Bürokratieabbau – wie soll das gehen?

Hier einmal zwei Meldungen aus der jüngsten Vergangenheit: Die Zahl der Staatsangestellten ist in den letzten Jahren um mehr als dreißig Prozent gewachsen. Bei den jungen Arbeitnehmern ist der Staat der mit Abstand beliebteste Arbeitgeber.

Eigentlich sollte es solche Meldungen gar nicht mehr geben, denn Bürokratieabbau steht seit Jahren ganz oben auf der Agenda von Politikern, zumindest in ihren Reden. Wieso funktioniert das nicht?

Es ist ja höchst ehrenwert, wenn sich Regierungen, Opposition und Parlamentarier dem Bürokratieabbau verschreiben. Aber es ist eben auch kindisch zu glauben, dass man Bürokratie durch Appelle bekämpfen kann. Besonders fragwürdig wird es dann, wenn Bürokratie mit noch mehr Bürokratie bekämpft wird, zum Beispiel mittels ministeriellem Praxis-Check, Bürokratieabbau-Teams, Nationalem Normenkontrollrat, Staatssekretärsausschuss „Bessere Rechtssetzung und Bürokratieabbau“, Konsultationen auf EU-Ebene, Evaluierung von EU-Initiativen und vielem anderem mehr, nachzulesen auf den einschlägigen ministeriellen Webseiten.

Man muss sich einmal überlegen, wozu Bürokratie eigentlich da ist. Was ist ihre Funktion in der Welt? Irgendeine muss sie ja haben, sonst gäbe es sie nicht.

Bürokratie ist ein strukturelles Element, mit dem Systeme ihre Komplexität managen. (Ob man Komplexität überhaupt managen kann, sei hier einmal dahingestellt, aber es wird versucht.) Es werden Regeln geschaffen, Verbote erlassen, Kontrollmechanismen installiert, gemessen und sanktioniert. Alles, um die wachsende Komplexität des Staates oder des Unternehmens in den Griff zu bekommen. Aber die Komplexität wächst weiter. Das macht sie sowieso, und zwar exponentiell. Also wird die Bürokratie in gleichem Maße mitwachsen. Sie wird vermutlich sogar schneller wachsen, denn letztlich mehren sogar die Maßnahmen zur Beherrschung der Bürokratie, also die zu ihrer Bekämpfung hinzugekommene Bürokratie, die Komplexität.

Wir stecken also in einem Dilemma: Die Komplexität unserer Systeme wächst, wir versuchen sie zu beherrschen und schaffen dafür Bürokratie. Selbst der Bürokratieabbau führt zu neuer Bürokratie. Bürokratie ist systemimmanent. Sie gehört zu komplexen Systemen als notwendiger Versuch, diese unter Kontrolle zu bekommen. Das gelingt aber nur teilweise, zumal die Komplexität weiterwächst und das System noch stärker unserer Kontrolle entzieht. Also: Bürokratie muss wachsen, solange wir uns innerhalb der Systemgrenzen bewegen. Gesetzmäßig! Scherzhaft bezeichne ich das Phänomen mitunter als die Entropie sozialer Systeme.

Übrigens, mal kurz eingeschoben: Es gibt auch eine zutiefst menschliche Ursache dafür, dass Bürokratie wächst. Ihre Reduzierung wird nämlich in den allermeisten Fällen Bürokraten übertragen. Glaubt irgendjemand, der bei Verstand ist, dass diese Menschen sich selbst wegrationalisieren?

Es gibt aus dem Bürokratie-Dilemma nur zwei Wege. Entweder verzichten wir auf Kontrolle oder wir reduzieren die Komplexität der Systeme.

In Unternehmen wird Komplexitätsreduzierung von Zeit zu Zeit gemacht: Verflachen von Hierarchien, Lean Management, Prozessoptimierung, Outsourcing, Filetieren von Unternehmen. Das funktioniert eine Zeit lang, hat allerdings Nachteile bezüglich Innovationskraft. Deshalb setzt man dort auf Formen von Verantwortungsteilung und Dezentralisierung, wie zum Beispiel agiles Management. Nach einer Weile treten dort auch Nachteile hinsichtlich Steuerbarkeit zutage, so dass die Kontrolle, sprich: Bürokratie, wieder verstärkt wird.

Im politischen Bereich würden das heißen, man kappt den Überbau der EU, zerschlägt sie in ihrer jetzigen Form, definiert sie gänzlich neu. Oder man verabschiedet sich vom föderalen System und baut es völlig um, reduziert die Zahl der Bundesländer, entmachtet die vielen Könige und Mitredner, verzichtet aber damit gleichzeitig auf Kontrolle.

Komplexitätsreduzierung erreicht man nur mittels Zertrümmerung der Systeme.

Aber wer soll das machen? Die Menschen, die innerhalb dieser Systeme ihr Geld verdienen, ihre Daseinsberechtigung beziehen? Das werden sie sicher nicht machen – sie tun nur so.

Bleibt der andere Weg, der Verzicht auf Kontrolle. Warum eigentlich nicht, da wir sie ja sowieso verlieren, spätestens wenn nämlich die Ressourcen nicht mehr ausreichen, um noch mehr Bürokratie aufzubauen. Wir werden also eines Tages in die Lage kommen, dass die Komplexität die Bürokratie sprengt. Die Systeme werden unkontrollierbar, weil sich das Komplexitätswachstum nicht aufhalten lässt. Dann frisst die Bürokratie quasi sich selbst. Wie das konkret aussehen wird? Keine Ahnung. Ich will es mir nicht einmal vorstellen. Es könnte das blanke Chaos ausbrechen, Anarchie, Unregierbarkeit. Erste Erscheinungen derartigen Kontrollverlustes gibt es bereits, in Form unkontrollierbarer Stadtviertel, Parallelgesellschaften, Clankriminalität.

Am Ende meiner Überlegungen, die mich ganz und gar nicht glücklich machen, bleibt mir nur die Feststellung: Das aktuelle System kann das Bürokratieproblem nicht lösen, auch nicht mit Wumms oder Doppel-Wumms. Mir fehlt die Fantasie, wo die Lösung liegen und wie sie aussehen könnte.

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