positiv und Dein Problem löst sich in Luft auf“. Mir ist das zu platt – und ein grober Rapportbruch, denn es nimmt die Probleme von Menschen nicht ernst. Und überhaupt: Denken ist nur die Spitze des Eisberges unserer Verhaltenssteuerung, das meiste läuft unbewusst ab und es ist eine Illusion zu glauben, wir könnten diese unbewussten Anteile durch positives Denken einfach umprogrammieren.

Der Mediziner Günther Scheich, Arzt für psychosomatische Medizin, hält positives Denken gar für gefährlich, weil es eine Inkongruenz von Empfindungen und kognitiven Prozessen erzeugt. Und das führt erst recht zu einem psychischen Ungleichgewicht. Er sagt: „Denken kann Erfahrungen, Lernprozesse oder Konfrontationen nicht ersetzen, sondern baut auf dieser seelischen Vielfalt auf. Sicherlich kennen Sie Menschen, die das genaue Gegenteil von dem tun, was sie sagen. Daraus wird ersichtlich, wie wenig das Denken das menschliche Verhalten beeinflusst. Ängstliche Menschen können zwar rational zum Schluss kommen, dass ihre Angst nicht adäquat ist, können sich in der konkreten Situation ihre Angst jedoch nicht ‚wegdenken’.“

Das unterstreicht die amerikanische Bestsellerautorin Barbara Ehrenreich in ihrem neuen Buch „Smile or Die“. Sie fragt, wie es denn sein könne, dass die Amerikaner ein überdurchschnittlich positives Volk seien, aber weit davon entfernt wären, auch ein zufriedenes Volk zu sein. Hier hat die Ideologie des „Think positiv“ offenbar versagt.

Denken schadet nichts, nützt aber oft wenig

Aber was steuert unser Handeln denn dann eigentlich, wenn nicht unser Denken? Der Osnabrücker Psychologe Julius Kuhl unterscheidet bewusste Absichten und intuitive Verhaltenssteuerung. Beides ist oft genug nicht kompatibel. Wie kann das sein?

Um das besser zu verstehen, müssen wir uns anschauen, wie wir Verhaltensmuster erlernen. Unser Gehirn ist keine Datenverarbeitungsanlage, in der wir einfach Wissen und Fertigkeiten abspeichern, sondern unser Gehirn ist ein einzigartiger Erfahrungsverarbeitungsapparat. Dessen Hauptfunktion ist die Aufrechterhaltung einen physischen und psychischen Gleichgewichts. Alles andere ist nachrangig. Denken ist also eine nützliche Zusatzfunktion unseres Gehirns. Diese nimmt auch nur einen Bruchteil unserer Hirnfunktionen ein. Das liegt unter anderem daran, dass unser bewusstes Denken eine vergleichsweise geringe Leistungsfähigkeit hat. Es arbeitet seriell, kann sich nur nacheinander auf Aufgaben konzentrieren und maximal fünf bis sieben Dinge gleichzeitig im Arbeitsspeicher behalten.

Unbewusst hingegen arbeiten zahlreiche Prozesse parallel und sogar im Hintergrund. Versuche konnten zeigen, dass unser Gehirn schon unbewusst an Aufgaben arbeitet, während unser Bewusstsein mit ganz anderen Dingen beschäftigt ist. Für unsere Fragestellung entscheidend ist aber, dass unser Gehirn nicht einfach Erlebnisse und Erfahrungen abspeichert, sondern diese in bereits vorhandene Muster integriert. Der Psychologe Kuhl spricht von unserem Extensionsgedächtnis. Nicht das Detail interessiert, sondern der holistische Extrakt dessen. Simples Beispiel: Wer sich einmal an einer Kerze die Finger verbannt hat, wird sich nicht die Details der Kerze merken, sondern die Tatsache, dass Feuer heiß ist. Ähnlich läuft das bei wesentlich komplexeren Erfahrungen.

So erlangen wir eine intuitive Intelligenz. Diese sendet uns handlungssteuernde Signale über Gefühle, die uns anzeigen, ob ein bestimmtes Verhalten für uns nützlich oder schädlich sein kann. Es bedient sich unserer integrierten Lebenserfahrung und ist damit weniger störungsanfällig als die begrenzten Wahrnehmungen und Denkprozesse unseres Bewusstseins. Daher nutzt alles positive Denken nichts, wenn es in Widerspruch zu unserer Intuition steht.

Aber Vorsicht: Blindes Vertrauen auf die Intuition kann sich als böse Falle erweisen – nämlich dann, wenn der Erfahrungshintergrund unserer Intuition eher klein ist. Flugzeuge lassen sich schwer mit der Intuition eines Autofahrers steuern.

Besser als positives Denken

Oft werden NLP und positives Denken in einem Atemzug genannt. Das eine hat mit dem Anderen sehr wenig zu tun. Eine Grundlage des NLP ist, Menschen mit ihren Anliegen ernst zu nehmen, ihre „Psychogeografie“ als Arbeitsgrundlage zu akzeptieren. Dazu gehört auch, Ängste und Probleme zu integrieren, ihren Sinn zu verstehen – um dann bessere Strategien zu entwickeln, die negatives Denken überflüssig machen. Es geht eben darum, sein besseres Leben nicht nur zu träumen, sondern durch pro-aktives Handeln auch selbst in die Hand zu nehmen. Dazu müssen Menschen wissen, was sie wirklich wollen, daraus klare Ziele ableiten, ihre Potentiale entfalten aber eben auch Muster der Selbstsabotage erkennen und durch bessere Strategien ersetzen. Wem das allein nicht gelingt, dem kann Coaching eine wertvolle Unterstützung sein. Das hilft wesentlich besser als die rosarote Brille und die Quantenphysik.

Hier ein paar Tipps, die aus meiner Sicht hilfreicher sind als positives Denken:

  • Negieren Sie Probleme nicht. Probleme sind immer Lösungsversuche. Buchen Sie also Misserfolge unter diesem Aspekt als Erfahrungen ab. Dumm ist nicht derjenige der Fehler macht, sondern der, der daraus nichts lernt.
  • Gehen Sie wertschätzend mit sich um. Wenn Sie sich selbst nicht schätzen, warum sollten es dann andere tun?
  • Stellen Sie sich Ihren vermeintlichen Schwächen, aber verdammen Sie diese nicht. Problematische Verhaltensmuster sind Ihnen in anderem Kontext nützlich – oder zumindest einmal nützlich gewesen. Begeben Sie sich auf die Suche nach adäquateren Verhaltensmustern.
  • Feiern Sie Ihre Erfolge! Viele Menschen leiden mehr unter Misserfolgen, als dass sie ihre Erfolge genießen. Das schwächt die Motivation.
  • Setzen Sie sich positive Ziele. Das sind Annäherungsziele. Vermeidungsziele bringen Sie nicht voran. Beginnen Sie eine Zielformulierung also nicht mit „Ich will nicht …“, sondern mit „Ich werde …“
  • Machen Sie sich klar, warum Sie diese Ziele erreichen wollen. Prüfen Sie, ob sie Ihren Bedürfnissen entsprechen und mit Ihren Werten in Einklang sind.
  • Fangen Sie heute mit der Umsetzung an. Erfolge sind die besten Motivatoren, die es gibt. Und denken Sie daran: Am Sanktnimmerleinstag werden Sie keine Zeit mehr für die Umsetzung haben!

 

 

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