Teams arbeiten effizienter als Einzelpersonen. So lautet ein weitverbreitetes Credo. Das ist nicht stets der Fall. Oft schöpfen Teams ihr Potenzial nicht aus. Diese Gefahr ist bei virtuellen Teams besonders groß.
Maximilian Ringelmann, ein französischer Agraringenieur, untersuchte 1882 die Leistung von Pferden. Er fand heraus: Je mehr Pferde gemeinsam eine Kutsche ziehen, umso geringer ist die Leistung des einzelnen Pferds. Fasziniert von dieser Entdeckung dehnte Ringelmann seine Untersuchungen auf Menschen aus und stellte beim Tauziehen fest: Je mehr Personen an einem Seil ziehen, umso geringer ist die Leistung des Einzelnen.
Dieser Befund lässt sich auf viele Aufgaben übertragen, die im Team erfüllt werden. Amerikanische Psychologen nennen diesen Effekt „Social Loafing“ – also, sich ausruhen auf Kosten anderer.
Virtuelle Teams erfordern anderes Führungsverhalten
Sich mit diesem Phänomen zu befassen, wird umso wichtiger, je häufiger die Leistungen von Unternehmen in virtuellen und hybriden Teams erbracht werden – zum Beispiel, weil die Mitarbeiter vermehrt im Homeoffice arbeiten. Denn damit entfällt teilweise die soziale Kontrolle, die entsteht, wenn die Teammitglieder sich täglich sehen. Zudem steigt die Gefahr, dass Mitglieder das Gefühl haben, meine Leistung wird ohnehin nicht wahrgenommen und ein, zwei Gänge runterschalten. Das führt wiederum bei den Top-Performern, die ein hohes Engagement zeigen, nicht selten mit der Zeit zu einem leistungsmindernder Frust, zum Beispiel, weil sie das Gefühl haben
- „Ich bin der Dumme“. Oder:
- „Mein Engagement wird weder von meinen Vorgesetzten, noch Kollegen wertgeschätzt.“
Unter anderem deshalb sollten Führungskräfte von virtuellen oder hybriden Teams ihr Führungsverhalten überdenken und gegebenenfalls neu justieren. Dies ist auch nötig, weil die Fähigkeit von Menschen sich selbst zu führen bzw. zu organisieren und zu motivieren ebenso wie ihre fachliche Expertise divergiert. Mit diesen Unterschieden adäquat umzugehen, ist generell eine Herausforderung beim Führen – nicht nur auf Distanz.
Das „Social Loafing“ bzw. der sogenannte Ringelmann-Effekt ist eine Schattenseite der Teamarbeit. Mit Teamarbeit kann zwar ein hoher Output erzielt werden – speziell bei Aufgaben, die unterschiedliche Expertisen erfordern. Es kann aber auch die gegenteilige Wirkung eintreten – gerade bei in virtuellen Teams. Ursachen hierfür sind laut Ringelmann:
- Der Eindruck bzw. das Bewusstsein einzelner Teammitglieder, dass die eigene Leistung nur wenig zum Gesamterfolg beiträgt. Und:
- Das Wissen, dass es nicht auffällt, welchen Beitrag der Einzelne zum Lösen der Aufgabe leistet.
Wer viele Ressourcen hat, (ver-)braucht sie
Cyril Northcote Parkinson, ein englischer Soziologe, kam 1957 zu ähnlichen Erkenntnissen. Er untersuchte die Entwicklung des Britischen Marineministeriums, das ursprünglich das gesamte britische Empire verwaltete. Nach dessen Zerfall reduzierte sich die Mitarbeiterzahl des Ministeriums nicht. Im Gegenteil: Sie erhöhte sich. Daraus schloss Parkinson:
- Die Mitarbeiterzahl von Unternehmen korreliert nur bedingt mit dem Arbeitsvolumen. Und:
- Organisationen neigen dazu, sich selbst zu beschäftigen.
Parkinson ermittelte hierfür folgende Ursachen:
- Wie viel Zeit jemand für eine Aufgabe braucht, hängt auch von der zur Verfügung stehenden Zeit ab. Sie wird schlicht verbraucht.
- Menschen investieren ihre Zeit primär in Tätigkeiten, die wahrgenommen sowie belohnt bzw. sanktioniert werden – und nicht in diejenigen, die nötig wären.
- Prestige und Anerkennung sind in vielen Unternehmen an die Mitarbeiterzahl gekoppelt. Deshalb streben Führungskräfte eine höhere Anzahl an.
- Der Führungsnachwuchs schafft neue künstliche Bedarfe an Mitarbeitern und Führungspositionen, um mehr Karrierechancen zu haben.
Auch Unternehmen setzen oft „Speck“ an
Treffen diese Befunde zu, dann sollten Unternehmensführer gegen diese „natürlichen“ Effekte ankämpfen. Hierfür lassen sich in Anlehnung an Ringelmann und Parkinson folgende Handlungsempfehlungen formulieren:
- Stellen Sie (auch bei einer virtuellen Zusammenarbeit) sicher, dass Ihre Mitarbeiter spüren: Mein Engagement wird registriert und meine Leistung lohnt sich – für mich.
- Schaffen Sie eine Erfolgsgemeinschaft. Jedes Teammitglied sollte das Gefühl haben „im selben Boot“ zu sitzen. Sprich: Wenn unsere Leistung top ist, profitiere auch ich davon. Ebenso verhält es sich im umgekehrten Fall.
- Rütteln Sie Ihre Mitarbeiter regelmäßig auf. Sonst verfallen sie in lähmende Routinen. Starten Sie immer wieder neue Projekte und Initiativen, die Ihre Mitarbeiter motivieren, sich besonders anzustrengen.
- Koppeln Sie die Vergütung, die Karrieren und das Prestige nicht an der Zahl der Mitarbeiter. Fördern Sie Projekt- und Expertenlaufbahnen.
- Fragen Sie sich als Führungskraft: Sende ich – auch online – an die Mitarbeiter die richtigen Signale, was (mir) wichtig ist? Wer zum Beispiel top-gestaltete PowerPoint-Präsentationen honoriert, „züchtet“ Mitarbeiter, die vor Meetings tagelang Folien „basteln“.
- Führen Sie regelmäßig Prozessanalysen durch, denn: Jede Organisation neigt dazu, „Speck“ anzusetzen. Deshalb sind alle zwei, drei Jahre „Diät-Kuren“ nötig.
- Reduzieren Sie für bestimmte Aufgaben „scheinbar willkürlich“ die Ressourcen. Nötigen Sie Ihre Mitarbeiter und Teams, sich so zu organisieren, dass sie mit weniger Ressourcen auskommen. Oft werden so effizienzsteigernde Ideen geboren. Und wenn Ihre Kürzungen sich als übertrieben erweisen? Dann können Sie ja wieder Ressourcen freigeben.
Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal.